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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Empfindung noch gährender und dunkler Kunstperioden wieder heraufbeschwor,
andrerseits das Banner der nationalen Kunst und der deutschen Originalität
aussteckte. Was die bayerischen Fürsten bewog, diese Richtungen zu unterstützen
und so viel an ihnen war auszubilden, ist an andrer Stelle besprochen;
die Künstler trieb, wie wir gesehen, eine gewisse Strömung des Zeitalters in
diese Bahnen und ein unklares Streben Juans Eigenthümlichkeit. Allein unter
der Decke und manchem unbewußt spielten noch andere Beweggründe: die
Scheu vor dem strengen Studium nach der mustergiltigen Kunst und die Aengst-
lichkeit, in einer gewissen conventionellen Nachbildung stecken zu bleiben. Es
war weit bequemer, sich blos an die Natur oder an minder entwickelte Formen
zu halten und im stillen Bewußtsein, daß man über deren befangene Anschauung
doch hinaus sei, ihre Weiterbildung keck in die Hand zu nehmen. Denn Männer wie
Overbeck, dem es mit der frommen Versenkung in die umbrische Schule wenig¬
stens eine Zeit lang Ernst war, gab es wenige. Die vollendeten Formen der
Antike und der Renaissance, so machte man sich vor, seien der abgeschlossene
Ausdruck einer in sich erfüllten Lebensauffassung und Ideenwelt, von diesen
nicht abtrennbar und in ihrer fertigen Erscheinung eine Fessel für die Freiheit
der modernen Phantasie. Man liebte es, als abschreckendes Beispiel einer ge¬
spreizten Klassicität, welche die Eigenthümlichkeit abtödte, die davidsche Schule
anzuführen, ja an den Erneuerern der deutschen Kunst Schick und Wächter
bei kühler Anerkennung den Mangel an schöpferischer Kraft und lebendiger Ge¬
staltung hervorzuheben, an Karstens endlich zu tadeln, daß er in michelange-
lesker Formen befangen es zum Maler nicht habe bringen können. Daß in
der Architektur Klenze über eine mittelmäßige Nachahmung nicht hinausgekommen,
War nun vollends gewiß. Wenn nur die Herren selber, die mit achselzuckender
Weisheit derlei Dinge vorbrachten, die Eigenschaften besessen hätten, deren
Mangel sie an jenen rügten! Doch die Beispiele selber waren unpassend und
zeugten von der beschränkten Reflexion, die absprechender Emporkömmlingen
eigen ist.

Jede ncuanhebende Kunst sucht sich an den überlieferten Mustern der Ver¬
gangenheit zu bilden, und es ist natürlich, daß ihre noch ungeübte Hand nicht
sofort deren Formvollendung erreicht oder, von der Ungeduld der Production
getrieben, blos ihren äußeren Schein äußerlich sich aneignet. Denn nur all-
mälig, durch hingebende Liebe und Arbeit erhält die neue Zeit die Fähigkeit,
in ihren jugendlichen Schooß die reife Frucht der vorangegangenen aufzunehmen.
Machte sich denn die erwachende italienische Kunst mit einem Griff die Formen-
schönheit der Antike zu eigen? Fast drei Jahrhunderte liegen zwischen Nicolo
Pisano und Raphael, und so oft auch die Neubelebung des Alterthums unter¬
brochen, derselben die eigene Empfindung der Zeit, ihre malerische Anschauung
und der Anschluß an die Natur entgegenzutreten schienen- dennoch nahm sie in


Empfindung noch gährender und dunkler Kunstperioden wieder heraufbeschwor,
andrerseits das Banner der nationalen Kunst und der deutschen Originalität
aussteckte. Was die bayerischen Fürsten bewog, diese Richtungen zu unterstützen
und so viel an ihnen war auszubilden, ist an andrer Stelle besprochen;
die Künstler trieb, wie wir gesehen, eine gewisse Strömung des Zeitalters in
diese Bahnen und ein unklares Streben Juans Eigenthümlichkeit. Allein unter
der Decke und manchem unbewußt spielten noch andere Beweggründe: die
Scheu vor dem strengen Studium nach der mustergiltigen Kunst und die Aengst-
lichkeit, in einer gewissen conventionellen Nachbildung stecken zu bleiben. Es
war weit bequemer, sich blos an die Natur oder an minder entwickelte Formen
zu halten und im stillen Bewußtsein, daß man über deren befangene Anschauung
doch hinaus sei, ihre Weiterbildung keck in die Hand zu nehmen. Denn Männer wie
Overbeck, dem es mit der frommen Versenkung in die umbrische Schule wenig¬
stens eine Zeit lang Ernst war, gab es wenige. Die vollendeten Formen der
Antike und der Renaissance, so machte man sich vor, seien der abgeschlossene
Ausdruck einer in sich erfüllten Lebensauffassung und Ideenwelt, von diesen
nicht abtrennbar und in ihrer fertigen Erscheinung eine Fessel für die Freiheit
der modernen Phantasie. Man liebte es, als abschreckendes Beispiel einer ge¬
spreizten Klassicität, welche die Eigenthümlichkeit abtödte, die davidsche Schule
anzuführen, ja an den Erneuerern der deutschen Kunst Schick und Wächter
bei kühler Anerkennung den Mangel an schöpferischer Kraft und lebendiger Ge¬
staltung hervorzuheben, an Karstens endlich zu tadeln, daß er in michelange-
lesker Formen befangen es zum Maler nicht habe bringen können. Daß in
der Architektur Klenze über eine mittelmäßige Nachahmung nicht hinausgekommen,
War nun vollends gewiß. Wenn nur die Herren selber, die mit achselzuckender
Weisheit derlei Dinge vorbrachten, die Eigenschaften besessen hätten, deren
Mangel sie an jenen rügten! Doch die Beispiele selber waren unpassend und
zeugten von der beschränkten Reflexion, die absprechender Emporkömmlingen
eigen ist.

Jede ncuanhebende Kunst sucht sich an den überlieferten Mustern der Ver¬
gangenheit zu bilden, und es ist natürlich, daß ihre noch ungeübte Hand nicht
sofort deren Formvollendung erreicht oder, von der Ungeduld der Production
getrieben, blos ihren äußeren Schein äußerlich sich aneignet. Denn nur all-
mälig, durch hingebende Liebe und Arbeit erhält die neue Zeit die Fähigkeit,
in ihren jugendlichen Schooß die reife Frucht der vorangegangenen aufzunehmen.
Machte sich denn die erwachende italienische Kunst mit einem Griff die Formen-
schönheit der Antike zu eigen? Fast drei Jahrhunderte liegen zwischen Nicolo
Pisano und Raphael, und so oft auch die Neubelebung des Alterthums unter¬
brochen, derselben die eigene Empfindung der Zeit, ihre malerische Anschauung
und der Anschluß an die Natur entgegenzutreten schienen- dennoch nahm sie in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/95>, abgerufen am 23.07.2024.