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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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zu machen, war mißlungen. Sie zeigte sich trotzdem keineswegs nachgiebiger,
als die Staatsbehörde eine entsprechende Anzahl von Kreisschulräthen aus dem
katholischen Klerus nehmen wollte, wie sie einigen evangelischen Geistlichen diese
Würde übertrug. Der Erzbischof verbot auch die Annahme dieser Stellen, ja
ein alter Schulmann, der längst keine geistlichen Functionen mehr verrichtete
und die Ernennung annahm, mußte die kaum angenommene Stelle wieder
niederlegen.

Bis dahin hatte die klerikale Opposition gegen das Schulgesetz sich im
Ganzen auf dem gesetzlichen Boden bewegt. Er war da und dort im Eifer des
Kampfes wohl einmal verlassen worden, namentlich die ultramontanen Pre߬
organe hatten einen maßlosen Gebrauch von der Preßfreiheit gemacht, die
ihnen das so leidenschaftlich bekämpfte System der "neuen Aera" in der libe¬
ralsten Weise gewährte; aber sie konnten wohl anführen, daß auch die liberale
Presse nicht immer Maß gehalten und in ihrer Fehde gegen den Ultramon¬
tanismus mehr als einen Hieb auch gegen das kirchliche Wesen selbst, dessen
Träger und Gebräuche geführt hatte.

Nun aber, in den ersten Wochen des neuen Jahres schlug die Bewegung
neue Bahnen ein, die täglich weiter von dem Boden des Gesetzes ableiteten.
Um diese Zeit war es, daß in geschlossenen confessionellen Katholikenvereinen,
wie sie sich auf das Not ä'oräre hin, das die Würzburger Katholikenversamm¬
lung hatte ergehen lassen, auch an einigen Orten Badens gebildet hatten, der
Gedanke auftauchte, diese katholischen "Casinos" zu "wandernden" zu machen,
d. h. exclusiv katholische, oder vielmehr ultramontane Volksversammlungen in
Scene zu setzen, bald da, bald dort, so daß die Leiter der Agitation überall
erscheinen konnten, während die Pfarrer der Gegend, in denen eben das "Casino"
tagte, mit den von den Kanzeln aus aufgebotenen Schaaren ihrer Gläubigen
herbeiziehen wollten. In diesen Versammlungen, die anfangs ziemlich unbemerkt,
an abgelegenen Orten vor sich gingen, wurden Adressen beschlossen, in denen
die Versammelten im Namen sämmtlicher Katholiken des Landes erklärten, daß
das Gesetz ihr Gewissen beschwere und den Fürsten um Aufhebung desselben,
aus eigener Machtvollkommenheit. Vereinbarung mit dem Erzbischof, eventuell
Unterrichtsfreiheit baten; es wurden Deputationen erwählt, welche diese Adressen
dem Großherzog überreichen sollten. Ende Januar und Anfang Februar konnte
man in Karlsruhe jeden Tag mehre Schaaren von Landleuten nach dem Schlosse
wandern sehen, welche die Vorzimmer des Großherzogs füllten und truppweise
Einlaß in den Audienzsaal begehrten. Bald ließ sich nachweisen, daß diese
Deputationen in einer stetigen Reihenfolge kamen, wie sie ihnen von Freiburg
aus vorgeschrieben wurde. In einem Circular der Parteiführer war geradezu
als Zweck dieser unaufhörlichen Abordnungen angegeben, man müsse den Groß'
Herzog müde machen, durch das massenhafte Erscheinen einschüchtern, über die


zu machen, war mißlungen. Sie zeigte sich trotzdem keineswegs nachgiebiger,
als die Staatsbehörde eine entsprechende Anzahl von Kreisschulräthen aus dem
katholischen Klerus nehmen wollte, wie sie einigen evangelischen Geistlichen diese
Würde übertrug. Der Erzbischof verbot auch die Annahme dieser Stellen, ja
ein alter Schulmann, der längst keine geistlichen Functionen mehr verrichtete
und die Ernennung annahm, mußte die kaum angenommene Stelle wieder
niederlegen.

Bis dahin hatte die klerikale Opposition gegen das Schulgesetz sich im
Ganzen auf dem gesetzlichen Boden bewegt. Er war da und dort im Eifer des
Kampfes wohl einmal verlassen worden, namentlich die ultramontanen Pre߬
organe hatten einen maßlosen Gebrauch von der Preßfreiheit gemacht, die
ihnen das so leidenschaftlich bekämpfte System der „neuen Aera" in der libe¬
ralsten Weise gewährte; aber sie konnten wohl anführen, daß auch die liberale
Presse nicht immer Maß gehalten und in ihrer Fehde gegen den Ultramon¬
tanismus mehr als einen Hieb auch gegen das kirchliche Wesen selbst, dessen
Träger und Gebräuche geführt hatte.

Nun aber, in den ersten Wochen des neuen Jahres schlug die Bewegung
neue Bahnen ein, die täglich weiter von dem Boden des Gesetzes ableiteten.
Um diese Zeit war es, daß in geschlossenen confessionellen Katholikenvereinen,
wie sie sich auf das Not ä'oräre hin, das die Würzburger Katholikenversamm¬
lung hatte ergehen lassen, auch an einigen Orten Badens gebildet hatten, der
Gedanke auftauchte, diese katholischen „Casinos" zu „wandernden" zu machen,
d. h. exclusiv katholische, oder vielmehr ultramontane Volksversammlungen in
Scene zu setzen, bald da, bald dort, so daß die Leiter der Agitation überall
erscheinen konnten, während die Pfarrer der Gegend, in denen eben das „Casino"
tagte, mit den von den Kanzeln aus aufgebotenen Schaaren ihrer Gläubigen
herbeiziehen wollten. In diesen Versammlungen, die anfangs ziemlich unbemerkt,
an abgelegenen Orten vor sich gingen, wurden Adressen beschlossen, in denen
die Versammelten im Namen sämmtlicher Katholiken des Landes erklärten, daß
das Gesetz ihr Gewissen beschwere und den Fürsten um Aufhebung desselben,
aus eigener Machtvollkommenheit. Vereinbarung mit dem Erzbischof, eventuell
Unterrichtsfreiheit baten; es wurden Deputationen erwählt, welche diese Adressen
dem Großherzog überreichen sollten. Ende Januar und Anfang Februar konnte
man in Karlsruhe jeden Tag mehre Schaaren von Landleuten nach dem Schlosse
wandern sehen, welche die Vorzimmer des Großherzogs füllten und truppweise
Einlaß in den Audienzsaal begehrten. Bald ließ sich nachweisen, daß diese
Deputationen in einer stetigen Reihenfolge kamen, wie sie ihnen von Freiburg
aus vorgeschrieben wurde. In einem Circular der Parteiführer war geradezu
als Zweck dieser unaufhörlichen Abordnungen angegeben, man müsse den Groß'
Herzog müde machen, durch das massenhafte Erscheinen einschüchtern, über die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/516>, abgerufen am 01.07.2024.