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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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-- von der nüchternsten Tünchererfindung. Ein geschickter Zimmermaler dekorirt
mit mehr Farbensinn und Geschmack. Wie sich das gebildete Auge des Architekten
bei diesem Ergebniß beruhigen konnte, wäre geradezu unbegreiflich, wenn sich
nicht vermuthen ließe, daß sich der Baumeister über die noch immer unentschiedene
Streitfrage nach der Polychromie der Alten nicht klar zu werden vermochte und
sich daher ein verkehrtes System zurechtmachte, dessen ebenso willkürliches als
sonderbares Schema ihn im buchstäblichen Sinne des Wortes verblendete.

Bei der Frage nach der Polychromie sind wir an einem Punkte an¬
gelangt, über den endlich zu einem klaren Ergebniß zu kommen sowohl für
das tiefere Verständniß der antiken Kunst als für die richtige Beurtheilung der
modernen classischen Bestrebungen von der größten Wichtigkeit ist. -

So viel schon hat unsere Zeit über die griechische Architektur geschrieben,
so oft schon ihre Denkmäler untersucht; was aber nun unter der Mehrzahl der
Gebildeten über ihr Wesen und ihre Gesetze feststeht, scheint mir zum nicht
geringen Theil mehr auf Vorurtheil, "is auf echter Kenntniß zu beruhen. Jeder
neue Forscher trat in die Fußtapfen der älteren und so gelangten fast alle mit
geringen Abweichungen an dasselbe Ziel. Erst Semper, so finde ich, hat
mit seinem Werke entschieden den richtigen Weg betreten und mit neuen, ein¬
dringenden, fruchtbaren Ideen das echte Verständniß angebahnt, mögen auch
einzelne der polychromen Restaurationen, die er an antiken Gebäuderesten ver¬
sucht hat, nicht gelungen sein. Indessen sind die Fragen, um welche es sich
handelt, zu schwieriger und verwickelter Natur, um hier näher aus sie eingehen
zu können; wir müssen uns mit den Andeutungen begnügen die in den Gegen¬
stand unserer Betrachtung einschlagen, und auf die Stellung, welche die Gegen¬
wart zur Antike hat, einiges Licht zu werfen vermögen.

Bekanntlich hat zuerst Hittorf, dann namentlich Semper nachzuweisen
gesucht, daß auch in der Blüthezeit der griechischen Kunst die Gebäude, selbst
die in edlen Steinarten aufgeführten, ganz mit Farben überzogen gewesen und
daß die natürliche Weiße des Marmors, wo sie stehen blieb, nur die Bedeu¬
tung einer Farbe zwischen anderen gehabt habe. Eine Anschauung, welche das
System der hergebrachten Ansichten über die Antike umzuwerfen drohte und
daher von Seiten der Aesthetiker, wie der Kunsthistoriker -- diese namentlich
durch Kugler vertreten -- den lebhaftesten Widerspruch hervorrief. Der That¬
sache zwar, daß sich an allen griechischen Gebäudetrümmern Spuren von Bemalung
finden, ließ sich nicht mehr entgehen; aber daß sich diese über den ganzen Bau
erstreckt haben sollte, ließ man nicht gelten. Denn dies bis zur Gewißheit aus¬
zumachen, reichen allerdings die uns erhaltenen Nachrichten der alten Schrift¬
steller so wenig aus, wie die bisherigen Ergebnisse der an den Ruinen selbst
angestellten Forschungen: obwol auch das Gegentheil weder auf die eine noch
die andere Weise sich erhärten läßt (die Stellen der Alten, in denen von dem


— von der nüchternsten Tünchererfindung. Ein geschickter Zimmermaler dekorirt
mit mehr Farbensinn und Geschmack. Wie sich das gebildete Auge des Architekten
bei diesem Ergebniß beruhigen konnte, wäre geradezu unbegreiflich, wenn sich
nicht vermuthen ließe, daß sich der Baumeister über die noch immer unentschiedene
Streitfrage nach der Polychromie der Alten nicht klar zu werden vermochte und
sich daher ein verkehrtes System zurechtmachte, dessen ebenso willkürliches als
sonderbares Schema ihn im buchstäblichen Sinne des Wortes verblendete.

Bei der Frage nach der Polychromie sind wir an einem Punkte an¬
gelangt, über den endlich zu einem klaren Ergebniß zu kommen sowohl für
das tiefere Verständniß der antiken Kunst als für die richtige Beurtheilung der
modernen classischen Bestrebungen von der größten Wichtigkeit ist. -

So viel schon hat unsere Zeit über die griechische Architektur geschrieben,
so oft schon ihre Denkmäler untersucht; was aber nun unter der Mehrzahl der
Gebildeten über ihr Wesen und ihre Gesetze feststeht, scheint mir zum nicht
geringen Theil mehr auf Vorurtheil, «is auf echter Kenntniß zu beruhen. Jeder
neue Forscher trat in die Fußtapfen der älteren und so gelangten fast alle mit
geringen Abweichungen an dasselbe Ziel. Erst Semper, so finde ich, hat
mit seinem Werke entschieden den richtigen Weg betreten und mit neuen, ein¬
dringenden, fruchtbaren Ideen das echte Verständniß angebahnt, mögen auch
einzelne der polychromen Restaurationen, die er an antiken Gebäuderesten ver¬
sucht hat, nicht gelungen sein. Indessen sind die Fragen, um welche es sich
handelt, zu schwieriger und verwickelter Natur, um hier näher aus sie eingehen
zu können; wir müssen uns mit den Andeutungen begnügen die in den Gegen¬
stand unserer Betrachtung einschlagen, und auf die Stellung, welche die Gegen¬
wart zur Antike hat, einiges Licht zu werfen vermögen.

Bekanntlich hat zuerst Hittorf, dann namentlich Semper nachzuweisen
gesucht, daß auch in der Blüthezeit der griechischen Kunst die Gebäude, selbst
die in edlen Steinarten aufgeführten, ganz mit Farben überzogen gewesen und
daß die natürliche Weiße des Marmors, wo sie stehen blieb, nur die Bedeu¬
tung einer Farbe zwischen anderen gehabt habe. Eine Anschauung, welche das
System der hergebrachten Ansichten über die Antike umzuwerfen drohte und
daher von Seiten der Aesthetiker, wie der Kunsthistoriker — diese namentlich
durch Kugler vertreten — den lebhaftesten Widerspruch hervorrief. Der That¬
sache zwar, daß sich an allen griechischen Gebäudetrümmern Spuren von Bemalung
finden, ließ sich nicht mehr entgehen; aber daß sich diese über den ganzen Bau
erstreckt haben sollte, ließ man nicht gelten. Denn dies bis zur Gewißheit aus¬
zumachen, reichen allerdings die uns erhaltenen Nachrichten der alten Schrift¬
steller so wenig aus, wie die bisherigen Ergebnisse der an den Ruinen selbst
angestellten Forschungen: obwol auch das Gegentheil weder auf die eine noch
die andere Weise sich erhärten läßt (die Stellen der Alten, in denen von dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/124>, abgerufen am 12.12.2024.