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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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dem sie seine großen structiven Formen mit einem feinen Farbenhauch überzog
(die /5"<xH, durch den der Glanz des Steines gemildert und erwärmt zugleich
durchschimmerte; dagegen die feineren verbindenden, vermittelnden, trennenden
Glieder, in denen, wie in den Gelenken des Körpers die bewegende Kraft des
Baues sich zusammenfaßt, durch Ornamente von ausdrucksvoller Zeichnung und
satterer Deckfarbe hervorhob. Das also war die Vollendung der griechischen
Kunst: auch hier kein Prunken mit der Kostbarkeit des Stoffes, noch mit der
Feinheit der technischen Arbeit; sondern die Materie wie die Anstrengung aus¬
gehoben in die feine künstlerische Hülle, welche die Schönheit des Steines so¬
wie die der Ausführung nur als formale Elemente durch sich hindurchleuchten
ließ; in den beseelten malerischen Schein, der das gemessene Gefüge des leblosen
Stoffes in die bewegte Welt der lebendigen Gebilde hinüberführt.*) Also
nicht ein willkürlich umgelegtes Kleid war das Festgewand der
Architektur, sondern die Erscheinung, die der bauliche Gedanke
von vorn herein als seinen noth wendigen Ausdruck in sich trug,
und so ist auch die leichte farbige Hülle, welche über den Marmor
gegossen ist, wie der letzte geistige Hauch, in dem das innere
Leben sich aus spricht. Wie sehr der antiken Kunst in ihrer Vollendung
diese Idealität des künstlerischen Scheins eigenthümlich war, beweist auch dies
daß erst dann, als sie sich ihrem Verfalle zuneigte, an die Stelle der idealen
Farbendecke die natürliche Buntheit des Materials, der vielfarbige Mar¬
mor trat.

Jenes Mittelding von Polychromie aber, das kleinere Flächen und Glie¬
derungen mit bunten Farben bedeckt und die Hauptformen in dem farblosen
Weiß des Steines beläßt -- statt der Ausdruck "maßvoller" griechischer Kunst
zu sein, ist es nicht vielmehr ein echtes Erzeugniß der modernen Anschauung,
die sich so sehr in der Vereinigung der Gegensätze gefällt, aber es immer nur
zu einer unklaren Vermischung bringt? Nicht das Bild einer halbgemalten Figur,
deren Rumpf und Beine noch die graue Untermalung zeigen, Kopf, Hände und
Füße aber schon ausgeführt sind? Das glänzende Weiß des Marmors, durch
das südliche Licht ins Grelle, Blendende gesteigert, der Contrast des Bunten
und Farblosen (denn bunt wirkt immer die Farbe neben dem unvermittelter
Gegensatz des Weiß), das Halbe und Unfertige, das ein solches Neben¬
einander mit sich bringt: das alles mußte dem feinen griechischen Auge



*) Der Ansicht von der durchgängigen Polychromie hat man auch das entgegengehalten,
daß die seine Färbung der großen structiven Flächen, die besonders den Einflüssen der Wit¬
terung ausgesetzt waren, allzubald habe verschwinden müssen. Aber es ist unzweifelhaft, daß
man dieselben durch einen farblosen, durchsichtigen, eingebrannten Wachsüberzug schützte.
Unter unserem Himmel freilich würde auch dies nicht viel helfen, auch wenn wir die aus¬
gebildete Technik der Alten besäßen.

dem sie seine großen structiven Formen mit einem feinen Farbenhauch überzog
(die /5«<xH, durch den der Glanz des Steines gemildert und erwärmt zugleich
durchschimmerte; dagegen die feineren verbindenden, vermittelnden, trennenden
Glieder, in denen, wie in den Gelenken des Körpers die bewegende Kraft des
Baues sich zusammenfaßt, durch Ornamente von ausdrucksvoller Zeichnung und
satterer Deckfarbe hervorhob. Das also war die Vollendung der griechischen
Kunst: auch hier kein Prunken mit der Kostbarkeit des Stoffes, noch mit der
Feinheit der technischen Arbeit; sondern die Materie wie die Anstrengung aus¬
gehoben in die feine künstlerische Hülle, welche die Schönheit des Steines so¬
wie die der Ausführung nur als formale Elemente durch sich hindurchleuchten
ließ; in den beseelten malerischen Schein, der das gemessene Gefüge des leblosen
Stoffes in die bewegte Welt der lebendigen Gebilde hinüberführt.*) Also
nicht ein willkürlich umgelegtes Kleid war das Festgewand der
Architektur, sondern die Erscheinung, die der bauliche Gedanke
von vorn herein als seinen noth wendigen Ausdruck in sich trug,
und so ist auch die leichte farbige Hülle, welche über den Marmor
gegossen ist, wie der letzte geistige Hauch, in dem das innere
Leben sich aus spricht. Wie sehr der antiken Kunst in ihrer Vollendung
diese Idealität des künstlerischen Scheins eigenthümlich war, beweist auch dies
daß erst dann, als sie sich ihrem Verfalle zuneigte, an die Stelle der idealen
Farbendecke die natürliche Buntheit des Materials, der vielfarbige Mar¬
mor trat.

Jenes Mittelding von Polychromie aber, das kleinere Flächen und Glie¬
derungen mit bunten Farben bedeckt und die Hauptformen in dem farblosen
Weiß des Steines beläßt — statt der Ausdruck „maßvoller" griechischer Kunst
zu sein, ist es nicht vielmehr ein echtes Erzeugniß der modernen Anschauung,
die sich so sehr in der Vereinigung der Gegensätze gefällt, aber es immer nur
zu einer unklaren Vermischung bringt? Nicht das Bild einer halbgemalten Figur,
deren Rumpf und Beine noch die graue Untermalung zeigen, Kopf, Hände und
Füße aber schon ausgeführt sind? Das glänzende Weiß des Marmors, durch
das südliche Licht ins Grelle, Blendende gesteigert, der Contrast des Bunten
und Farblosen (denn bunt wirkt immer die Farbe neben dem unvermittelter
Gegensatz des Weiß), das Halbe und Unfertige, das ein solches Neben¬
einander mit sich bringt: das alles mußte dem feinen griechischen Auge



*) Der Ansicht von der durchgängigen Polychromie hat man auch das entgegengehalten,
daß die seine Färbung der großen structiven Flächen, die besonders den Einflüssen der Wit¬
terung ausgesetzt waren, allzubald habe verschwinden müssen. Aber es ist unzweifelhaft, daß
man dieselben durch einen farblosen, durchsichtigen, eingebrannten Wachsüberzug schützte.
Unter unserem Himmel freilich würde auch dies nicht viel helfen, auch wenn wir die aus¬
gebildete Technik der Alten besäßen.
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[0126] dem sie seine großen structiven Formen mit einem feinen Farbenhauch überzog (die /5«<xH, durch den der Glanz des Steines gemildert und erwärmt zugleich durchschimmerte; dagegen die feineren verbindenden, vermittelnden, trennenden Glieder, in denen, wie in den Gelenken des Körpers die bewegende Kraft des Baues sich zusammenfaßt, durch Ornamente von ausdrucksvoller Zeichnung und satterer Deckfarbe hervorhob. Das also war die Vollendung der griechischen Kunst: auch hier kein Prunken mit der Kostbarkeit des Stoffes, noch mit der Feinheit der technischen Arbeit; sondern die Materie wie die Anstrengung aus¬ gehoben in die feine künstlerische Hülle, welche die Schönheit des Steines so¬ wie die der Ausführung nur als formale Elemente durch sich hindurchleuchten ließ; in den beseelten malerischen Schein, der das gemessene Gefüge des leblosen Stoffes in die bewegte Welt der lebendigen Gebilde hinüberführt.*) Also nicht ein willkürlich umgelegtes Kleid war das Festgewand der Architektur, sondern die Erscheinung, die der bauliche Gedanke von vorn herein als seinen noth wendigen Ausdruck in sich trug, und so ist auch die leichte farbige Hülle, welche über den Marmor gegossen ist, wie der letzte geistige Hauch, in dem das innere Leben sich aus spricht. Wie sehr der antiken Kunst in ihrer Vollendung diese Idealität des künstlerischen Scheins eigenthümlich war, beweist auch dies daß erst dann, als sie sich ihrem Verfalle zuneigte, an die Stelle der idealen Farbendecke die natürliche Buntheit des Materials, der vielfarbige Mar¬ mor trat. Jenes Mittelding von Polychromie aber, das kleinere Flächen und Glie¬ derungen mit bunten Farben bedeckt und die Hauptformen in dem farblosen Weiß des Steines beläßt — statt der Ausdruck „maßvoller" griechischer Kunst zu sein, ist es nicht vielmehr ein echtes Erzeugniß der modernen Anschauung, die sich so sehr in der Vereinigung der Gegensätze gefällt, aber es immer nur zu einer unklaren Vermischung bringt? Nicht das Bild einer halbgemalten Figur, deren Rumpf und Beine noch die graue Untermalung zeigen, Kopf, Hände und Füße aber schon ausgeführt sind? Das glänzende Weiß des Marmors, durch das südliche Licht ins Grelle, Blendende gesteigert, der Contrast des Bunten und Farblosen (denn bunt wirkt immer die Farbe neben dem unvermittelter Gegensatz des Weiß), das Halbe und Unfertige, das ein solches Neben¬ einander mit sich bringt: das alles mußte dem feinen griechischen Auge *) Der Ansicht von der durchgängigen Polychromie hat man auch das entgegengehalten, daß die seine Färbung der großen structiven Flächen, die besonders den Einflüssen der Wit¬ terung ausgesetzt waren, allzubald habe verschwinden müssen. Aber es ist unzweifelhaft, daß man dieselben durch einen farblosen, durchsichtigen, eingebrannten Wachsüberzug schützte. Unter unserem Himmel freilich würde auch dies nicht viel helfen, auch wenn wir die aus¬ gebildete Technik der Alten besäßen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/126>, abgerufen am 26.06.2024.