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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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befangen und doch zugleich, da der warme Hauch und die erfüllende Mannig¬
faltigkeit des Lebens fehlen, gespensterhaft. Das lebendige Ganze des griechischen
Baus, die charaktervolle Stätte des antiken Lebens, in seiner Gestalt bedingt
durch Land und Klima, durch die öffentlichen Zustände und den nationalen
Geist, läßt sich in unser Jahrhundert, in unsere Verhältnisse nicht verpflanzen.
Die classischen Bauformen, das haben wir früher gesehen, sind der wahre und
vollendete, d. h. immer giltige Ausdruck gewisser Gesetze, die im Wesen der
Architektur selber liegen; sie sind daher unvergängliches Eigenthum der ganzen
Menschheit. Aber die architektonische Gesammtform. zu deren Vollendung der ma¬
lerische Schmuck und die Ausstattung durch die Schwesterkünste wesentliche Ele¬
mente sind, war genau angepaßt der antiken Anschauung, den antiken Bedürfnissen.

Doch auch die griechische Bauweise als solche, ihre architektonische Anlage, die
Combination ihrer Formen widerstreben, wenn das Vorbild treu befolgt werden soll,
der modernen Zeit. In großen einfachen Verhältnissen wickelte sich -- verglichen
mit den unsrigen -- das griechische Leben ab; leicht und mühlos ließ sich die
Wirklichkeit nach den idealen Bedürfnissen gestalten, beschlossen in sich und in
einer klar begrenzten Ordnung der Zustände war das öffentliche Dasein. Diesem
Leben entsprach genau die Form der Gebäude, ihre Raumeintheilung und
Gliederung. Der volle Einklang von Inhalt und Form, der die ganze griechische
Gesittung kennzeichnet und nur möglich war innerhalb dieser Einfachheit, ging
naturgemäß auch auf die Architektur über; in ihr war, wie wir gesehen, die
Form zugleich der genaue, vollendete Ausdruck des structivcn Schemas, beide
in eine Einheit aufgegangen, in der sie sich deckten. Und die Einheit eben war
die Gestalt des Baus. Wo aber das Leben erweitert und verwickelt, um¬
getrieben durch das rastlose Räderwerk neuer mannigfaltiger Bedürfnisse und
Interessen jener Harmonie und Einfachheit entbehrt, da ist auch diese Einheit
zersprengt. Die Kunst entspricht dann nicht mehr ohne Weiteres der Wirklich¬
keit, die sie nicht ohne Rest in sich zu fassen vermag; die Architektur greift
wohl auch für ihre größeren umfassenderen Aufgaben noch nach den griechischen
Bauformen, aber indem sie dieselben für ihre neuen Zwecke mit neuen Elementen
verbindet und in neue Combinationen bringt, muß sie andrerseits auf die
charaktervolle Einheit jener Formen mit der Construction verzichten. Und so
wird jeder engere Anschluß an die griechische Bauweise kaum fähig sein, dem
ganz anderen Leben der Neuzeit seinen architektonischen Leib zu schaffen. Denn
die neugefundenen Bauformen späterer Zeiten, deren wir nicht entrathen können,
lassen sich organisch in das abgeschlossene System der Griechen nicht aufnehmen;
und wollte man dieses selber den modernen Bauausgaben entsprechend ausdehnen,
so würde das Band jener Einheit zerrissen und dennoch diese Aufgaben ihre
volle Lösung nicht finden. Das war es auch, was der Richtung Schinkels,
soweit sie sich enger an die griechische Kunstweise zu halten suchte, die Zukunft


befangen und doch zugleich, da der warme Hauch und die erfüllende Mannig¬
faltigkeit des Lebens fehlen, gespensterhaft. Das lebendige Ganze des griechischen
Baus, die charaktervolle Stätte des antiken Lebens, in seiner Gestalt bedingt
durch Land und Klima, durch die öffentlichen Zustände und den nationalen
Geist, läßt sich in unser Jahrhundert, in unsere Verhältnisse nicht verpflanzen.
Die classischen Bauformen, das haben wir früher gesehen, sind der wahre und
vollendete, d. h. immer giltige Ausdruck gewisser Gesetze, die im Wesen der
Architektur selber liegen; sie sind daher unvergängliches Eigenthum der ganzen
Menschheit. Aber die architektonische Gesammtform. zu deren Vollendung der ma¬
lerische Schmuck und die Ausstattung durch die Schwesterkünste wesentliche Ele¬
mente sind, war genau angepaßt der antiken Anschauung, den antiken Bedürfnissen.

Doch auch die griechische Bauweise als solche, ihre architektonische Anlage, die
Combination ihrer Formen widerstreben, wenn das Vorbild treu befolgt werden soll,
der modernen Zeit. In großen einfachen Verhältnissen wickelte sich — verglichen
mit den unsrigen — das griechische Leben ab; leicht und mühlos ließ sich die
Wirklichkeit nach den idealen Bedürfnissen gestalten, beschlossen in sich und in
einer klar begrenzten Ordnung der Zustände war das öffentliche Dasein. Diesem
Leben entsprach genau die Form der Gebäude, ihre Raumeintheilung und
Gliederung. Der volle Einklang von Inhalt und Form, der die ganze griechische
Gesittung kennzeichnet und nur möglich war innerhalb dieser Einfachheit, ging
naturgemäß auch auf die Architektur über; in ihr war, wie wir gesehen, die
Form zugleich der genaue, vollendete Ausdruck des structivcn Schemas, beide
in eine Einheit aufgegangen, in der sie sich deckten. Und die Einheit eben war
die Gestalt des Baus. Wo aber das Leben erweitert und verwickelt, um¬
getrieben durch das rastlose Räderwerk neuer mannigfaltiger Bedürfnisse und
Interessen jener Harmonie und Einfachheit entbehrt, da ist auch diese Einheit
zersprengt. Die Kunst entspricht dann nicht mehr ohne Weiteres der Wirklich¬
keit, die sie nicht ohne Rest in sich zu fassen vermag; die Architektur greift
wohl auch für ihre größeren umfassenderen Aufgaben noch nach den griechischen
Bauformen, aber indem sie dieselben für ihre neuen Zwecke mit neuen Elementen
verbindet und in neue Combinationen bringt, muß sie andrerseits auf die
charaktervolle Einheit jener Formen mit der Construction verzichten. Und so
wird jeder engere Anschluß an die griechische Bauweise kaum fähig sein, dem
ganz anderen Leben der Neuzeit seinen architektonischen Leib zu schaffen. Denn
die neugefundenen Bauformen späterer Zeiten, deren wir nicht entrathen können,
lassen sich organisch in das abgeschlossene System der Griechen nicht aufnehmen;
und wollte man dieses selber den modernen Bauausgaben entsprechend ausdehnen,
so würde das Band jener Einheit zerrissen und dennoch diese Aufgaben ihre
volle Lösung nicht finden. Das war es auch, was der Richtung Schinkels,
soweit sie sich enger an die griechische Kunstweise zu halten suchte, die Zukunft


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/128>, abgerufen am 26.06.2024.