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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Freiheit ist offenbar in höherem Maße als die communale Selbständigfeit
fortgeschritten. Diese Bemerkung führt uns unwillkürlich zu einem .zweiten
Gesichtspunkt, welcher für die Aussichten des Städterechts von großer Wichtig¬
keit ist.

Schon oben deuteten wir an, daß zwischen der allgemeinen Staatsverfas¬
sung und den Institutionen der communalen Freiheit eine gewisse Uebereinstim¬
mung hergestellt werden müsse. Wir können nun hier geradezu behaupten, daß
das bestehende Mißverhältnis; für die Gesammtheit sowohl des allgemeinen als
des besonderen politischen Lebens sehr ungünstig sei. Es besteht eine innige
Wechselwirkung zwischen der Freiheit und Regsamkeit des Gemeindelebens und
derjenigen der allgemeinen politischen Functionen. Der staatsbürgerlichen Frei¬
heit fehlt die niedere Grundlage zu einer nachhaltigen Bethätigung, wenn die
natürlichen Einheiten des socialen Daseins d. h. die Gemeinden keine Wider¬
standskraft besitzen und von der gouvernementalen Windrichtung abhängen.
Andererseits kann aber auch das Gemeindeleben nicht gedeihen, wo es nicht
höhere Antriebe von einem regsamen staatsbürgerlichen Leben empfängt und
die kleineren Verhältnisse im Lichte der größeren Angelegenheiten betrachten lernt.
Diese beiden Sphären des politischen Daseins verhalten sich zu einander wie
eine niedere und höhere Stufe des organischen Daseins. Die niedere Voraus¬
setzung kann allenfalls, aber doch nur in unvollkommener Weise, ohne die
höhere Gestaltungssphäre, also z. B. das vegetative ohne das animale Leben
selbständig bestehen; aber es kann das höhere Gesammtgebilde selbst nie un¬
abhängig von dem Dasein der niederen Stufe existiren. Die Wechselbeziehung
ist also, so innig sie auch sein mag. nicht völlig gleich. Der Unterbau der
Gemeindefreiheit muß erst gehörig ausgeführt sein, ehe wir von einer unwan¬
delbaren Garantie der staatsbürgerlichen Freiheit reden können. Lassen wir uns
jedoch durch den Anschein der gegenwärtigen Zustände nicht täusche". Es ist
iMz in der Ordnung, daß mit der Belebung des centralen politischen Daseins
und der centralen Functionen begonnen worden ist. Wenn einerseits die nie¬
deren Sphären gleichsam den unerläßlichen Unterbau der höheren Bildungen
abgeben, so ist doch das Nangverhältniß der schaffenden Kräfte ein grade um¬
gekehrtes. Was als niedere Stufe unerläßliche Vorbedingung der wirtlichen
^istenz xines höher organisirten Wesens ist, muß im schöpferischen Plane der
Tänzen Hervorbringung als im Voraus entworfen und aus centralen Kräften
entsprungen betrachtet werden. Ein solches Wesen ist nun auch der Staat,
""d es liegt daher ganz in der natürlichen Richtung des Ganges der Reformen,
^cum mit der Formulirung und einstweiligen Paciscirung der staatsbürgerlichen
Freiheiten begonnen und erst zur weiteren Sicherung derselben an die Gewähr¬
leistung und Ausdehnung der Gemeindefreiheit gegangen wird. Der innere
""d geistige Hergang hat eine Richtung vom Mittelpunkt zu den Außengebilden,


Freiheit ist offenbar in höherem Maße als die communale Selbständigfeit
fortgeschritten. Diese Bemerkung führt uns unwillkürlich zu einem .zweiten
Gesichtspunkt, welcher für die Aussichten des Städterechts von großer Wichtig¬
keit ist.

Schon oben deuteten wir an, daß zwischen der allgemeinen Staatsverfas¬
sung und den Institutionen der communalen Freiheit eine gewisse Uebereinstim¬
mung hergestellt werden müsse. Wir können nun hier geradezu behaupten, daß
das bestehende Mißverhältnis; für die Gesammtheit sowohl des allgemeinen als
des besonderen politischen Lebens sehr ungünstig sei. Es besteht eine innige
Wechselwirkung zwischen der Freiheit und Regsamkeit des Gemeindelebens und
derjenigen der allgemeinen politischen Functionen. Der staatsbürgerlichen Frei¬
heit fehlt die niedere Grundlage zu einer nachhaltigen Bethätigung, wenn die
natürlichen Einheiten des socialen Daseins d. h. die Gemeinden keine Wider¬
standskraft besitzen und von der gouvernementalen Windrichtung abhängen.
Andererseits kann aber auch das Gemeindeleben nicht gedeihen, wo es nicht
höhere Antriebe von einem regsamen staatsbürgerlichen Leben empfängt und
die kleineren Verhältnisse im Lichte der größeren Angelegenheiten betrachten lernt.
Diese beiden Sphären des politischen Daseins verhalten sich zu einander wie
eine niedere und höhere Stufe des organischen Daseins. Die niedere Voraus¬
setzung kann allenfalls, aber doch nur in unvollkommener Weise, ohne die
höhere Gestaltungssphäre, also z. B. das vegetative ohne das animale Leben
selbständig bestehen; aber es kann das höhere Gesammtgebilde selbst nie un¬
abhängig von dem Dasein der niederen Stufe existiren. Die Wechselbeziehung
ist also, so innig sie auch sein mag. nicht völlig gleich. Der Unterbau der
Gemeindefreiheit muß erst gehörig ausgeführt sein, ehe wir von einer unwan¬
delbaren Garantie der staatsbürgerlichen Freiheit reden können. Lassen wir uns
jedoch durch den Anschein der gegenwärtigen Zustände nicht täusche». Es ist
iMz in der Ordnung, daß mit der Belebung des centralen politischen Daseins
und der centralen Functionen begonnen worden ist. Wenn einerseits die nie¬
deren Sphären gleichsam den unerläßlichen Unterbau der höheren Bildungen
abgeben, so ist doch das Nangverhältniß der schaffenden Kräfte ein grade um¬
gekehrtes. Was als niedere Stufe unerläßliche Vorbedingung der wirtlichen
^istenz xines höher organisirten Wesens ist, muß im schöpferischen Plane der
Tänzen Hervorbringung als im Voraus entworfen und aus centralen Kräften
entsprungen betrachtet werden. Ein solches Wesen ist nun auch der Staat,
""d es liegt daher ganz in der natürlichen Richtung des Ganges der Reformen,
^cum mit der Formulirung und einstweiligen Paciscirung der staatsbürgerlichen
Freiheiten begonnen und erst zur weiteren Sicherung derselben an die Gewähr¬
leistung und Ausdehnung der Gemeindefreiheit gegangen wird. Der innere
""d geistige Hergang hat eine Richtung vom Mittelpunkt zu den Außengebilden,


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[0441] Freiheit ist offenbar in höherem Maße als die communale Selbständigfeit fortgeschritten. Diese Bemerkung führt uns unwillkürlich zu einem .zweiten Gesichtspunkt, welcher für die Aussichten des Städterechts von großer Wichtig¬ keit ist. Schon oben deuteten wir an, daß zwischen der allgemeinen Staatsverfas¬ sung und den Institutionen der communalen Freiheit eine gewisse Uebereinstim¬ mung hergestellt werden müsse. Wir können nun hier geradezu behaupten, daß das bestehende Mißverhältnis; für die Gesammtheit sowohl des allgemeinen als des besonderen politischen Lebens sehr ungünstig sei. Es besteht eine innige Wechselwirkung zwischen der Freiheit und Regsamkeit des Gemeindelebens und derjenigen der allgemeinen politischen Functionen. Der staatsbürgerlichen Frei¬ heit fehlt die niedere Grundlage zu einer nachhaltigen Bethätigung, wenn die natürlichen Einheiten des socialen Daseins d. h. die Gemeinden keine Wider¬ standskraft besitzen und von der gouvernementalen Windrichtung abhängen. Andererseits kann aber auch das Gemeindeleben nicht gedeihen, wo es nicht höhere Antriebe von einem regsamen staatsbürgerlichen Leben empfängt und die kleineren Verhältnisse im Lichte der größeren Angelegenheiten betrachten lernt. Diese beiden Sphären des politischen Daseins verhalten sich zu einander wie eine niedere und höhere Stufe des organischen Daseins. Die niedere Voraus¬ setzung kann allenfalls, aber doch nur in unvollkommener Weise, ohne die höhere Gestaltungssphäre, also z. B. das vegetative ohne das animale Leben selbständig bestehen; aber es kann das höhere Gesammtgebilde selbst nie un¬ abhängig von dem Dasein der niederen Stufe existiren. Die Wechselbeziehung ist also, so innig sie auch sein mag. nicht völlig gleich. Der Unterbau der Gemeindefreiheit muß erst gehörig ausgeführt sein, ehe wir von einer unwan¬ delbaren Garantie der staatsbürgerlichen Freiheit reden können. Lassen wir uns jedoch durch den Anschein der gegenwärtigen Zustände nicht täusche». Es ist iMz in der Ordnung, daß mit der Belebung des centralen politischen Daseins und der centralen Functionen begonnen worden ist. Wenn einerseits die nie¬ deren Sphären gleichsam den unerläßlichen Unterbau der höheren Bildungen abgeben, so ist doch das Nangverhältniß der schaffenden Kräfte ein grade um¬ gekehrtes. Was als niedere Stufe unerläßliche Vorbedingung der wirtlichen ^istenz xines höher organisirten Wesens ist, muß im schöpferischen Plane der Tänzen Hervorbringung als im Voraus entworfen und aus centralen Kräften entsprungen betrachtet werden. Ein solches Wesen ist nun auch der Staat, ""d es liegt daher ganz in der natürlichen Richtung des Ganges der Reformen, ^cum mit der Formulirung und einstweiligen Paciscirung der staatsbürgerlichen Freiheiten begonnen und erst zur weiteren Sicherung derselben an die Gewähr¬ leistung und Ausdehnung der Gemeindefreiheit gegangen wird. Der innere ""d geistige Hergang hat eine Richtung vom Mittelpunkt zu den Außengebilden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/441>, abgerufen am 23.07.2024.