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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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weil dann zu Tage kommt, wie viel ihm zum Ausdruck und zur Fülle des
Lebens fehlt. Denn im Grunde ist dieses Spiel unschöpferisch und gestaltungs¬
los, weil dem Künstler, wie viel die Natur auch sonst ihm gegeben haben
mag, die vornehmsten Bedingungen des künstlerischen Schaffens fehlen: der
Ernst, die Begeisterung und die Empfindung für die still in sich erfüllte Schön¬
heit, nicht zu rechnen, daß bei ihm, dem Meister des Scheins, auch die Be¬
herrschung der Darstellungsmittel, die gründliche Formenkenntniß -- nur
Schein ist.

Doch von Kaulbach ist in d. Bl> schon oft die Rede gewesen. Hier ge¬
hörte er her, weil er die Richtung unserer Kunst, welche nur auf ihren eigenen
Füßen stehen und deutsches Wesen zum Ausdruck bringen will, auch ohne daß
er es Wort hat, zu einer Art von Abschluß, bringt. Mag auch bisweilen seine
Formengebung die raphaelische Anmuth und Reinheit uns vorspiegeln wollen:
von dem edlen Blut der italienischen Anschauung ist schon deshalb kein Tropfen
in ihm, weil ihm die Gestalt nur ein Gefäß ist für den Sinn, den er hinein¬
legt, und der ihr umgehängte Formenschein nichts weiter als ein Reizmittel.
Auch ihm fehlt, wie der ganzen Richtung, der wir ihn zugezählt haben, das
tiefere Verständniß, die Vollendung der Form (im weitesten Sinne des Wortes),
welche allein dem Kunstgebilde das beseelende Gepräge des Lebens giebt, auch
ihm ist der Inhalt, der ausgedrückt werden soll, sei er nun mehr geistiger
oder mehr sinnlicher Natur, die Hauptsache.

Diese Merkmale sind es auch, welche die auf ihre Selbständigkeit so eifer¬
süchtige "nationale" Kunst mit jenen Erneuerungen halbentwickelter Kunstweisen
der Vergangenheit gemein hat. Fast überall derselbe Mangel liebevoller Durch¬
führung, dasselbe Unvermögen zu der Durchdringung der Form mit dem vollen
Schein des Lebens, die doch allein dem Kunstwerk seinen wahren bleibenden
Reiz geben. Das gilt nicht blos von der Malerei -- es ist immer von
der monumentalen die Rede -- sondern ebenso von der Münchner Architektur,
die von den Bauten Gärtners an bis zu dem "modernen Baustil" herab die¬
selben Erscheinungen zeigt, und von der Plastik, die doch vor allem auf lebendige
Durchbildung der Gestalt angewiesen ist. Auch sie sucht, in ihrer gegenwärtigen
Hauptaufgabe der BildnWcttuen zwischen modernem Realismus und antiker
Formenidealität bin- und herschwankcnd, eine eingebildete und schließlich doch
unsichere Selbständigkeit und versäumt darüber die künstlerische Vollendung.
Für die Malerei aber dieser ganzen Richtung ist es bezeichnend, daß die Meister
es gemeinhin nur bis zum Carton bringen und die farbige Ausführung den
Schülerhänden überlassen; für die Architektur, daß von Jahr zu Jahr das Bau¬
handwerk mittelmäßiger und die Ausführung der Ornamente roher, unsicherer
und schablonenhafter wird.

Das also ist damit erreicht worden, daß man einerseits die mystische


weil dann zu Tage kommt, wie viel ihm zum Ausdruck und zur Fülle des
Lebens fehlt. Denn im Grunde ist dieses Spiel unschöpferisch und gestaltungs¬
los, weil dem Künstler, wie viel die Natur auch sonst ihm gegeben haben
mag, die vornehmsten Bedingungen des künstlerischen Schaffens fehlen: der
Ernst, die Begeisterung und die Empfindung für die still in sich erfüllte Schön¬
heit, nicht zu rechnen, daß bei ihm, dem Meister des Scheins, auch die Be¬
herrschung der Darstellungsmittel, die gründliche Formenkenntniß — nur
Schein ist.

Doch von Kaulbach ist in d. Bl> schon oft die Rede gewesen. Hier ge¬
hörte er her, weil er die Richtung unserer Kunst, welche nur auf ihren eigenen
Füßen stehen und deutsches Wesen zum Ausdruck bringen will, auch ohne daß
er es Wort hat, zu einer Art von Abschluß, bringt. Mag auch bisweilen seine
Formengebung die raphaelische Anmuth und Reinheit uns vorspiegeln wollen:
von dem edlen Blut der italienischen Anschauung ist schon deshalb kein Tropfen
in ihm, weil ihm die Gestalt nur ein Gefäß ist für den Sinn, den er hinein¬
legt, und der ihr umgehängte Formenschein nichts weiter als ein Reizmittel.
Auch ihm fehlt, wie der ganzen Richtung, der wir ihn zugezählt haben, das
tiefere Verständniß, die Vollendung der Form (im weitesten Sinne des Wortes),
welche allein dem Kunstgebilde das beseelende Gepräge des Lebens giebt, auch
ihm ist der Inhalt, der ausgedrückt werden soll, sei er nun mehr geistiger
oder mehr sinnlicher Natur, die Hauptsache.

Diese Merkmale sind es auch, welche die auf ihre Selbständigkeit so eifer¬
süchtige „nationale" Kunst mit jenen Erneuerungen halbentwickelter Kunstweisen
der Vergangenheit gemein hat. Fast überall derselbe Mangel liebevoller Durch¬
führung, dasselbe Unvermögen zu der Durchdringung der Form mit dem vollen
Schein des Lebens, die doch allein dem Kunstwerk seinen wahren bleibenden
Reiz geben. Das gilt nicht blos von der Malerei — es ist immer von
der monumentalen die Rede — sondern ebenso von der Münchner Architektur,
die von den Bauten Gärtners an bis zu dem „modernen Baustil" herab die¬
selben Erscheinungen zeigt, und von der Plastik, die doch vor allem auf lebendige
Durchbildung der Gestalt angewiesen ist. Auch sie sucht, in ihrer gegenwärtigen
Hauptaufgabe der BildnWcttuen zwischen modernem Realismus und antiker
Formenidealität bin- und herschwankcnd, eine eingebildete und schließlich doch
unsichere Selbständigkeit und versäumt darüber die künstlerische Vollendung.
Für die Malerei aber dieser ganzen Richtung ist es bezeichnend, daß die Meister
es gemeinhin nur bis zum Carton bringen und die farbige Ausführung den
Schülerhänden überlassen; für die Architektur, daß von Jahr zu Jahr das Bau¬
handwerk mittelmäßiger und die Ausführung der Ornamente roher, unsicherer
und schablonenhafter wird.

Das also ist damit erreicht worden, daß man einerseits die mystische


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[0094] weil dann zu Tage kommt, wie viel ihm zum Ausdruck und zur Fülle des Lebens fehlt. Denn im Grunde ist dieses Spiel unschöpferisch und gestaltungs¬ los, weil dem Künstler, wie viel die Natur auch sonst ihm gegeben haben mag, die vornehmsten Bedingungen des künstlerischen Schaffens fehlen: der Ernst, die Begeisterung und die Empfindung für die still in sich erfüllte Schön¬ heit, nicht zu rechnen, daß bei ihm, dem Meister des Scheins, auch die Be¬ herrschung der Darstellungsmittel, die gründliche Formenkenntniß — nur Schein ist. Doch von Kaulbach ist in d. Bl> schon oft die Rede gewesen. Hier ge¬ hörte er her, weil er die Richtung unserer Kunst, welche nur auf ihren eigenen Füßen stehen und deutsches Wesen zum Ausdruck bringen will, auch ohne daß er es Wort hat, zu einer Art von Abschluß, bringt. Mag auch bisweilen seine Formengebung die raphaelische Anmuth und Reinheit uns vorspiegeln wollen: von dem edlen Blut der italienischen Anschauung ist schon deshalb kein Tropfen in ihm, weil ihm die Gestalt nur ein Gefäß ist für den Sinn, den er hinein¬ legt, und der ihr umgehängte Formenschein nichts weiter als ein Reizmittel. Auch ihm fehlt, wie der ganzen Richtung, der wir ihn zugezählt haben, das tiefere Verständniß, die Vollendung der Form (im weitesten Sinne des Wortes), welche allein dem Kunstgebilde das beseelende Gepräge des Lebens giebt, auch ihm ist der Inhalt, der ausgedrückt werden soll, sei er nun mehr geistiger oder mehr sinnlicher Natur, die Hauptsache. Diese Merkmale sind es auch, welche die auf ihre Selbständigkeit so eifer¬ süchtige „nationale" Kunst mit jenen Erneuerungen halbentwickelter Kunstweisen der Vergangenheit gemein hat. Fast überall derselbe Mangel liebevoller Durch¬ führung, dasselbe Unvermögen zu der Durchdringung der Form mit dem vollen Schein des Lebens, die doch allein dem Kunstwerk seinen wahren bleibenden Reiz geben. Das gilt nicht blos von der Malerei — es ist immer von der monumentalen die Rede — sondern ebenso von der Münchner Architektur, die von den Bauten Gärtners an bis zu dem „modernen Baustil" herab die¬ selben Erscheinungen zeigt, und von der Plastik, die doch vor allem auf lebendige Durchbildung der Gestalt angewiesen ist. Auch sie sucht, in ihrer gegenwärtigen Hauptaufgabe der BildnWcttuen zwischen modernem Realismus und antiker Formenidealität bin- und herschwankcnd, eine eingebildete und schließlich doch unsichere Selbständigkeit und versäumt darüber die künstlerische Vollendung. Für die Malerei aber dieser ganzen Richtung ist es bezeichnend, daß die Meister es gemeinhin nur bis zum Carton bringen und die farbige Ausführung den Schülerhänden überlassen; für die Architektur, daß von Jahr zu Jahr das Bau¬ handwerk mittelmäßiger und die Ausführung der Ornamente roher, unsicherer und schablonenhafter wird. Das also ist damit erreicht worden, daß man einerseits die mystische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/94>, abgerufen am 23.07.2024.