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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Stimmung im Lande belehren, zu einem Ministerwechsel veranlassen.
Dieses Streben, das Ministerium Roggenbach-Lamey zu stürzen und an dessen
Stelle ein großdeutsch-ultramontanes zu setzen, trat nun mit jedem Tage
deutlicher hervor. Nicht nur in der Presse der Partei (d. h. in zwei Blättern
des Landes, dem ..Badischen Beobachter" und dem wöchentlich erscheinenden
..Freiburger'katholischen Kirchenblatt") wurde diese Forderung laut erhoben, sie
fand auch in den Versammlungen und Adressen Ausdruck, welche von Tag
ZU Tag kühner, provocirender, leidenschaftlicher auftraten.

Bisher hatte die liberale Partei sich diesem Treiben gegenüber lediglich
auf eine sehr heftige Polemik in der Presse beschränkt. Als aber die Casino-
partei täglich kecker auftrat, endlich in ihren Adressen dem Großherzog geradezu
einen Verfassungsbruch zumuthete und immer mehr sich als das einzig
berechtigte Organ der badischen Katholiken ausgab, da geschah es zuerst in
Radolfszell am Bodensee, daß eine große Anzahl liberaler Katholiken bei einem
"wandernden Casino" sich einfand und durch energische Theilnahme an den
Debatten den vorgeschriebenen Gang der Verhandlungen unliebsam störte und
die von Freiburg aus commandirten Beschlüsse unmöglich machte. Dadurch
unangenehm berührt, erklärte das nächste "Casino" in Freiburg, daß nur
Gegner des Schulgesetzes sollten als Redner austreten dürfen und die liberale
Minderheit, die sich eingefunden hatte, verließ den Versammlungsort, als ihr
nut Anwendung von Gewalt gedroht wurde, aus Scheu vor der Heiligkeit des
Raumes. Es war eine Kirche, in der diese Parteiversammlung tagte und von
der Kanzel herab warfen ihre Führer die Schlagworte der Partei unter die
Schaar der größtentheils bäuerlichen Zuhörer. Die Regierung hatte bis daher
keinen Gebrauch von dem Rechte gemacht, welches ihr das Vereinsgesetz an die
Hand gab. die Abhaltung der "Casinos" in den Kirchen zu verbieten. Sie
that es zuerst, als eine solche Versammlung nach Mannheim ausgeschrieben
wurde. Es war das einer der gewagtesten Versuche der Ultramontanen,
durch Abhaltung eines "Casinos" in Mannheim, zu dem sie die überwiegende
Mehrzahl der Theilnehmer von auswärts zusammenführen würden, glauben zu
dachen, daß ihre Agitation auch in dieser, kirchlich durchaus liberal gesinnten
Stadt feste Wurzeln gefaßt habe. Hindernisse stellten sich ihnen entgegen, kein
Pnvatlokal. auch nicht für hohe Miethe, öffnete sich ihnen, die Kirchen wurden
ihnen verweigert. Sie schienen zurückweichen zu wollen, das Casino wurde
^gesagt; aber da kam neue Ordre aus Freiburg, es wurde neu angesagt,
obwohl kein Versammlungsort innerhalb der Stadt bezeichnet werden konnte.
Unter solchen Verhältnissen geschah es. daß die Stadt Mannheim der Schau-
Platz eines jedenfalls äußerst beklagenswerten Straßentumultes wurde. Aus
dem Spott, der die einziehenden Casinogenvssen empfing, den manche von ihnen
^t Wort und Geberde erwiederten, ward eine Schlägerei, die sich bis zur


Stimmung im Lande belehren, zu einem Ministerwechsel veranlassen.
Dieses Streben, das Ministerium Roggenbach-Lamey zu stürzen und an dessen
Stelle ein großdeutsch-ultramontanes zu setzen, trat nun mit jedem Tage
deutlicher hervor. Nicht nur in der Presse der Partei (d. h. in zwei Blättern
des Landes, dem ..Badischen Beobachter" und dem wöchentlich erscheinenden
..Freiburger'katholischen Kirchenblatt") wurde diese Forderung laut erhoben, sie
fand auch in den Versammlungen und Adressen Ausdruck, welche von Tag
ZU Tag kühner, provocirender, leidenschaftlicher auftraten.

Bisher hatte die liberale Partei sich diesem Treiben gegenüber lediglich
auf eine sehr heftige Polemik in der Presse beschränkt. Als aber die Casino-
partei täglich kecker auftrat, endlich in ihren Adressen dem Großherzog geradezu
einen Verfassungsbruch zumuthete und immer mehr sich als das einzig
berechtigte Organ der badischen Katholiken ausgab, da geschah es zuerst in
Radolfszell am Bodensee, daß eine große Anzahl liberaler Katholiken bei einem
„wandernden Casino" sich einfand und durch energische Theilnahme an den
Debatten den vorgeschriebenen Gang der Verhandlungen unliebsam störte und
die von Freiburg aus commandirten Beschlüsse unmöglich machte. Dadurch
unangenehm berührt, erklärte das nächste „Casino" in Freiburg, daß nur
Gegner des Schulgesetzes sollten als Redner austreten dürfen und die liberale
Minderheit, die sich eingefunden hatte, verließ den Versammlungsort, als ihr
nut Anwendung von Gewalt gedroht wurde, aus Scheu vor der Heiligkeit des
Raumes. Es war eine Kirche, in der diese Parteiversammlung tagte und von
der Kanzel herab warfen ihre Führer die Schlagworte der Partei unter die
Schaar der größtentheils bäuerlichen Zuhörer. Die Regierung hatte bis daher
keinen Gebrauch von dem Rechte gemacht, welches ihr das Vereinsgesetz an die
Hand gab. die Abhaltung der „Casinos" in den Kirchen zu verbieten. Sie
that es zuerst, als eine solche Versammlung nach Mannheim ausgeschrieben
wurde. Es war das einer der gewagtesten Versuche der Ultramontanen,
durch Abhaltung eines „Casinos" in Mannheim, zu dem sie die überwiegende
Mehrzahl der Theilnehmer von auswärts zusammenführen würden, glauben zu
dachen, daß ihre Agitation auch in dieser, kirchlich durchaus liberal gesinnten
Stadt feste Wurzeln gefaßt habe. Hindernisse stellten sich ihnen entgegen, kein
Pnvatlokal. auch nicht für hohe Miethe, öffnete sich ihnen, die Kirchen wurden
ihnen verweigert. Sie schienen zurückweichen zu wollen, das Casino wurde
^gesagt; aber da kam neue Ordre aus Freiburg, es wurde neu angesagt,
obwohl kein Versammlungsort innerhalb der Stadt bezeichnet werden konnte.
Unter solchen Verhältnissen geschah es. daß die Stadt Mannheim der Schau-
Platz eines jedenfalls äußerst beklagenswerten Straßentumultes wurde. Aus
dem Spott, der die einziehenden Casinogenvssen empfing, den manche von ihnen
^t Wort und Geberde erwiederten, ward eine Schlägerei, die sich bis zur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/517>, abgerufen am 29.06.2024.