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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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für je 6 Jahre durch die Staatsregierung ernannt; die Schullehrer können nicht
zu Vorsitzenden ernannt werden; wegen dienstwidrigen Verhaltens können ein¬
zelne Mitglieder des Ortsschulrathes aus demselben ausgeschlossen und der Vor¬
sitzende von der Vorstandschaft entfernt werden. Zur Beaufsichtigung einer
größeren Anzahl von Schulen werden Kreisschulräthe ernannt. Jede Kirche
kann für die Ueberwachung des Religionsunterrichts ihrer Angehörigen in der
Volksschule ihre eigenen Aufsichtsbeamten ernennen und durch dieselben Prü¬
fungen des Religionsunterrichts vornehmen und sich Bericht erstatten lassen.
-- Ich theile Ihnen absichtlich so weitläufig den Inhalt dieses Gesetzes mit,
weil es zur Taktik der Gegner gehört, über seine Gemeinschädlichkcit, über die
Gefahr, die es der Religion drohe, zu declamiren, aber wohlweislich den Vor¬
hang nie zu lüften, hinter dem sie der Masse einen Popanz der gräulichsten
Art vorschwindeln.

Gegen das Gesetz erhob sich zuerst der feierliche Protest des greisen Erz-
bischofs von Freiburg. Und ihm folgte, als er erfolglos blieb, ein wahrer
Sturm von Angriffen gegen die Regierung von den Kanzeln herab, in den
klerikalen Zeitungen, in zahllosen, geschickt verbreiteten Flugblättern. Auf der
andern Seite schwieg nun auch die liberale Partei nicht. Adressen an die Kam¬
mern, an Lamey, an den Großherzog dankten für das Gesetz und die kleine
Presse des Landes gab die Vorwürfe und Schmähungen der Ultramontanen
mit Zinsen zurück. Die Agitation wurde neu belebt, als im Herbst des vorigen
Jahres die Wahlen der Ortsschulräthe angeordnet wurden. Zweck derselben
war nun, die Wahlen an möglichst vielen Orten zu verhindern und auf diesem
Wege die Durchführung des Gesetzes zu vereiteln. Neuerdings wurde die Re¬
ligion als in Gefahr bezeichnet, neuerdings die Unwahrheit verbreitet, man habe
die Geistlichen aus der Schule verjagt, man wolle die Schule entchristlichen
u. s. w. Und zu alle dem führte das Kirchenregiment nun einen neuen Schach¬
zug aus. Nach der Gesetzgebung von 1860 konnte der Staat die Geistlichen
nicht zwingen, in die Ortsschulrathe einzutreten; er konnte folglich auch nicht
im Gesetze sie zu gebotenen Vorsitzenden derselben bestimmen. Aber bei
den Debatten der Kammern war vom Ministertische aus mit der größten Be¬
stimmtheit erklärt worden, daß die Regierung regelmäßig den Ortspfarrer zum
Vorsitzenden ernennen werde, wenn nicht ganz besondere Gründe es dem staat¬
lichen Interesse bedenklich erscheinen ließen und es war ferner nicht minder be¬
stimmt erklärt worden, daß die Staatsbehörde von ihrem Recht, den Vorsitzen¬
den zu entsetzen und Ortsschulräthe zu entlassen den Pfarrern gegenüber ohne
vorheriges Benehmen mit den Kirchenregimentern keinen Gebrauch machen werde.

Diese Erklärungen reichten vollauf hin, den von Anfang an sehr geringen
Widerstand, den das Gesetz bei einem Theile der evangelischen Geistlichkeit ge'
funden hatte, fast gänzlich verschwinden zu machen. Der evangelische Ober-


für je 6 Jahre durch die Staatsregierung ernannt; die Schullehrer können nicht
zu Vorsitzenden ernannt werden; wegen dienstwidrigen Verhaltens können ein¬
zelne Mitglieder des Ortsschulrathes aus demselben ausgeschlossen und der Vor¬
sitzende von der Vorstandschaft entfernt werden. Zur Beaufsichtigung einer
größeren Anzahl von Schulen werden Kreisschulräthe ernannt. Jede Kirche
kann für die Ueberwachung des Religionsunterrichts ihrer Angehörigen in der
Volksschule ihre eigenen Aufsichtsbeamten ernennen und durch dieselben Prü¬
fungen des Religionsunterrichts vornehmen und sich Bericht erstatten lassen.
— Ich theile Ihnen absichtlich so weitläufig den Inhalt dieses Gesetzes mit,
weil es zur Taktik der Gegner gehört, über seine Gemeinschädlichkcit, über die
Gefahr, die es der Religion drohe, zu declamiren, aber wohlweislich den Vor¬
hang nie zu lüften, hinter dem sie der Masse einen Popanz der gräulichsten
Art vorschwindeln.

Gegen das Gesetz erhob sich zuerst der feierliche Protest des greisen Erz-
bischofs von Freiburg. Und ihm folgte, als er erfolglos blieb, ein wahrer
Sturm von Angriffen gegen die Regierung von den Kanzeln herab, in den
klerikalen Zeitungen, in zahllosen, geschickt verbreiteten Flugblättern. Auf der
andern Seite schwieg nun auch die liberale Partei nicht. Adressen an die Kam¬
mern, an Lamey, an den Großherzog dankten für das Gesetz und die kleine
Presse des Landes gab die Vorwürfe und Schmähungen der Ultramontanen
mit Zinsen zurück. Die Agitation wurde neu belebt, als im Herbst des vorigen
Jahres die Wahlen der Ortsschulräthe angeordnet wurden. Zweck derselben
war nun, die Wahlen an möglichst vielen Orten zu verhindern und auf diesem
Wege die Durchführung des Gesetzes zu vereiteln. Neuerdings wurde die Re¬
ligion als in Gefahr bezeichnet, neuerdings die Unwahrheit verbreitet, man habe
die Geistlichen aus der Schule verjagt, man wolle die Schule entchristlichen
u. s. w. Und zu alle dem führte das Kirchenregiment nun einen neuen Schach¬
zug aus. Nach der Gesetzgebung von 1860 konnte der Staat die Geistlichen
nicht zwingen, in die Ortsschulrathe einzutreten; er konnte folglich auch nicht
im Gesetze sie zu gebotenen Vorsitzenden derselben bestimmen. Aber bei
den Debatten der Kammern war vom Ministertische aus mit der größten Be¬
stimmtheit erklärt worden, daß die Regierung regelmäßig den Ortspfarrer zum
Vorsitzenden ernennen werde, wenn nicht ganz besondere Gründe es dem staat¬
lichen Interesse bedenklich erscheinen ließen und es war ferner nicht minder be¬
stimmt erklärt worden, daß die Staatsbehörde von ihrem Recht, den Vorsitzen¬
den zu entsetzen und Ortsschulräthe zu entlassen den Pfarrern gegenüber ohne
vorheriges Benehmen mit den Kirchenregimentern keinen Gebrauch machen werde.

Diese Erklärungen reichten vollauf hin, den von Anfang an sehr geringen
Widerstand, den das Gesetz bei einem Theile der evangelischen Geistlichkeit ge'
funden hatte, fast gänzlich verschwinden zu machen. Der evangelische Ober-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/514>, abgerufen am 23.07.2024.