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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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darzulegen. Aber das Werk blieb unvollendet, andere Interessen und Studien
zogen Herder fernab in die verschiedensten Gebiete; auch der Anblick Italiens
wirkte nicht mehr stark genug auf den den fünfziger Jahren nahe stehenden
Mann. Nur sporadisch kehrte er zu den früheren Lieblingsbeschäftigungen zurück,
niemals ohne an Winckelmann wieder anzuknüpfen. Da ist es in der That
rührend zu sehen, wie noch in seinem Todesjahre ein kleiner Aufsatz, die Be¬
deutung von Winckelmanns Geschichte der Kunst in warmen Worten erörtert,
als ob die alte Jugendliebe noch einmal hervorbräche. So spricht sich am An¬
fang wie am Ende seiner reichen schriftstellerischen Thätigkeit die gleiche Ver¬
ehrung für den Mann aus, welchem er so viel Anregung verdankt.

An Lessing und Herder knüpft unmittelbar Goethe an. Ein Jahr nach¬
dem die Kunstgeschichte erschienen, kam er als sechzehnjähriger Student nach
^ivzig. Zu den Männern, welche hier am tiefsten auf ihn wirkten, gehörte
der Maler Oeser, welcher als Director der Kunstakademie i" der alten Pleißen-
burg thronte. Oeser war einst in Dresden mit dem gleichaltrigen Winckelmann
nahe befreundet gewesen und nicht ohne Einfluß auf dessen Kunstanschaunngcn
geblieben; die Anhänglichkeit und leidenschaftliche Verehrung hatte durch die
Leistungen, welche der römische Aufenthalt in Winckelmann gezeitigt, nur ge¬
steigert werden tonnen. Die Pietät des Lehrers gegen den großen Mann ging
aus die Schüler, unter ihnen Goethe, über; mit Andacht nahmen sie seine Schuf-
ten in die Hände und studirten sie fleißig, ebenso durch den reichen Inhalt und
die Tiefe der Anschauungen gefesselt, wie durch die eigenthümlich volle und hohe
Persönlichkeit angezogen. "Bei allen Bemühungen, welche sich auf Kunst und
Alterthum bezogen -- so erzählt Goethe selber -- hatte jeder stets Winckel¬
mann vor Augen, dessen Tüchtigkeit im Vaterlande mit Enthusiasmus aner¬
kannt wurde." Alle freuten sich, den Gefeierten bald mit leiblichen Augen an¬
schauen zu dürfen, da siel "wie ein Donnerschlag bei klarem Himmel" die Nach¬
richt zwischen sie nieder, auf heimischem Boden sei durch feigen Mord dem kaum
Fünfzigjähriger ein frühes Grab bereitet. "Dieser ungeheure Vorfall that eine
ungeheure Wirkung; es war ein allgemeines Jammern und Wehklagen, und
sein frühzeitiger Tod schärfte die Aufmerksamkeit auf den Werth seines Lebens."
Winckelmann hat in der That auf Goethe dessen ganzes Leben hindurch tiefen Ein¬
fluß ausgeübt, ihre Naturen sind in gar manchen Punkten einander verwandt.
Winckelmann verband mit der in Rom ihm zuströmenden Fülle der künstlerischen
Anschauung die glücklichste Naturanlage, welche ihn in den Stand setzte, die an
ihn herantretende Schönheit rein in sich aufzunehmen und in sich neu zu beleben,
so daß sie sein ganzes Wesen durchdrang und all sein Dichten und Trachten erfüllte.
Dazu kam die wunderbare Gewalt seiner Rede, welche der Fülle und Macht
des Stoffes ein treuer Spiegel wird, welche die klar erfaßten Gedanken, die in
seltener Lebendigkeit ihm vorschwebenden Anschauungen stets mit dem ange-


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darzulegen. Aber das Werk blieb unvollendet, andere Interessen und Studien
zogen Herder fernab in die verschiedensten Gebiete; auch der Anblick Italiens
wirkte nicht mehr stark genug auf den den fünfziger Jahren nahe stehenden
Mann. Nur sporadisch kehrte er zu den früheren Lieblingsbeschäftigungen zurück,
niemals ohne an Winckelmann wieder anzuknüpfen. Da ist es in der That
rührend zu sehen, wie noch in seinem Todesjahre ein kleiner Aufsatz, die Be¬
deutung von Winckelmanns Geschichte der Kunst in warmen Worten erörtert,
als ob die alte Jugendliebe noch einmal hervorbräche. So spricht sich am An¬
fang wie am Ende seiner reichen schriftstellerischen Thätigkeit die gleiche Ver¬
ehrung für den Mann aus, welchem er so viel Anregung verdankt.

An Lessing und Herder knüpft unmittelbar Goethe an. Ein Jahr nach¬
dem die Kunstgeschichte erschienen, kam er als sechzehnjähriger Student nach
^ivzig. Zu den Männern, welche hier am tiefsten auf ihn wirkten, gehörte
der Maler Oeser, welcher als Director der Kunstakademie i» der alten Pleißen-
burg thronte. Oeser war einst in Dresden mit dem gleichaltrigen Winckelmann
nahe befreundet gewesen und nicht ohne Einfluß auf dessen Kunstanschaunngcn
geblieben; die Anhänglichkeit und leidenschaftliche Verehrung hatte durch die
Leistungen, welche der römische Aufenthalt in Winckelmann gezeitigt, nur ge¬
steigert werden tonnen. Die Pietät des Lehrers gegen den großen Mann ging
aus die Schüler, unter ihnen Goethe, über; mit Andacht nahmen sie seine Schuf-
ten in die Hände und studirten sie fleißig, ebenso durch den reichen Inhalt und
die Tiefe der Anschauungen gefesselt, wie durch die eigenthümlich volle und hohe
Persönlichkeit angezogen. „Bei allen Bemühungen, welche sich auf Kunst und
Alterthum bezogen — so erzählt Goethe selber — hatte jeder stets Winckel¬
mann vor Augen, dessen Tüchtigkeit im Vaterlande mit Enthusiasmus aner¬
kannt wurde." Alle freuten sich, den Gefeierten bald mit leiblichen Augen an¬
schauen zu dürfen, da siel „wie ein Donnerschlag bei klarem Himmel" die Nach¬
richt zwischen sie nieder, auf heimischem Boden sei durch feigen Mord dem kaum
Fünfzigjähriger ein frühes Grab bereitet. „Dieser ungeheure Vorfall that eine
ungeheure Wirkung; es war ein allgemeines Jammern und Wehklagen, und
sein frühzeitiger Tod schärfte die Aufmerksamkeit auf den Werth seines Lebens."
Winckelmann hat in der That auf Goethe dessen ganzes Leben hindurch tiefen Ein¬
fluß ausgeübt, ihre Naturen sind in gar manchen Punkten einander verwandt.
Winckelmann verband mit der in Rom ihm zuströmenden Fülle der künstlerischen
Anschauung die glücklichste Naturanlage, welche ihn in den Stand setzte, die an
ihn herantretende Schönheit rein in sich aufzunehmen und in sich neu zu beleben,
so daß sie sein ganzes Wesen durchdrang und all sein Dichten und Trachten erfüllte.
Dazu kam die wunderbare Gewalt seiner Rede, welche der Fülle und Macht
des Stoffes ein treuer Spiegel wird, welche die klar erfaßten Gedanken, die in
seltener Lebendigkeit ihm vorschwebenden Anschauungen stets mit dem ange-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/51>, abgerufen am 23.07.2024.