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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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messensten, wahrhaft schwungvollen Ausdruck zu umkleiden weiß. Nirgend treten
diese Eigenschaften in höherer Vollendung uns entgegen, als in seiner Geschichte
der Kunst. Wie sollten sie nicht mächtig auf Goethe gewirkt haben, der ja auch
von Jugend eine ungewöhnliche Begabung für die bildende Kunst besaß, in dessen
Poesie und Prosa wir die plastische Gestaltungskraft vor allem zu bewundern gewohnt
sind? Den Beweis giebt uns Goethes römischer Aufenthalt. Da steht er inmitten
der Wunderwerke, an denen einst Winckelmann sich gebildet hatte, nun auch selber
eifrig bemüht zu schauen, in sich aufzunehmen, zu erkennen. Längst sind Oesers
Lehren und der Einfluß seiner zur Reflexion und Allegorie übermäßig hinneigenden
künstlerischen Richtung überwunden, aber immer ist ihm Winckelmann der treue
und bewährte Führer, von dem er mit der höchsten Anerkennung, mit der grö߬
ten Verehrung spricht. Freilich verhehlt er sich nicht das Unvollkommene der
Kunstgeschichte; "wie viel that Winckelmann nicht und wie viel ließ er uns ,u
wünschen übrig. Mit den Materialien, die er sich zueignete, hatte er so ge¬
schwind gebaut, um unter Dach zu kommen. Lebte er noch, und er könnte noch
frisch und gesund sein, so wäre er der Erste, der uns eine Umarbeitung seines
Werks gäbe." Gewiß; waren doch der Kunstgeschichte die Anmerkungen dazu,
diesen die neue kürzere Bearbeitung in italienischer Sprache auf dem Fuße
gefolgt, war doch die verhängnißvolle Reise nach Deutschland vorzugsweise
unternommen, um wegen einer neuen Ausgabe der Kunstgeschichte Unterhand¬
lungen anzuknüpfen. Goethe bedauert es, daß das Einzelne um ungewissen
Dunkel liege, den Begriff aber findet er richtig und herrlich aufgestellt, die
Epochen wohl gesondert, den historischen Verlauf in seiner Gesammtheit richtig
gezeichnet. Und wo es dann fehlt, da hat er einen treuen Führer an Hein¬
rich Meyer, dem Schüler von Winckelmanns Freund Füßly, dem nicht genia¬
len aber treu fleißigen Forscher auf Winckelmanns Pfaden, der wohl verstand
Einzelnes nachzutragen und zu berichtigen, im Allgemeinen aber sich ganz inner¬
halb der von Winckelmann gesteckten Schranken bewegte. Der Verkehr der
beiden Männer überdauerte die Zeit des italienischen Zusammenlebens und
ward zum eifrigsten Zusammenwirken, seitdem Meyer in den letzten Jahren des
vorigen Jahrhunderts seinen festen Wohnsitz in Weimar aufgeschlagen hatte.
Da begann die Thätigkeit der weimarischen Kunstfreunde, die in der
theoretischen Begründung und praktischen Durchführung winckelmannscher Lehren
ihre eigentliche Aufgabe fanden. Aus ihrem Kreise gingen die Propyläen her¬
vor, denen außer Goethe und Meyer auch Schiller und Wilhelm von Hum¬
boldt ihre Theilnahme widmeten. Es war freilich nicht die erfreulichste Conse-
quenz der winckelmannschen Grundsätze, welche hier gezogen ward. Seine Lehre
von der abstracten Schönheit, dem reinen Wasser ohne Geschmack vergleichbar,
als einem der Natur fremden Ideal fand hier die eifrigste Verbreitung. Leb¬
haft widersetzte man sich der schon auftauchenden Ketzerei, welche das Charak-


messensten, wahrhaft schwungvollen Ausdruck zu umkleiden weiß. Nirgend treten
diese Eigenschaften in höherer Vollendung uns entgegen, als in seiner Geschichte
der Kunst. Wie sollten sie nicht mächtig auf Goethe gewirkt haben, der ja auch
von Jugend eine ungewöhnliche Begabung für die bildende Kunst besaß, in dessen
Poesie und Prosa wir die plastische Gestaltungskraft vor allem zu bewundern gewohnt
sind? Den Beweis giebt uns Goethes römischer Aufenthalt. Da steht er inmitten
der Wunderwerke, an denen einst Winckelmann sich gebildet hatte, nun auch selber
eifrig bemüht zu schauen, in sich aufzunehmen, zu erkennen. Längst sind Oesers
Lehren und der Einfluß seiner zur Reflexion und Allegorie übermäßig hinneigenden
künstlerischen Richtung überwunden, aber immer ist ihm Winckelmann der treue
und bewährte Führer, von dem er mit der höchsten Anerkennung, mit der grö߬
ten Verehrung spricht. Freilich verhehlt er sich nicht das Unvollkommene der
Kunstgeschichte; „wie viel that Winckelmann nicht und wie viel ließ er uns ,u
wünschen übrig. Mit den Materialien, die er sich zueignete, hatte er so ge¬
schwind gebaut, um unter Dach zu kommen. Lebte er noch, und er könnte noch
frisch und gesund sein, so wäre er der Erste, der uns eine Umarbeitung seines
Werks gäbe." Gewiß; waren doch der Kunstgeschichte die Anmerkungen dazu,
diesen die neue kürzere Bearbeitung in italienischer Sprache auf dem Fuße
gefolgt, war doch die verhängnißvolle Reise nach Deutschland vorzugsweise
unternommen, um wegen einer neuen Ausgabe der Kunstgeschichte Unterhand¬
lungen anzuknüpfen. Goethe bedauert es, daß das Einzelne um ungewissen
Dunkel liege, den Begriff aber findet er richtig und herrlich aufgestellt, die
Epochen wohl gesondert, den historischen Verlauf in seiner Gesammtheit richtig
gezeichnet. Und wo es dann fehlt, da hat er einen treuen Führer an Hein¬
rich Meyer, dem Schüler von Winckelmanns Freund Füßly, dem nicht genia¬
len aber treu fleißigen Forscher auf Winckelmanns Pfaden, der wohl verstand
Einzelnes nachzutragen und zu berichtigen, im Allgemeinen aber sich ganz inner¬
halb der von Winckelmann gesteckten Schranken bewegte. Der Verkehr der
beiden Männer überdauerte die Zeit des italienischen Zusammenlebens und
ward zum eifrigsten Zusammenwirken, seitdem Meyer in den letzten Jahren des
vorigen Jahrhunderts seinen festen Wohnsitz in Weimar aufgeschlagen hatte.
Da begann die Thätigkeit der weimarischen Kunstfreunde, die in der
theoretischen Begründung und praktischen Durchführung winckelmannscher Lehren
ihre eigentliche Aufgabe fanden. Aus ihrem Kreise gingen die Propyläen her¬
vor, denen außer Goethe und Meyer auch Schiller und Wilhelm von Hum¬
boldt ihre Theilnahme widmeten. Es war freilich nicht die erfreulichste Conse-
quenz der winckelmannschen Grundsätze, welche hier gezogen ward. Seine Lehre
von der abstracten Schönheit, dem reinen Wasser ohne Geschmack vergleichbar,
als einem der Natur fremden Ideal fand hier die eifrigste Verbreitung. Leb¬
haft widersetzte man sich der schon auftauchenden Ketzerei, welche das Charak-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/52>, abgerufen am 23.07.2024.