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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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kirchenrath ließ einen Erlaß ausgehen, der den Pfarrern zwar den Eintritt in
die Ortsschulrathe nicht befahl, aber sehr dringend empfahl. Und in der That
sind es trotz der Opposition, mit der gerade damals aus Anlaß der schenkelschen
Angelegenheit eine nicht unbedeutende Anzahl evangelischer Geistlicher dem Ober¬
kirchenrath entgegentrat -- nur einige wenige evangelische Pfarrer, welche sich
weigerten, in die Ortsschulräthe einzutreten. Die Staatsbehörde ihrerseits
ernannte in allen Landorten und in einigen Städten die evangelischen Pfarrer
ZU Vorsitzenden der Ortsschulräthe ihrer Confession. Dem Beispiele des evan-
gelischen Oberkirchenrathes folgte das erzbischöfliche Ordinariat nicht. Im Ge¬
gentheile, zu den bisher angewandten Agitationsmitteln wurde noch ein neues
hinzugefügt: das "non possumus" des freiburger Erzbischofes wurde durch ein
"Kowa 1ven<Ä est" unterstützt. Der Papst erließ ein Schreiben an den Erz-
bischof. worin er in durchaus allgemein gehaltenen Ausdrücken die Bestrebungen
Zur "Entchristlichung der Schule" verdammte und aussprach, daß an solchen
Schulen, von deren Leitung die Kirche völlig ausgeschlossen sei. kei.i Katholik,
besonders aber kein Priester irgendwie sich betheiligen könne. Die Voraus¬
setzung, von der Pius der Neunte ausging, war, wie Sie sehen, eine ganz
falsche. Der Staat hat nie daran gedacht, die Kirche von der Leitung der Schule
völlig auszuschließen; sonst hätte er nicht dem Ortspfarrer die hervorragende
Stelle in den Ortsschulräthen zugedacht, sonst hätte er keine Geistlichen in die
oberste Schulbehörde berufen. Aber die Logik ist nicht die stärkste Seite des
freiburger Kirchenregiments. Den katholischen Geistlichen wurde durch einen
Ordinariatserlaß verboten., in die Ortsschulräthe einzutreten, oder mit ihnen in
Geschäftsverkehr zu treten. Es konnte nicht fehlen, daß diese Maßregel und
die ununterbrochenen Mahnungen einer großen Anzahl namentlich jüngerer
Kleriker in vielen katholischen Gemeinden auf das Verhalten der Bevölkerung
gegenüber den Wahlen einen namhaften Eindruck machte. In manchen, freilich
"ur sehr wenigen Landorten (etwa 90 von circa 1400) kam gar keine Wahl
Stande, in ziemlich vielen erschien nur ein Minimum von Wählern; aber
das war doch nicht allein die Folge der Abneigung gegen das Gesetz, sondern
Zum großen Theile auch bloße Indolenz der Bevölkerung. Man hat nachgewie¬
sen, daß sich bisher im Durchschnitt an den Wahlen zu den (klerikal gesinnten)
Stiftungscommissionen keine größere Zahl von Wählern betheiligt hat; man
bat daran erinnert, daß es mehr als einmal, und sogar in Städten der durch das
besetz vorgeschriebenen Strafandrohungen bedürfte, um die zu einer Bürgermeister¬
wahl nöthige Anzahl von Bürgern zusammenzubringen. Auf der andern Seite
^unde man das erhebende Schauspiel sehen, daß in ganz katholischen Orten
mitten im Schwarzwald, trotz aller klerikalen Agitation die ganze Gemeinde
bis auf den letzten Mann zur Wahl erschien.

Auch dieser Versuch der Kurie, die Durchführung des Gesetzes unmöglich


kirchenrath ließ einen Erlaß ausgehen, der den Pfarrern zwar den Eintritt in
die Ortsschulrathe nicht befahl, aber sehr dringend empfahl. Und in der That
sind es trotz der Opposition, mit der gerade damals aus Anlaß der schenkelschen
Angelegenheit eine nicht unbedeutende Anzahl evangelischer Geistlicher dem Ober¬
kirchenrath entgegentrat — nur einige wenige evangelische Pfarrer, welche sich
weigerten, in die Ortsschulräthe einzutreten. Die Staatsbehörde ihrerseits
ernannte in allen Landorten und in einigen Städten die evangelischen Pfarrer
ZU Vorsitzenden der Ortsschulräthe ihrer Confession. Dem Beispiele des evan-
gelischen Oberkirchenrathes folgte das erzbischöfliche Ordinariat nicht. Im Ge¬
gentheile, zu den bisher angewandten Agitationsmitteln wurde noch ein neues
hinzugefügt: das „non possumus" des freiburger Erzbischofes wurde durch ein
»Kowa 1ven<Ä est" unterstützt. Der Papst erließ ein Schreiben an den Erz-
bischof. worin er in durchaus allgemein gehaltenen Ausdrücken die Bestrebungen
Zur „Entchristlichung der Schule" verdammte und aussprach, daß an solchen
Schulen, von deren Leitung die Kirche völlig ausgeschlossen sei. kei.i Katholik,
besonders aber kein Priester irgendwie sich betheiligen könne. Die Voraus¬
setzung, von der Pius der Neunte ausging, war, wie Sie sehen, eine ganz
falsche. Der Staat hat nie daran gedacht, die Kirche von der Leitung der Schule
völlig auszuschließen; sonst hätte er nicht dem Ortspfarrer die hervorragende
Stelle in den Ortsschulräthen zugedacht, sonst hätte er keine Geistlichen in die
oberste Schulbehörde berufen. Aber die Logik ist nicht die stärkste Seite des
freiburger Kirchenregiments. Den katholischen Geistlichen wurde durch einen
Ordinariatserlaß verboten., in die Ortsschulräthe einzutreten, oder mit ihnen in
Geschäftsverkehr zu treten. Es konnte nicht fehlen, daß diese Maßregel und
die ununterbrochenen Mahnungen einer großen Anzahl namentlich jüngerer
Kleriker in vielen katholischen Gemeinden auf das Verhalten der Bevölkerung
gegenüber den Wahlen einen namhaften Eindruck machte. In manchen, freilich
"ur sehr wenigen Landorten (etwa 90 von circa 1400) kam gar keine Wahl
Stande, in ziemlich vielen erschien nur ein Minimum von Wählern; aber
das war doch nicht allein die Folge der Abneigung gegen das Gesetz, sondern
Zum großen Theile auch bloße Indolenz der Bevölkerung. Man hat nachgewie¬
sen, daß sich bisher im Durchschnitt an den Wahlen zu den (klerikal gesinnten)
Stiftungscommissionen keine größere Zahl von Wählern betheiligt hat; man
bat daran erinnert, daß es mehr als einmal, und sogar in Städten der durch das
besetz vorgeschriebenen Strafandrohungen bedürfte, um die zu einer Bürgermeister¬
wahl nöthige Anzahl von Bürgern zusammenzubringen. Auf der andern Seite
^unde man das erhebende Schauspiel sehen, daß in ganz katholischen Orten
mitten im Schwarzwald, trotz aller klerikalen Agitation die ganze Gemeinde
bis auf den letzten Mann zur Wahl erschien.

Auch dieser Versuch der Kurie, die Durchführung des Gesetzes unmöglich


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[0515] kirchenrath ließ einen Erlaß ausgehen, der den Pfarrern zwar den Eintritt in die Ortsschulrathe nicht befahl, aber sehr dringend empfahl. Und in der That sind es trotz der Opposition, mit der gerade damals aus Anlaß der schenkelschen Angelegenheit eine nicht unbedeutende Anzahl evangelischer Geistlicher dem Ober¬ kirchenrath entgegentrat — nur einige wenige evangelische Pfarrer, welche sich weigerten, in die Ortsschulräthe einzutreten. Die Staatsbehörde ihrerseits ernannte in allen Landorten und in einigen Städten die evangelischen Pfarrer ZU Vorsitzenden der Ortsschulräthe ihrer Confession. Dem Beispiele des evan- gelischen Oberkirchenrathes folgte das erzbischöfliche Ordinariat nicht. Im Ge¬ gentheile, zu den bisher angewandten Agitationsmitteln wurde noch ein neues hinzugefügt: das „non possumus" des freiburger Erzbischofes wurde durch ein »Kowa 1ven<Ä est" unterstützt. Der Papst erließ ein Schreiben an den Erz- bischof. worin er in durchaus allgemein gehaltenen Ausdrücken die Bestrebungen Zur „Entchristlichung der Schule" verdammte und aussprach, daß an solchen Schulen, von deren Leitung die Kirche völlig ausgeschlossen sei. kei.i Katholik, besonders aber kein Priester irgendwie sich betheiligen könne. Die Voraus¬ setzung, von der Pius der Neunte ausging, war, wie Sie sehen, eine ganz falsche. Der Staat hat nie daran gedacht, die Kirche von der Leitung der Schule völlig auszuschließen; sonst hätte er nicht dem Ortspfarrer die hervorragende Stelle in den Ortsschulräthen zugedacht, sonst hätte er keine Geistlichen in die oberste Schulbehörde berufen. Aber die Logik ist nicht die stärkste Seite des freiburger Kirchenregiments. Den katholischen Geistlichen wurde durch einen Ordinariatserlaß verboten., in die Ortsschulräthe einzutreten, oder mit ihnen in Geschäftsverkehr zu treten. Es konnte nicht fehlen, daß diese Maßregel und die ununterbrochenen Mahnungen einer großen Anzahl namentlich jüngerer Kleriker in vielen katholischen Gemeinden auf das Verhalten der Bevölkerung gegenüber den Wahlen einen namhaften Eindruck machte. In manchen, freilich "ur sehr wenigen Landorten (etwa 90 von circa 1400) kam gar keine Wahl Stande, in ziemlich vielen erschien nur ein Minimum von Wählern; aber das war doch nicht allein die Folge der Abneigung gegen das Gesetz, sondern Zum großen Theile auch bloße Indolenz der Bevölkerung. Man hat nachgewie¬ sen, daß sich bisher im Durchschnitt an den Wahlen zu den (klerikal gesinnten) Stiftungscommissionen keine größere Zahl von Wählern betheiligt hat; man bat daran erinnert, daß es mehr als einmal, und sogar in Städten der durch das besetz vorgeschriebenen Strafandrohungen bedürfte, um die zu einer Bürgermeister¬ wahl nöthige Anzahl von Bürgern zusammenzubringen. Auf der andern Seite ^unde man das erhebende Schauspiel sehen, daß in ganz katholischen Orten mitten im Schwarzwald, trotz aller klerikalen Agitation die ganze Gemeinde bis auf den letzten Mann zur Wahl erschien. Auch dieser Versuch der Kurie, die Durchführung des Gesetzes unmöglich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/515>, abgerufen am 03.07.2024.