Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.teuflische, den Ausdruck als höchstes Princip der Kunst an die Stelle der Ein¬ Es ist wohl eine bedeutsame Thatsache, daß drei der Männer, welchen teuflische, den Ausdruck als höchstes Princip der Kunst an die Stelle der Ein¬ Es ist wohl eine bedeutsame Thatsache, daß drei der Männer, welchen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0053" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/282294"/> <p xml:id="ID_124" prev="#ID_123"> teuflische, den Ausdruck als höchstes Princip der Kunst an die Stelle der Ein¬<lb/> heit setzte, den Inhalt gegenüber der einseitigen Betonung der Form hervor¬<lb/> hob. Jenes Ideal war am reinsten in der alten Kunst zum Ausdruck gekom¬<lb/> men, also fand man in ihr die alleinige Lehrmeisterin und Gesetzgeberin auch<lb/> der neueren Kunst, ohne zu beachten, wie die griechische Kunst an der ge¬<lb/> wissenhaftesten Naturbeobachtung groß geworden und erstarkt war. und ohne<lb/> alle Rücksicht auf die im Laufe der Zeiten so ganz und gar geänderte Anschau¬<lb/> ungsweise. Endlich wirkte die Alleinberechtigung der alten Kunst auch dadurch<lb/> verhängnisvoll, daß aus den zufällig so zahlreich uns erhaltenen Reliefs allge¬<lb/> meine Regeln gezogen,wurden, welche man ohne Weiteres auf die Malerei über¬<lb/> trug, da es für diese — ebenso zufällig — an alten Mustern fehlte. Herders<lb/> Bemühungen waren also vergeblich gewesen, und hatte man früher die Sculp-<lb/> tur malerisch behandelt, so trat jetzt das entgegengesetzte Extrem ein. Nicht<lb/> zufrieden mit der Darlegung der angedeuteten Principien, suchte man dann<lb/> auch dieselben durch Preisaufgaben und Kunstausstellungen praktisch zu beleben;<lb/> wer erinnerte sich nicht jener akademischen Gemälde, welche ebenso correct in<lb/> den Linien sind als kalt und leblos in Ausdruck und Empfindung? bei denen<lb/> man sich unwillkürlich fragt, warum der Maler nicht wenigstens ein Relief ge¬<lb/> schaffen, da er auf alle seiner Kunst eigenthümlichen Vorzüge geflissentlich ver¬<lb/> zichtete. — Je weniger diese Art Winckelmanns Ansichten zu befolgen und aus¬<lb/> zubilden unsere Billigung finden kann, desto inniger dürfen wir jenes schöne<lb/> Zeugniß warmer und verständnißvoller Pietät anerkennen, welches Goethe und<lb/> Meyer im Vereine mit Friedr. Aug. Wolf in ihrer Schilderung Winckelmanns<lb/> und seines Jahrhunderts niederlegten; namentlich was Goethe hier über Winckel¬<lb/> manns Charakter. Eigenthümlichkeiten. Bedeutung bemerkt, sind goldne Worte,<lb/> ebenso würdig dessen, der sie spricht, wie dessen, dem sie gelten.</p><lb/> <p xml:id="ID_125" next="#ID_126"> Es ist wohl eine bedeutsame Thatsache, daß drei der Männer, welchen<lb/> unsre deutsche Literatur ihre Neugründung und ihre schönsten Erzeugnisse ver¬<lb/> dankt, so eng mit Winckelmann und seinen Werken verbunden dastehen. Der<lb/> gewaltige Einfluß Winckelmanns und ganz besonders seiner Kunstgeschichte<lb/> auf die ganze geistige Bewegung der damaligen Zeit, wie sie sich namentlich<lb/> in der zählenden deutschen Literatur aussprach, wird heutzutage leicht über¬<lb/> sehen oder gering angeschlagen. Und doch erkennen wir die Größe und Be-<lb/> deutung eines Mannes nicht allein an seinen unmittelbaren Schöpfungen, son¬<lb/> dern ebenso sehr, ost noch deutlicher an dem Anstoß, den er Andern gegeben,<lb/> an den anhaltende» und kräftigen Schwingungen, welche diesem Anstoß folgen.<lb/> Wir haben aus Herders Worten gesehen, daß mau nicht unempfindlich war<lb/> gegen die Bereicherung, welche die deutsche Muttersprache in ihrem Wortschätze<lb/> sowohl wie besonders in der Ausdrucksfähigkeit für hohe, mit Inhalt gesät¬<lb/> tigte Gedanken und für schwungvolle, fast sehergleiche Anschauungen durch</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0053]
teuflische, den Ausdruck als höchstes Princip der Kunst an die Stelle der Ein¬
heit setzte, den Inhalt gegenüber der einseitigen Betonung der Form hervor¬
hob. Jenes Ideal war am reinsten in der alten Kunst zum Ausdruck gekom¬
men, also fand man in ihr die alleinige Lehrmeisterin und Gesetzgeberin auch
der neueren Kunst, ohne zu beachten, wie die griechische Kunst an der ge¬
wissenhaftesten Naturbeobachtung groß geworden und erstarkt war. und ohne
alle Rücksicht auf die im Laufe der Zeiten so ganz und gar geänderte Anschau¬
ungsweise. Endlich wirkte die Alleinberechtigung der alten Kunst auch dadurch
verhängnisvoll, daß aus den zufällig so zahlreich uns erhaltenen Reliefs allge¬
meine Regeln gezogen,wurden, welche man ohne Weiteres auf die Malerei über¬
trug, da es für diese — ebenso zufällig — an alten Mustern fehlte. Herders
Bemühungen waren also vergeblich gewesen, und hatte man früher die Sculp-
tur malerisch behandelt, so trat jetzt das entgegengesetzte Extrem ein. Nicht
zufrieden mit der Darlegung der angedeuteten Principien, suchte man dann
auch dieselben durch Preisaufgaben und Kunstausstellungen praktisch zu beleben;
wer erinnerte sich nicht jener akademischen Gemälde, welche ebenso correct in
den Linien sind als kalt und leblos in Ausdruck und Empfindung? bei denen
man sich unwillkürlich fragt, warum der Maler nicht wenigstens ein Relief ge¬
schaffen, da er auf alle seiner Kunst eigenthümlichen Vorzüge geflissentlich ver¬
zichtete. — Je weniger diese Art Winckelmanns Ansichten zu befolgen und aus¬
zubilden unsere Billigung finden kann, desto inniger dürfen wir jenes schöne
Zeugniß warmer und verständnißvoller Pietät anerkennen, welches Goethe und
Meyer im Vereine mit Friedr. Aug. Wolf in ihrer Schilderung Winckelmanns
und seines Jahrhunderts niederlegten; namentlich was Goethe hier über Winckel¬
manns Charakter. Eigenthümlichkeiten. Bedeutung bemerkt, sind goldne Worte,
ebenso würdig dessen, der sie spricht, wie dessen, dem sie gelten.
Es ist wohl eine bedeutsame Thatsache, daß drei der Männer, welchen
unsre deutsche Literatur ihre Neugründung und ihre schönsten Erzeugnisse ver¬
dankt, so eng mit Winckelmann und seinen Werken verbunden dastehen. Der
gewaltige Einfluß Winckelmanns und ganz besonders seiner Kunstgeschichte
auf die ganze geistige Bewegung der damaligen Zeit, wie sie sich namentlich
in der zählenden deutschen Literatur aussprach, wird heutzutage leicht über¬
sehen oder gering angeschlagen. Und doch erkennen wir die Größe und Be-
deutung eines Mannes nicht allein an seinen unmittelbaren Schöpfungen, son¬
dern ebenso sehr, ost noch deutlicher an dem Anstoß, den er Andern gegeben,
an den anhaltende» und kräftigen Schwingungen, welche diesem Anstoß folgen.
Wir haben aus Herders Worten gesehen, daß mau nicht unempfindlich war
gegen die Bereicherung, welche die deutsche Muttersprache in ihrem Wortschätze
sowohl wie besonders in der Ausdrucksfähigkeit für hohe, mit Inhalt gesät¬
tigte Gedanken und für schwungvolle, fast sehergleiche Anschauungen durch
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