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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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werden, eine quadratische Eintheilung der inneren Räume und für die Wöl¬
bungen des Mittelschiffs das Ueberspringen je eines Pfeilers erforderte,) das
spitzbogige mit Diagonalrippen setzte, um den Gewölbefeldern des Mittelschiffs
die gleiche Tiefe wie denen der Seitenschiffe geben, die so entstandenen oblongen
Räume von ungleichen Spannweiten zu gleicher Scheitelhöhe bei gleicher Kämpfer¬
höhe überwölben und dann in einheitlicher Anordnung alle Pfeiler ebenso für das
Mittelschiff wie für die Seitenschiffe benutzen zu können. Indem nun die Last
des Gewölbes ausschließlich auf die Pfeiler übertragen war, hatte die Mauer
keine stützende Function mehr auszuüben; somit trat die Bedeutung derselben
Zurück und es entstand dagegen, um die Kraft jener Pfeiler zu verstärken, das
System der Streben. Mit diesen Neuerungen ging für den nun mehr aus¬
gebildeten Ritus der Kirche die Erweiterung der Choranlage Hand in Hand.
Diese wesentlichen Elemente, welche an sich schon die Bedingungen der neuen
Bauart bilden, traten zuerst, gemischt noch mit romanischen Formen, in der
Zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts in nordfranzösischen Bauten auf (in
allmÄliger Ausbildung: z. B. Kathedrale von Noyon, Se. May in Rheims.
Notre Dame in Chs-tous s. M., Kathedralen von Paris und Laon). Im nörd¬
lichen Frankreich erfolgte auch die weitere Entwickelung, die Erfindung des Ma߬
werks, die Ausbildung des Thurms nach dem Gesetz allmäliger Verjüngung und
Zuspitzung, die der Bündelpfeiler u. s. w.; endlich in den größeren Kathedralen,
wie zu Rheims und Amiens, mit dem Beginn des dreizehnten Jahrhunderts
vollendende, den ganzen Bau folgerichtig gestaltende Durchführung des
Systems.

Die ersten sicheren Zeichen der Einwanderung des neuen Stils aus Frank¬
reich in Deutschland knüpfen sich an die Bauthätigkeit des Ci sterzie n ser-
ordens. Der strengen Regel desselben, welcher der decorative Charakter der spät¬
romanischen Bauart widerstrebte, entsprach eben deshalb, wie Schnaase treffend
Nachgewiesen hat, die strenge und gesetzmäßige Weise des in seinen Anfängen
"och einfachen neuen Stils-, dieselbe strenge Regel hielt die abgezweigten Klö¬
ster unter der Aufsicht der Mutterklöster, alle zusammen in einem engeren Ver¬
bände und erforderte daher für alle neu entstehenden Kirchen dieselbe Bauart.
So verbreitete sich namentlich durch die Cisterzienser die spitzbogige Wölbungs-
"re und mit ihr das neue Bausystem über Deutschland. Und wenn auch die
bauenden Klosterbrüder in einigen Detailformen an die deutsche Ueberlieferung
der romanischen Weise anknüpften, so blieben sie doch selbst noch im dreizehnten
Jahrhundert mit dem Mutterlande in Zusammenhang und empfingen von dort
^r die Formen der weiteren Entwickelung, die sie gleichfalls nach Deutschland
verpflanzten. Aber der Orden war nicht der einzige Weg. auf dem die neue
Bauweise nach den deutschen Ländern .gelangte. Die Uebereinstimmung, welche
d'e Choranlage des Magdeburger Doms, eines der ersten gothischen Werke


werden, eine quadratische Eintheilung der inneren Räume und für die Wöl¬
bungen des Mittelschiffs das Ueberspringen je eines Pfeilers erforderte,) das
spitzbogige mit Diagonalrippen setzte, um den Gewölbefeldern des Mittelschiffs
die gleiche Tiefe wie denen der Seitenschiffe geben, die so entstandenen oblongen
Räume von ungleichen Spannweiten zu gleicher Scheitelhöhe bei gleicher Kämpfer¬
höhe überwölben und dann in einheitlicher Anordnung alle Pfeiler ebenso für das
Mittelschiff wie für die Seitenschiffe benutzen zu können. Indem nun die Last
des Gewölbes ausschließlich auf die Pfeiler übertragen war, hatte die Mauer
keine stützende Function mehr auszuüben; somit trat die Bedeutung derselben
Zurück und es entstand dagegen, um die Kraft jener Pfeiler zu verstärken, das
System der Streben. Mit diesen Neuerungen ging für den nun mehr aus¬
gebildeten Ritus der Kirche die Erweiterung der Choranlage Hand in Hand.
Diese wesentlichen Elemente, welche an sich schon die Bedingungen der neuen
Bauart bilden, traten zuerst, gemischt noch mit romanischen Formen, in der
Zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts in nordfranzösischen Bauten auf (in
allmÄliger Ausbildung: z. B. Kathedrale von Noyon, Se. May in Rheims.
Notre Dame in Chs-tous s. M., Kathedralen von Paris und Laon). Im nörd¬
lichen Frankreich erfolgte auch die weitere Entwickelung, die Erfindung des Ma߬
werks, die Ausbildung des Thurms nach dem Gesetz allmäliger Verjüngung und
Zuspitzung, die der Bündelpfeiler u. s. w.; endlich in den größeren Kathedralen,
wie zu Rheims und Amiens, mit dem Beginn des dreizehnten Jahrhunderts
vollendende, den ganzen Bau folgerichtig gestaltende Durchführung des
Systems.

Die ersten sicheren Zeichen der Einwanderung des neuen Stils aus Frank¬
reich in Deutschland knüpfen sich an die Bauthätigkeit des Ci sterzie n ser-
ordens. Der strengen Regel desselben, welcher der decorative Charakter der spät¬
romanischen Bauart widerstrebte, entsprach eben deshalb, wie Schnaase treffend
Nachgewiesen hat, die strenge und gesetzmäßige Weise des in seinen Anfängen
"och einfachen neuen Stils-, dieselbe strenge Regel hielt die abgezweigten Klö¬
ster unter der Aufsicht der Mutterklöster, alle zusammen in einem engeren Ver¬
bände und erforderte daher für alle neu entstehenden Kirchen dieselbe Bauart.
So verbreitete sich namentlich durch die Cisterzienser die spitzbogige Wölbungs-
"re und mit ihr das neue Bausystem über Deutschland. Und wenn auch die
bauenden Klosterbrüder in einigen Detailformen an die deutsche Ueberlieferung
der romanischen Weise anknüpften, so blieben sie doch selbst noch im dreizehnten
Jahrhundert mit dem Mutterlande in Zusammenhang und empfingen von dort
^r die Formen der weiteren Entwickelung, die sie gleichfalls nach Deutschland
verpflanzten. Aber der Orden war nicht der einzige Weg. auf dem die neue
Bauweise nach den deutschen Ländern .gelangte. Die Uebereinstimmung, welche
d'e Choranlage des Magdeburger Doms, eines der ersten gothischen Werke


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[0491] werden, eine quadratische Eintheilung der inneren Räume und für die Wöl¬ bungen des Mittelschiffs das Ueberspringen je eines Pfeilers erforderte,) das spitzbogige mit Diagonalrippen setzte, um den Gewölbefeldern des Mittelschiffs die gleiche Tiefe wie denen der Seitenschiffe geben, die so entstandenen oblongen Räume von ungleichen Spannweiten zu gleicher Scheitelhöhe bei gleicher Kämpfer¬ höhe überwölben und dann in einheitlicher Anordnung alle Pfeiler ebenso für das Mittelschiff wie für die Seitenschiffe benutzen zu können. Indem nun die Last des Gewölbes ausschließlich auf die Pfeiler übertragen war, hatte die Mauer keine stützende Function mehr auszuüben; somit trat die Bedeutung derselben Zurück und es entstand dagegen, um die Kraft jener Pfeiler zu verstärken, das System der Streben. Mit diesen Neuerungen ging für den nun mehr aus¬ gebildeten Ritus der Kirche die Erweiterung der Choranlage Hand in Hand. Diese wesentlichen Elemente, welche an sich schon die Bedingungen der neuen Bauart bilden, traten zuerst, gemischt noch mit romanischen Formen, in der Zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts in nordfranzösischen Bauten auf (in allmÄliger Ausbildung: z. B. Kathedrale von Noyon, Se. May in Rheims. Notre Dame in Chs-tous s. M., Kathedralen von Paris und Laon). Im nörd¬ lichen Frankreich erfolgte auch die weitere Entwickelung, die Erfindung des Ma߬ werks, die Ausbildung des Thurms nach dem Gesetz allmäliger Verjüngung und Zuspitzung, die der Bündelpfeiler u. s. w.; endlich in den größeren Kathedralen, wie zu Rheims und Amiens, mit dem Beginn des dreizehnten Jahrhunderts vollendende, den ganzen Bau folgerichtig gestaltende Durchführung des Systems. Die ersten sicheren Zeichen der Einwanderung des neuen Stils aus Frank¬ reich in Deutschland knüpfen sich an die Bauthätigkeit des Ci sterzie n ser- ordens. Der strengen Regel desselben, welcher der decorative Charakter der spät¬ romanischen Bauart widerstrebte, entsprach eben deshalb, wie Schnaase treffend Nachgewiesen hat, die strenge und gesetzmäßige Weise des in seinen Anfängen "och einfachen neuen Stils-, dieselbe strenge Regel hielt die abgezweigten Klö¬ ster unter der Aufsicht der Mutterklöster, alle zusammen in einem engeren Ver¬ bände und erforderte daher für alle neu entstehenden Kirchen dieselbe Bauart. So verbreitete sich namentlich durch die Cisterzienser die spitzbogige Wölbungs- "re und mit ihr das neue Bausystem über Deutschland. Und wenn auch die bauenden Klosterbrüder in einigen Detailformen an die deutsche Ueberlieferung der romanischen Weise anknüpften, so blieben sie doch selbst noch im dreizehnten Jahrhundert mit dem Mutterlande in Zusammenhang und empfingen von dort ^r die Formen der weiteren Entwickelung, die sie gleichfalls nach Deutschland verpflanzten. Aber der Orden war nicht der einzige Weg. auf dem die neue Bauweise nach den deutschen Ländern .gelangte. Die Uebereinstimmung, welche d'e Choranlage des Magdeburger Doms, eines der ersten gothischen Werke

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/491>, abgerufen am 23.07.2024.