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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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hellen Glanz des Marmors die Rede ist, widersprechen, wie wir gleich sehen
werden, der ersteren Annahme nicht). Man nahm nun an -- und diese mitt¬
lere Ansicht fand bald allgemeine Verbreitung -- daß der Farbenschmuck an
den Gebäuden stellenweise angebracht war: an gewissen Gliedern, um die
architektonische Form mehr hervorzuheben, sowie als Grund der Flächen, von
denen sich die plastische Ausstattung abheben sollte, daß ferner in der Entwicke¬
lung von der dorischen zur korinthischen Ordnung die Bemalung immer mehr
zurückgetreten sei, um der Erscheinung des edlen Materials und der feineren
Steinarbeit Platz zu machen. So lange aber die Acten der Untersuchung nicht
durch eine gründliche Combination jener Nachrichten und Forschungen -- eine
Arbeit, die sehr dankenswert!) wäre -- geschlossen sind, so lange hat nur die¬
jenige der beiden Ansichten die größere Wahrscheinlichkeit, welche in das We¬
sen der griechischen Kunst und in das Verständniß ihrer geschichtlichen Entwick¬
lung tiefer einzuführen vermag.

Das wohl läßt sich nun mit Semper als sicher betrachten, daß die mo¬
numentale Architektur der Alten vom Princip der Bekleidung ausging.
Nicht die Erscheinung der Construction als solcher bestimmte die
künstlerische Form (wie dies in der Gothik der Fall ist), sondern diese
umschloß den Bau wie ein Festgewand, in dem die vollendete Kunst der Grie¬
chen die structive Form allerdings zum Ausdruck brachte -- so daß nirgends
bloße Decoration sich zeigte, sondern in jeder bekleidenden Zierde die statische
Wirkung der Glieder wie in leiseren oder stärkerem Nachklang noch einmal
anschlug -- aber ebensowol die technische Arbeit, als die Anstrengung und die
Schwere des Stoffs verdeckte. Frei also, wie gewachsen, in sich beschlossen sprach
sich in der Erscheinung des Gebäudes das zu Grunde liegende structive Schema
aus, wie etwa in der Haut des menschlichen Körpers die Thätigkeit der Mus¬
keln und das Gerüst der Knochen sich kundgiebt. Ja, so genau war das Kleid
der Kunstform zugleich der Ausdruck jenes Schemas, daß beide zu untrennbarer
Einheit in einander übergegangen sind: eine Harmonie der Bollendung, die
blos den glücklichen Griechen vergönnt war. Aber dennoch war die Construc¬
tion selber durchaus unsichtbar" der griechische Bau hatte die Angst und Mühe
des Werdens überstanden, und eine gegossene Form, wie eine ewige, unver¬
wüstlichen Schöpfung stand er vor Augen, während doch zugleich in der schönen
Oberfläche ein lebendiges Werden zu Pulsiren, sich zu bewegen schien. Es ist
hier nicht der Ort, näher zu verfolgen, wie zu dieser Freiheit des architekto¬
nischen Scheins die Kunst in allmäliger Entwicklung gelangte; wie sie von der
Inkrustation mit Metallen u. s. f. auf Holz ausging, dann den porösen Stein
ergriff, um ihn mit gemaltem Stuck zu bekleiden und endlich im edelsten Ma¬
terial, dem pentelischen Marmor, den Gegensatz von Hülle und constructivem
Stoff vollends auslöschte. Aber auch diesem gab sie das künstlerische Kleid, in-


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hellen Glanz des Marmors die Rede ist, widersprechen, wie wir gleich sehen
werden, der ersteren Annahme nicht). Man nahm nun an — und diese mitt¬
lere Ansicht fand bald allgemeine Verbreitung — daß der Farbenschmuck an
den Gebäuden stellenweise angebracht war: an gewissen Gliedern, um die
architektonische Form mehr hervorzuheben, sowie als Grund der Flächen, von
denen sich die plastische Ausstattung abheben sollte, daß ferner in der Entwicke¬
lung von der dorischen zur korinthischen Ordnung die Bemalung immer mehr
zurückgetreten sei, um der Erscheinung des edlen Materials und der feineren
Steinarbeit Platz zu machen. So lange aber die Acten der Untersuchung nicht
durch eine gründliche Combination jener Nachrichten und Forschungen — eine
Arbeit, die sehr dankenswert!) wäre — geschlossen sind, so lange hat nur die¬
jenige der beiden Ansichten die größere Wahrscheinlichkeit, welche in das We¬
sen der griechischen Kunst und in das Verständniß ihrer geschichtlichen Entwick¬
lung tiefer einzuführen vermag.

Das wohl läßt sich nun mit Semper als sicher betrachten, daß die mo¬
numentale Architektur der Alten vom Princip der Bekleidung ausging.
Nicht die Erscheinung der Construction als solcher bestimmte die
künstlerische Form (wie dies in der Gothik der Fall ist), sondern diese
umschloß den Bau wie ein Festgewand, in dem die vollendete Kunst der Grie¬
chen die structive Form allerdings zum Ausdruck brachte — so daß nirgends
bloße Decoration sich zeigte, sondern in jeder bekleidenden Zierde die statische
Wirkung der Glieder wie in leiseren oder stärkerem Nachklang noch einmal
anschlug — aber ebensowol die technische Arbeit, als die Anstrengung und die
Schwere des Stoffs verdeckte. Frei also, wie gewachsen, in sich beschlossen sprach
sich in der Erscheinung des Gebäudes das zu Grunde liegende structive Schema
aus, wie etwa in der Haut des menschlichen Körpers die Thätigkeit der Mus¬
keln und das Gerüst der Knochen sich kundgiebt. Ja, so genau war das Kleid
der Kunstform zugleich der Ausdruck jenes Schemas, daß beide zu untrennbarer
Einheit in einander übergegangen sind: eine Harmonie der Bollendung, die
blos den glücklichen Griechen vergönnt war. Aber dennoch war die Construc¬
tion selber durchaus unsichtbar» der griechische Bau hatte die Angst und Mühe
des Werdens überstanden, und eine gegossene Form, wie eine ewige, unver¬
wüstlichen Schöpfung stand er vor Augen, während doch zugleich in der schönen
Oberfläche ein lebendiges Werden zu Pulsiren, sich zu bewegen schien. Es ist
hier nicht der Ort, näher zu verfolgen, wie zu dieser Freiheit des architekto¬
nischen Scheins die Kunst in allmäliger Entwicklung gelangte; wie sie von der
Inkrustation mit Metallen u. s. f. auf Holz ausging, dann den porösen Stein
ergriff, um ihn mit gemaltem Stuck zu bekleiden und endlich im edelsten Ma¬
terial, dem pentelischen Marmor, den Gegensatz von Hülle und constructivem
Stoff vollends auslöschte. Aber auch diesem gab sie das künstlerische Kleid, in-


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[0125] hellen Glanz des Marmors die Rede ist, widersprechen, wie wir gleich sehen werden, der ersteren Annahme nicht). Man nahm nun an — und diese mitt¬ lere Ansicht fand bald allgemeine Verbreitung — daß der Farbenschmuck an den Gebäuden stellenweise angebracht war: an gewissen Gliedern, um die architektonische Form mehr hervorzuheben, sowie als Grund der Flächen, von denen sich die plastische Ausstattung abheben sollte, daß ferner in der Entwicke¬ lung von der dorischen zur korinthischen Ordnung die Bemalung immer mehr zurückgetreten sei, um der Erscheinung des edlen Materials und der feineren Steinarbeit Platz zu machen. So lange aber die Acten der Untersuchung nicht durch eine gründliche Combination jener Nachrichten und Forschungen — eine Arbeit, die sehr dankenswert!) wäre — geschlossen sind, so lange hat nur die¬ jenige der beiden Ansichten die größere Wahrscheinlichkeit, welche in das We¬ sen der griechischen Kunst und in das Verständniß ihrer geschichtlichen Entwick¬ lung tiefer einzuführen vermag. Das wohl läßt sich nun mit Semper als sicher betrachten, daß die mo¬ numentale Architektur der Alten vom Princip der Bekleidung ausging. Nicht die Erscheinung der Construction als solcher bestimmte die künstlerische Form (wie dies in der Gothik der Fall ist), sondern diese umschloß den Bau wie ein Festgewand, in dem die vollendete Kunst der Grie¬ chen die structive Form allerdings zum Ausdruck brachte — so daß nirgends bloße Decoration sich zeigte, sondern in jeder bekleidenden Zierde die statische Wirkung der Glieder wie in leiseren oder stärkerem Nachklang noch einmal anschlug — aber ebensowol die technische Arbeit, als die Anstrengung und die Schwere des Stoffs verdeckte. Frei also, wie gewachsen, in sich beschlossen sprach sich in der Erscheinung des Gebäudes das zu Grunde liegende structive Schema aus, wie etwa in der Haut des menschlichen Körpers die Thätigkeit der Mus¬ keln und das Gerüst der Knochen sich kundgiebt. Ja, so genau war das Kleid der Kunstform zugleich der Ausdruck jenes Schemas, daß beide zu untrennbarer Einheit in einander übergegangen sind: eine Harmonie der Bollendung, die blos den glücklichen Griechen vergönnt war. Aber dennoch war die Construc¬ tion selber durchaus unsichtbar» der griechische Bau hatte die Angst und Mühe des Werdens überstanden, und eine gegossene Form, wie eine ewige, unver¬ wüstlichen Schöpfung stand er vor Augen, während doch zugleich in der schönen Oberfläche ein lebendiges Werden zu Pulsiren, sich zu bewegen schien. Es ist hier nicht der Ort, näher zu verfolgen, wie zu dieser Freiheit des architekto¬ nischen Scheins die Kunst in allmäliger Entwicklung gelangte; wie sie von der Inkrustation mit Metallen u. s. f. auf Holz ausging, dann den porösen Stein ergriff, um ihn mit gemaltem Stuck zu bekleiden und endlich im edelsten Ma¬ terial, dem pentelischen Marmor, den Gegensatz von Hülle und constructivem Stoff vollends auslöschte. Aber auch diesem gab sie das künstlerische Kleid, in- 13*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/125>, abgerufen am 26.06.2024.