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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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das Reich streitig. Diese, mit Begeisterung und wie im Triumphzug aus der
Vergangenheit hervorgeholt, war vor ihr da; sie will sich von der fremden
Schwester, die ihr mit still aber mächtig wirkenden Reize Fuß für Fuß den
Boden abzugewinnen droht, auch nun nicht verdrängen lassen. Wir Deutsche
haben es ja unser Leben lang büßen müssen, daß wir allzu weitherzig die Aus¬
länder in unser Haus aufgenommen und darüber fast verlernt haben, die Her¬
ren des eigenen Herdes zu sein. Jetzt endlich, da wir einmal Anstalt treffen,
in der Politik von unserem Hausrecht Gebrauch zu machen, nun sollen wir
auch in der Literatur und Kunst nicht länger den Fremden Thür und Thor
öffnen. So wenigstens denkt ein Theil der Nation, der seit fünfzig Jahren alle
Anstrengungen macht, sich als solche zu fühlen, und da er im Staatsleben das
Schwert noch in der Scheide lassen muß, das Banner der deutschen Eigenart
Wenigstens in der Kunst lustig flattern lassen möchte. Ob dieser Schlag von
Patrioten auch dann vorangehen wird, wenn es gilt, mit dem Opfer der klei¬
nen particulären Vortheile und Neigungen die wirkliche Einheit des zerrissenen
Vaterlandes endlich herzustellen, ist vorerst noch einigermaßen zweifelhaft; das
aber jedenfalls ausgemacht, daß er mit seinem nationalen Eifer der Kunst zu
einer neuen Blüthe bis jetzt nicht hat verhelfen können.

Er ist es, der in der Architektur seit fünfzig Jahren die gothische B au¬
art zu seiner Parole macht, und wie sehr dieser auch der Strom der gegen¬
wärtigen Bildung entgegen ist, noch in diesen Tagen treu bei ihr aushält.
Noch immer schwört er auf sie als die einzig nationale und will daher nur in
ihren Formen nicht blos die Kirchen, nein, auch alle Stätten des öffentlichen
Lebens aufgeführt sehen. Andrerseits rühmt er im Selbstgefühl deutscher Prin-
cipientreue die unerschütterliche Strenge ihrer structiven Gesetzmäßigkeit
als die vornehmste Bedingung aller architektonischen Kunst. Und so wirksam
ist noch jetzt die Macht dieser herkömmlichen Meinung, daß auch die jüngste
Zeit nicht nur allerlei niedliche Miniaturausgaben gothischer Kirchen, sondern
sogar gothische Rathhäuser und Börsen (z. B. in Bremen) hervorgetrieben hat.
Namentlich können sich Oestreich und Bayern -- merkwürdigerweise die deut¬
schen Staaten, in deren Adern noch das dickste particularistische Blut fließt --
einer solchen nationalen Baugesinnung rühmen. München, das uns hier
zunächst anliegt, hat ausdrücklich in das Programm des von ihm erfundenen
neuen Baustils das "nationale" Element aufgenommen, restaurirt mit der Blind¬
heit eines fanatischen Eifers sein Münster und baut überdies neue gothische
Kirchen. Nun ist zwar das in einer trüben Periode des neuen deutschen Lebens
aufgeflackerte Vorurtheil für den "deutschen" Stil unter der Mehrzahl der Ge¬
bildeten wieder am Erlöschen, und so auch die Begeisterung, die er entzündet
hat. namentlich seit sein französischer Ursprung unzweifelhaft geworden, bedeu¬
tend abgekühlt. Da aber diese keineswegs harmlose deutsche Schwärmerei in


das Reich streitig. Diese, mit Begeisterung und wie im Triumphzug aus der
Vergangenheit hervorgeholt, war vor ihr da; sie will sich von der fremden
Schwester, die ihr mit still aber mächtig wirkenden Reize Fuß für Fuß den
Boden abzugewinnen droht, auch nun nicht verdrängen lassen. Wir Deutsche
haben es ja unser Leben lang büßen müssen, daß wir allzu weitherzig die Aus¬
länder in unser Haus aufgenommen und darüber fast verlernt haben, die Her¬
ren des eigenen Herdes zu sein. Jetzt endlich, da wir einmal Anstalt treffen,
in der Politik von unserem Hausrecht Gebrauch zu machen, nun sollen wir
auch in der Literatur und Kunst nicht länger den Fremden Thür und Thor
öffnen. So wenigstens denkt ein Theil der Nation, der seit fünfzig Jahren alle
Anstrengungen macht, sich als solche zu fühlen, und da er im Staatsleben das
Schwert noch in der Scheide lassen muß, das Banner der deutschen Eigenart
Wenigstens in der Kunst lustig flattern lassen möchte. Ob dieser Schlag von
Patrioten auch dann vorangehen wird, wenn es gilt, mit dem Opfer der klei¬
nen particulären Vortheile und Neigungen die wirkliche Einheit des zerrissenen
Vaterlandes endlich herzustellen, ist vorerst noch einigermaßen zweifelhaft; das
aber jedenfalls ausgemacht, daß er mit seinem nationalen Eifer der Kunst zu
einer neuen Blüthe bis jetzt nicht hat verhelfen können.

Er ist es, der in der Architektur seit fünfzig Jahren die gothische B au¬
art zu seiner Parole macht, und wie sehr dieser auch der Strom der gegen¬
wärtigen Bildung entgegen ist, noch in diesen Tagen treu bei ihr aushält.
Noch immer schwört er auf sie als die einzig nationale und will daher nur in
ihren Formen nicht blos die Kirchen, nein, auch alle Stätten des öffentlichen
Lebens aufgeführt sehen. Andrerseits rühmt er im Selbstgefühl deutscher Prin-
cipientreue die unerschütterliche Strenge ihrer structiven Gesetzmäßigkeit
als die vornehmste Bedingung aller architektonischen Kunst. Und so wirksam
ist noch jetzt die Macht dieser herkömmlichen Meinung, daß auch die jüngste
Zeit nicht nur allerlei niedliche Miniaturausgaben gothischer Kirchen, sondern
sogar gothische Rathhäuser und Börsen (z. B. in Bremen) hervorgetrieben hat.
Namentlich können sich Oestreich und Bayern — merkwürdigerweise die deut¬
schen Staaten, in deren Adern noch das dickste particularistische Blut fließt —
einer solchen nationalen Baugesinnung rühmen. München, das uns hier
zunächst anliegt, hat ausdrücklich in das Programm des von ihm erfundenen
neuen Baustils das „nationale" Element aufgenommen, restaurirt mit der Blind¬
heit eines fanatischen Eifers sein Münster und baut überdies neue gothische
Kirchen. Nun ist zwar das in einer trüben Periode des neuen deutschen Lebens
aufgeflackerte Vorurtheil für den „deutschen" Stil unter der Mehrzahl der Ge¬
bildeten wieder am Erlöschen, und so auch die Begeisterung, die er entzündet
hat. namentlich seit sein französischer Ursprung unzweifelhaft geworden, bedeu¬
tend abgekühlt. Da aber diese keineswegs harmlose deutsche Schwärmerei in


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[0489] das Reich streitig. Diese, mit Begeisterung und wie im Triumphzug aus der Vergangenheit hervorgeholt, war vor ihr da; sie will sich von der fremden Schwester, die ihr mit still aber mächtig wirkenden Reize Fuß für Fuß den Boden abzugewinnen droht, auch nun nicht verdrängen lassen. Wir Deutsche haben es ja unser Leben lang büßen müssen, daß wir allzu weitherzig die Aus¬ länder in unser Haus aufgenommen und darüber fast verlernt haben, die Her¬ ren des eigenen Herdes zu sein. Jetzt endlich, da wir einmal Anstalt treffen, in der Politik von unserem Hausrecht Gebrauch zu machen, nun sollen wir auch in der Literatur und Kunst nicht länger den Fremden Thür und Thor öffnen. So wenigstens denkt ein Theil der Nation, der seit fünfzig Jahren alle Anstrengungen macht, sich als solche zu fühlen, und da er im Staatsleben das Schwert noch in der Scheide lassen muß, das Banner der deutschen Eigenart Wenigstens in der Kunst lustig flattern lassen möchte. Ob dieser Schlag von Patrioten auch dann vorangehen wird, wenn es gilt, mit dem Opfer der klei¬ nen particulären Vortheile und Neigungen die wirkliche Einheit des zerrissenen Vaterlandes endlich herzustellen, ist vorerst noch einigermaßen zweifelhaft; das aber jedenfalls ausgemacht, daß er mit seinem nationalen Eifer der Kunst zu einer neuen Blüthe bis jetzt nicht hat verhelfen können. Er ist es, der in der Architektur seit fünfzig Jahren die gothische B au¬ art zu seiner Parole macht, und wie sehr dieser auch der Strom der gegen¬ wärtigen Bildung entgegen ist, noch in diesen Tagen treu bei ihr aushält. Noch immer schwört er auf sie als die einzig nationale und will daher nur in ihren Formen nicht blos die Kirchen, nein, auch alle Stätten des öffentlichen Lebens aufgeführt sehen. Andrerseits rühmt er im Selbstgefühl deutscher Prin- cipientreue die unerschütterliche Strenge ihrer structiven Gesetzmäßigkeit als die vornehmste Bedingung aller architektonischen Kunst. Und so wirksam ist noch jetzt die Macht dieser herkömmlichen Meinung, daß auch die jüngste Zeit nicht nur allerlei niedliche Miniaturausgaben gothischer Kirchen, sondern sogar gothische Rathhäuser und Börsen (z. B. in Bremen) hervorgetrieben hat. Namentlich können sich Oestreich und Bayern — merkwürdigerweise die deut¬ schen Staaten, in deren Adern noch das dickste particularistische Blut fließt — einer solchen nationalen Baugesinnung rühmen. München, das uns hier zunächst anliegt, hat ausdrücklich in das Programm des von ihm erfundenen neuen Baustils das „nationale" Element aufgenommen, restaurirt mit der Blind¬ heit eines fanatischen Eifers sein Münster und baut überdies neue gothische Kirchen. Nun ist zwar das in einer trüben Periode des neuen deutschen Lebens aufgeflackerte Vorurtheil für den „deutschen" Stil unter der Mehrzahl der Ge¬ bildeten wieder am Erlöschen, und so auch die Begeisterung, die er entzündet hat. namentlich seit sein französischer Ursprung unzweifelhaft geworden, bedeu¬ tend abgekühlt. Da aber diese keineswegs harmlose deutsche Schwärmerei in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/489>, abgerufen am 23.07.2024.