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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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abschnitt. Nachbilden wollte er nicht, sondern die griechische Bauart aus dem
tieferen Verständniß ihres Wesens "auf die Bedingungen der neuen Weltperiode
erweitern". Dies Letztere war überhaupt nicht möglich oder nur so, daß er
auf die classische Einfachheit und den bezeichnenden Hauptzug der griechischen
Architektur, Kunstform und Construction in Eins zu bilden, doch wieder ver¬
zichtete und hingegen das Eigenthümliche der römischen Bauart herzuzog.
Allerdings bemühte er sich, die Verwerthung der classischen Formen in strengerer
und der antiken Gesetzmäßigkeit mehr angepaßter Weise durchzuführen, als es
die Renaissance gethan. Aber diese Versuche, so achtungswerth sie waren,
blieben das vereinzelte Ergebniß der besonderen Phantasie des Architekten, und
so wenig diese auf seine Schule übergehen konnte, so wenig vermochten jene
die moderne Anschauung und das moderne Bedürfniß ganz zu befriedigen.

Wozu auch erst suchen, was die Zeiten in ihrem geschichtlichen Ver¬
laufe und daher erfüllt, getragen von der Kraft des allgemeinen Lebens schon
gefunden haben: nämlich die künstlerische Gestalt für die neuen Bedürfnissemit
Hilfe der classischen Formen? Rom war es ja, welche die griechische Architek¬
tur in sich aufnahm und mit ihren immergiltigen Elementen Rundbogen- und
Gewvlveformen verbindend, die Bauzwecke eines die Welt umfassenden Reiches
zu befriedigen wußte. An Rom knüpfte dann die Renaissance an, um dem
modernen Geiste, "als er aus dem Jenseits auf diese Welt zurückgekehrt von
ihr wieder Besitz ergriff, die künstlerische Stätte zu bereiten für ein echtmensch¬
liches Leben. So ist uns, wie ein früherer Artikel auseinandersetzte, durch die
Renaissance der Weg vorgezeichnet, den die bauende Gegenwart zu gehen
hat, sie hat zugleich die Brücke geschlagen, auf welcher die Antike in die
Architektur unseres Jahrhunderts einzieht. Das soll uns freilich nicht hindern,
zugleich zu der ewig giltigen Norm, dem läuternden Maß der griechischen
Formen zurückzugreifen, um an der sicher führenden Hand ihrer gesetzmäßigen
Schönheit und Klarheit die Renaissance fortzubilden. Diese aber hat die künst¬
lerische Gesammtform geschaffen, die auch unser Leben in sich zu fassen vermag.
Denn sie hat dem ersten Gesetz aller architektonischen Kunst auch für
unsere Zeit den treffenden Ausdruck gegeben: dem nämlich, daß nicht --
wie nun das Vorurtheil fast aller Gebildeten dieser nüchternen Zeit ist --der
Kunstbau blos die Construction als solche deutlich auszusprechen
habe, sondern vor allem der freie Schein eines künstlerischen Or¬
ganismus ist, entfesselt von dem Bedürfniß, soweit es der Kunst widerstrebt,
ein harmonisches Ganze schöner Formen, beschlossen in sich wie die lebendige
Gestalt, das die Arbeit der Construction und die Prosa des Zwecks in ein ge¬
diegenes Festgewand hüllt, in dem die Bestimmung des Baus und die innere
Naumanlage wohl ausgesprochen sind, aber erhoben zugleich in die Freiheit
Julius Meyer. idealer aus sich gewordener Erscheinung.


abschnitt. Nachbilden wollte er nicht, sondern die griechische Bauart aus dem
tieferen Verständniß ihres Wesens „auf die Bedingungen der neuen Weltperiode
erweitern". Dies Letztere war überhaupt nicht möglich oder nur so, daß er
auf die classische Einfachheit und den bezeichnenden Hauptzug der griechischen
Architektur, Kunstform und Construction in Eins zu bilden, doch wieder ver¬
zichtete und hingegen das Eigenthümliche der römischen Bauart herzuzog.
Allerdings bemühte er sich, die Verwerthung der classischen Formen in strengerer
und der antiken Gesetzmäßigkeit mehr angepaßter Weise durchzuführen, als es
die Renaissance gethan. Aber diese Versuche, so achtungswerth sie waren,
blieben das vereinzelte Ergebniß der besonderen Phantasie des Architekten, und
so wenig diese auf seine Schule übergehen konnte, so wenig vermochten jene
die moderne Anschauung und das moderne Bedürfniß ganz zu befriedigen.

Wozu auch erst suchen, was die Zeiten in ihrem geschichtlichen Ver¬
laufe und daher erfüllt, getragen von der Kraft des allgemeinen Lebens schon
gefunden haben: nämlich die künstlerische Gestalt für die neuen Bedürfnissemit
Hilfe der classischen Formen? Rom war es ja, welche die griechische Architek¬
tur in sich aufnahm und mit ihren immergiltigen Elementen Rundbogen- und
Gewvlveformen verbindend, die Bauzwecke eines die Welt umfassenden Reiches
zu befriedigen wußte. An Rom knüpfte dann die Renaissance an, um dem
modernen Geiste, "als er aus dem Jenseits auf diese Welt zurückgekehrt von
ihr wieder Besitz ergriff, die künstlerische Stätte zu bereiten für ein echtmensch¬
liches Leben. So ist uns, wie ein früherer Artikel auseinandersetzte, durch die
Renaissance der Weg vorgezeichnet, den die bauende Gegenwart zu gehen
hat, sie hat zugleich die Brücke geschlagen, auf welcher die Antike in die
Architektur unseres Jahrhunderts einzieht. Das soll uns freilich nicht hindern,
zugleich zu der ewig giltigen Norm, dem läuternden Maß der griechischen
Formen zurückzugreifen, um an der sicher führenden Hand ihrer gesetzmäßigen
Schönheit und Klarheit die Renaissance fortzubilden. Diese aber hat die künst¬
lerische Gesammtform geschaffen, die auch unser Leben in sich zu fassen vermag.
Denn sie hat dem ersten Gesetz aller architektonischen Kunst auch für
unsere Zeit den treffenden Ausdruck gegeben: dem nämlich, daß nicht —
wie nun das Vorurtheil fast aller Gebildeten dieser nüchternen Zeit ist —der
Kunstbau blos die Construction als solche deutlich auszusprechen
habe, sondern vor allem der freie Schein eines künstlerischen Or¬
ganismus ist, entfesselt von dem Bedürfniß, soweit es der Kunst widerstrebt,
ein harmonisches Ganze schöner Formen, beschlossen in sich wie die lebendige
Gestalt, das die Arbeit der Construction und die Prosa des Zwecks in ein ge¬
diegenes Festgewand hüllt, in dem die Bestimmung des Baus und die innere
Naumanlage wohl ausgesprochen sind, aber erhoben zugleich in die Freiheit
Julius Meyer. idealer aus sich gewordener Erscheinung.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/129>, abgerufen am 12.12.2024.