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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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ebenso widerstreben, als es der Entwickelung der architektonischen Kunst-
form bei den Griechen entgegen ist. Und sicher war bei ihnen, wie
jeder Zweig der Kunst, den sie pflegten, auch der farbige Schmuck der
Gebäude zur höchsten Vollendung ausgebildet: eine Stufenleiter von Tö¬
nen und Farben, von dem zartesten Hauch an, der wie eine dünne (vielleicht
meistens goldgelbe) Lasur den Glanz des Marmors nur dämpfte und belebte bis
zur kräftigen Deckfarbe, welche die Zeichnung als selbständige Form in die
Glieder gleichsam einschnitt oder plastisch von ihnen abhob.

Und wie bei den Griechen die Kunst überhaupt vom Leben ganz durch¬
drungen, das Leben in die Kunst ganz eingegangen war: so war auch das
Werk der monumentalen Architektur durchaus belebt. In ihm war nichts von
dem kühlen Ernst und der erhabenen Strenge, welche manche von den nüch¬
ternen Nachbildungen unserer Zeit auch auf jene übertragen wollen. Vielmehr,
wie dem Griechen die Natur von der frohen Schaar der Götter und Halbgöt¬
ter belebt, die Quellen von Najaden, die Wälder von Dryaden und Satyrn,
das Meer von Tritonen und Nereiden bevölkert waren, so belebten ihm die
Säulenhallen des Tempels die Gestalten der Schwesterkünste. Die Malerei
deckte die Wände, deren Flächen bestimmt waren, die reiche Fülle ihrer Bil¬
dungen aufzunehmen und in den Jntercvlumnien schienen sich die plastischen
Gebilde wie die Götter selber zu bewegen (auch diese farbig nach dem¬
selben Princip wie die Architektur; weder das Fleisch noch die Ge¬
wandung naturalistisch, sondern auch hier der Glanz des Steins gemildert
durch den warmen Hauch eines feinen Colorits, das die plastische Gestalt mit
der umgebenden Welt in Einklang brachte), Dazu kam der mannigfaltige
bunte Schmuck der Draperien und Teppiche. Und so vermittelte die Architek-
tur die Kunst mit dem Leben, indem sie jene in dieses überführte und für
beide den gemeinsamen Boden abgab, ganz ebenso, wie sich durch die Säulen¬
halle das Heiligthum selber dem Leben öffnete und der Grieche nicht zwischen
den Mauern des Privathauses sein Dasein zubrachte, sondern in heiterem
Verkehr unter freiem Himmel, im Angesicht der von den Göttern bewohnten
Tempel oder in den Arkadengängen der öffentlichen Gebäude.

Blicken wir von diesem Bilde der griechischen Architektur hinüber nach
den modernen Nachbildungen der classischen Bauweise: so befremdet uns nicht
mehr die kalte und nüchterne Wirkung, welche diese Bauten, offen gestanden,
auch für das gebildete Auge haben. Sie sind wie das prächtige Haus, das,
als es eben durch die letzte vollendete Hand seinen künstlerischen Schmuck erhalten
sollte, unfertig, unbewohnt und unbelebt stehen blieb; denn der reiche Kunst¬
freund, der es bauen Ueß. starb in demselben Augenblick, da gerade Maurer
und Steinmetzen ihre Arbeit beendet hatten. So blos steinerne Form, wenn
auch im Material durchgebildet, ist die Gestalt in der Wucht des Stoffs noch


ebenso widerstreben, als es der Entwickelung der architektonischen Kunst-
form bei den Griechen entgegen ist. Und sicher war bei ihnen, wie
jeder Zweig der Kunst, den sie pflegten, auch der farbige Schmuck der
Gebäude zur höchsten Vollendung ausgebildet: eine Stufenleiter von Tö¬
nen und Farben, von dem zartesten Hauch an, der wie eine dünne (vielleicht
meistens goldgelbe) Lasur den Glanz des Marmors nur dämpfte und belebte bis
zur kräftigen Deckfarbe, welche die Zeichnung als selbständige Form in die
Glieder gleichsam einschnitt oder plastisch von ihnen abhob.

Und wie bei den Griechen die Kunst überhaupt vom Leben ganz durch¬
drungen, das Leben in die Kunst ganz eingegangen war: so war auch das
Werk der monumentalen Architektur durchaus belebt. In ihm war nichts von
dem kühlen Ernst und der erhabenen Strenge, welche manche von den nüch¬
ternen Nachbildungen unserer Zeit auch auf jene übertragen wollen. Vielmehr,
wie dem Griechen die Natur von der frohen Schaar der Götter und Halbgöt¬
ter belebt, die Quellen von Najaden, die Wälder von Dryaden und Satyrn,
das Meer von Tritonen und Nereiden bevölkert waren, so belebten ihm die
Säulenhallen des Tempels die Gestalten der Schwesterkünste. Die Malerei
deckte die Wände, deren Flächen bestimmt waren, die reiche Fülle ihrer Bil¬
dungen aufzunehmen und in den Jntercvlumnien schienen sich die plastischen
Gebilde wie die Götter selber zu bewegen (auch diese farbig nach dem¬
selben Princip wie die Architektur; weder das Fleisch noch die Ge¬
wandung naturalistisch, sondern auch hier der Glanz des Steins gemildert
durch den warmen Hauch eines feinen Colorits, das die plastische Gestalt mit
der umgebenden Welt in Einklang brachte), Dazu kam der mannigfaltige
bunte Schmuck der Draperien und Teppiche. Und so vermittelte die Architek-
tur die Kunst mit dem Leben, indem sie jene in dieses überführte und für
beide den gemeinsamen Boden abgab, ganz ebenso, wie sich durch die Säulen¬
halle das Heiligthum selber dem Leben öffnete und der Grieche nicht zwischen
den Mauern des Privathauses sein Dasein zubrachte, sondern in heiterem
Verkehr unter freiem Himmel, im Angesicht der von den Göttern bewohnten
Tempel oder in den Arkadengängen der öffentlichen Gebäude.

Blicken wir von diesem Bilde der griechischen Architektur hinüber nach
den modernen Nachbildungen der classischen Bauweise: so befremdet uns nicht
mehr die kalte und nüchterne Wirkung, welche diese Bauten, offen gestanden,
auch für das gebildete Auge haben. Sie sind wie das prächtige Haus, das,
als es eben durch die letzte vollendete Hand seinen künstlerischen Schmuck erhalten
sollte, unfertig, unbewohnt und unbelebt stehen blieb; denn der reiche Kunst¬
freund, der es bauen Ueß. starb in demselben Augenblick, da gerade Maurer
und Steinmetzen ihre Arbeit beendet hatten. So blos steinerne Form, wenn
auch im Material durchgebildet, ist die Gestalt in der Wucht des Stoffs noch


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[0127] ebenso widerstreben, als es der Entwickelung der architektonischen Kunst- form bei den Griechen entgegen ist. Und sicher war bei ihnen, wie jeder Zweig der Kunst, den sie pflegten, auch der farbige Schmuck der Gebäude zur höchsten Vollendung ausgebildet: eine Stufenleiter von Tö¬ nen und Farben, von dem zartesten Hauch an, der wie eine dünne (vielleicht meistens goldgelbe) Lasur den Glanz des Marmors nur dämpfte und belebte bis zur kräftigen Deckfarbe, welche die Zeichnung als selbständige Form in die Glieder gleichsam einschnitt oder plastisch von ihnen abhob. Und wie bei den Griechen die Kunst überhaupt vom Leben ganz durch¬ drungen, das Leben in die Kunst ganz eingegangen war: so war auch das Werk der monumentalen Architektur durchaus belebt. In ihm war nichts von dem kühlen Ernst und der erhabenen Strenge, welche manche von den nüch¬ ternen Nachbildungen unserer Zeit auch auf jene übertragen wollen. Vielmehr, wie dem Griechen die Natur von der frohen Schaar der Götter und Halbgöt¬ ter belebt, die Quellen von Najaden, die Wälder von Dryaden und Satyrn, das Meer von Tritonen und Nereiden bevölkert waren, so belebten ihm die Säulenhallen des Tempels die Gestalten der Schwesterkünste. Die Malerei deckte die Wände, deren Flächen bestimmt waren, die reiche Fülle ihrer Bil¬ dungen aufzunehmen und in den Jntercvlumnien schienen sich die plastischen Gebilde wie die Götter selber zu bewegen (auch diese farbig nach dem¬ selben Princip wie die Architektur; weder das Fleisch noch die Ge¬ wandung naturalistisch, sondern auch hier der Glanz des Steins gemildert durch den warmen Hauch eines feinen Colorits, das die plastische Gestalt mit der umgebenden Welt in Einklang brachte), Dazu kam der mannigfaltige bunte Schmuck der Draperien und Teppiche. Und so vermittelte die Architek- tur die Kunst mit dem Leben, indem sie jene in dieses überführte und für beide den gemeinsamen Boden abgab, ganz ebenso, wie sich durch die Säulen¬ halle das Heiligthum selber dem Leben öffnete und der Grieche nicht zwischen den Mauern des Privathauses sein Dasein zubrachte, sondern in heiterem Verkehr unter freiem Himmel, im Angesicht der von den Göttern bewohnten Tempel oder in den Arkadengängen der öffentlichen Gebäude. Blicken wir von diesem Bilde der griechischen Architektur hinüber nach den modernen Nachbildungen der classischen Bauweise: so befremdet uns nicht mehr die kalte und nüchterne Wirkung, welche diese Bauten, offen gestanden, auch für das gebildete Auge haben. Sie sind wie das prächtige Haus, das, als es eben durch die letzte vollendete Hand seinen künstlerischen Schmuck erhalten sollte, unfertig, unbewohnt und unbelebt stehen blieb; denn der reiche Kunst¬ freund, der es bauen Ueß. starb in demselben Augenblick, da gerade Maurer und Steinmetzen ihre Arbeit beendet hatten. So blos steinerne Form, wenn auch im Material durchgebildet, ist die Gestalt in der Wucht des Stoffs noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/127>, abgerufen am 26.06.2024.