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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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genug Baumeistern und Laien noch fortbrennt und sich noch immer ein kost¬
bares Dasein in Stein zu verschaffen weiß, so verlohnt es sich wohl der Mühe,
sich den Stil einmal näher sowohl auf seine nationale als auf seine künst¬
lerische Bedeutung anzusehen.

Sein französischer Ursprung*) ist also ausgemacht, und nur der
Eine oder Andere, der hinter der Forschung um zehn bis zwanzig Jahre zurück¬
geblieben ist, mag noch dagegen streiten. Nicht, als ob sich blos seine ver¬
schiedenen Formen und Elemente in Frankreich gebildet und, von dort nach
Deutschland gebracht, hier erst ihre stilbildende Verbindung erhalten hätten.
Sondern in Frankreich selber hat er seine Entwickelung durchlaufen und ist
am Ziele derselben zu einer in ihrer Art vollendeten Gestalt ausgewachsen.
Deutschland hat zwar nicht erst diese als ein fertiges Ganze übernommen, son¬
dern gleichfalls die gothische Bauart eine Entwicklung durchmachen lassen: dies
aber immer in den Spuren des vorangehenden Nachvarlandes
und seinen Schritten folgend. Schon jetzt lassen sich verschiedene Haupt¬
knoten dieses Abhängigteitsverhältnisses nachweisen und vielleicht gelingt es der
ins Mittelalter immer tiefer eindringenden Forschung, seinen ganzen Verlauf
ins Licht der Geschichte zu rücken. Der Spitzbogen war, so lange er neben
romanischen Formen rein decorativ auftrat, in Deutschland ebenso wie im süd¬
lichen Frankreich nichts als eine Erinnerung an arabische Architektur und orien¬
talische Ornamentik, welche die Europäer aus den Kreuzzügen mit heimgebracht
hatten. Die Bedeutung eines neuen Stilmvtivs erhielt er erst da, wo er mit
dem Bewußtsein seiner eigenthümlichen Form gewissermaßen consequent und
absichtlich, wenn auch noch nicht zur Wölbung, so doch zur Anlage von Arkaden
durchgeführt wurde, die bei ungleichen Pfeilerabständen gleiche Scheitelhöhe und
übereinstimmende Form erhalten sollten. Dies war zuerst bei der Erneuerung
des Chors von Se. Denis (um die Mitte des zwölften Jahrhunderts) der
Fall und insofern hat der Abt Suger, der diese Anordnung erfand, den ersten
Stein zum Bau des gothischen Systems gelegt. Indessen seinen wirklichen
Anfang nahm dieses erst, als man an die Stelle des rundbogigen Kreuz¬
gewölbes, (das um leicht und ohne verwickelte Berechnungen gehandhabt zu



") Die im Folgenden zusammengestellten Daten finden sich, an verschiedenen Orten zer¬
streut, in Schnaases vortrefflicher Kniistgeschichte, die zuerst das massenhafte Material der
mittelalterlichen Kunst in den Fluß der Entwickelung gebracht hat. Es ist interessant, zu ver¬
folgen, wie in Schnaase der unbefangene Sinn des Forschers sich mit einer gewisse" Vorliebe
für das Gothische, die gern sowohl eine eigenthümlich deutsche Ausbildung desselben als seine
allgemein künstlerische Bedeutung retten möchte, auseinanderzusetzen und in Einklang zu
kommen suchen. Ein Unternehmen, dessen Mißlingen dem aufmerksamen Leser nicht verborge"
bleibt und das in dem Urtheil des sonst so klar blickenden Mannes allerlei, wenn auch bis¬
weilen verdeckte Widersprüche herbeigeführt hat.

genug Baumeistern und Laien noch fortbrennt und sich noch immer ein kost¬
bares Dasein in Stein zu verschaffen weiß, so verlohnt es sich wohl der Mühe,
sich den Stil einmal näher sowohl auf seine nationale als auf seine künst¬
lerische Bedeutung anzusehen.

Sein französischer Ursprung*) ist also ausgemacht, und nur der
Eine oder Andere, der hinter der Forschung um zehn bis zwanzig Jahre zurück¬
geblieben ist, mag noch dagegen streiten. Nicht, als ob sich blos seine ver¬
schiedenen Formen und Elemente in Frankreich gebildet und, von dort nach
Deutschland gebracht, hier erst ihre stilbildende Verbindung erhalten hätten.
Sondern in Frankreich selber hat er seine Entwickelung durchlaufen und ist
am Ziele derselben zu einer in ihrer Art vollendeten Gestalt ausgewachsen.
Deutschland hat zwar nicht erst diese als ein fertiges Ganze übernommen, son¬
dern gleichfalls die gothische Bauart eine Entwicklung durchmachen lassen: dies
aber immer in den Spuren des vorangehenden Nachvarlandes
und seinen Schritten folgend. Schon jetzt lassen sich verschiedene Haupt¬
knoten dieses Abhängigteitsverhältnisses nachweisen und vielleicht gelingt es der
ins Mittelalter immer tiefer eindringenden Forschung, seinen ganzen Verlauf
ins Licht der Geschichte zu rücken. Der Spitzbogen war, so lange er neben
romanischen Formen rein decorativ auftrat, in Deutschland ebenso wie im süd¬
lichen Frankreich nichts als eine Erinnerung an arabische Architektur und orien¬
talische Ornamentik, welche die Europäer aus den Kreuzzügen mit heimgebracht
hatten. Die Bedeutung eines neuen Stilmvtivs erhielt er erst da, wo er mit
dem Bewußtsein seiner eigenthümlichen Form gewissermaßen consequent und
absichtlich, wenn auch noch nicht zur Wölbung, so doch zur Anlage von Arkaden
durchgeführt wurde, die bei ungleichen Pfeilerabständen gleiche Scheitelhöhe und
übereinstimmende Form erhalten sollten. Dies war zuerst bei der Erneuerung
des Chors von Se. Denis (um die Mitte des zwölften Jahrhunderts) der
Fall und insofern hat der Abt Suger, der diese Anordnung erfand, den ersten
Stein zum Bau des gothischen Systems gelegt. Indessen seinen wirklichen
Anfang nahm dieses erst, als man an die Stelle des rundbogigen Kreuz¬
gewölbes, (das um leicht und ohne verwickelte Berechnungen gehandhabt zu



") Die im Folgenden zusammengestellten Daten finden sich, an verschiedenen Orten zer¬
streut, in Schnaases vortrefflicher Kniistgeschichte, die zuerst das massenhafte Material der
mittelalterlichen Kunst in den Fluß der Entwickelung gebracht hat. Es ist interessant, zu ver¬
folgen, wie in Schnaase der unbefangene Sinn des Forschers sich mit einer gewisse» Vorliebe
für das Gothische, die gern sowohl eine eigenthümlich deutsche Ausbildung desselben als seine
allgemein künstlerische Bedeutung retten möchte, auseinanderzusetzen und in Einklang zu
kommen suchen. Ein Unternehmen, dessen Mißlingen dem aufmerksamen Leser nicht verborge»
bleibt und das in dem Urtheil des sonst so klar blickenden Mannes allerlei, wenn auch bis¬
weilen verdeckte Widersprüche herbeigeführt hat.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/490>, abgerufen am 23.07.2024.