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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Städteordnung von 1808 nicht überall eingeführt worden, und so erklärt sich
denn der Anachronismus, daß einige Standesherren den in ihrem Gutsbezirk
gelegenen Städten gegenüber noch jetzt die Rolle der Staatsgewalt spielen
dürfen. Eine Städteverfassung, welche diese Reste nicht etwa blos als zufällige
Ueberbleibsel des Feudalismus stehen gelassen, sondern noch im Anfang der
dreißiger Jahre, also in der Aera der Julirevolution von neuem wieder ein¬
geführt hat. -- eine solche Städteverfassung wird auch sonst die Gemeinde¬
freiheit nicht allzu liberal bedacht und die natürliche Stellung der Gemeinden
nicht allzu sehr berücksichtigt haben. Ganz abgesehen von dem Aufsichtsrechte
des Staates, welches gar zu tief in die städtische Verwaltung hineingreift und
eine Controle ausübt, die besser von den zunächst Betheiligten, d. h. der ge¬
hörig vertretenen Bürgerschaft ausgehen würde, ist auch schon das ganze ver¬
fassungsmäßige Verhältniß zu den Staatsbehörden von vornherein als eine
Unterthänigkeit aufgefaßt. Die Vorstände derjenigen Städte, weiche nicht
direct mit der Regierung, sondern zunächst und unmittelbar nur mit dem
Landrath verkehren, müssen an den letzteren noch obendrein im respectvollen
Bauchtheil schreiben, während sich der Herr Landrath selbst gleich den Ministerien
des Rescriptenstils bedient. Dieser äußerliche Zug ist nur ein symbolischer Aus¬
druck des innern Verhältnisses. Die Gemeinden sind nun aber, so klein sie
auch übrigens sein mögen, natürliche politische Einheiten, deren Dasein etwas
mehr bedeuten will, als irgend eine untergeordnete Amtsfunction. So lange
man einer solchen natürlichen Körperschaft, wie die Gemeinde ist, noch einen
Einzelbeamten des Staats gegenüberstellt und ihm gegenüber ihr das Verhältniß
eines Dieners schon verfassungsmäßig anweist, ist keine Aussicht vorhanden,
daß sich die politischen Zustände allzu hoch über das französische Präfectensystem
erheben. Freilich muß in allen der Centralisation bedürftigen politischen
Functionen der Staat seine Interessen durchsetzen und wissen, wie er die
Gemeinden zur Mitwirkung für seine Zwecke nöthigenfalls gewaltsam anzu¬
halten habe; allein diese Nothwendigkeit schließt eine bedeutende Selbständig¬
keit des Gemeindedaseins nicht aus und erlaubt sogar eine gewisse Nebenord¬
nung der Gemeinden und der äußersten Ausläufer der allgemein staatlichen
Beamtenhierarchie. Warum soll der Landrath mit den Gemeindevorständen
nickt auf dem Fuße eines Kommissars der Regierung verkehren, welcher nichts
weiter zu thun hat, als ihnen die im centralen Interesse erlassenen Ver¬
fügungen mitzutheilen, im Falle der Nichtausführung seinem Committenten
zu berichten und so das eigne Einschreiten einer höheren obrigkeitlichen Ge¬
walt zu veranlassen? Doch wir wollen uns hier nicht auf besondere Schema-
tisirungen einlassen. Die politischen Functionen der durch Stadtverordneten¬
versammlung und Magistrat vertretenen Bürgerschaft werden im Allgemeinen
noch immer wie das oben erwähnte Petitionsrecht betrachtet. Die individuelle


Städteordnung von 1808 nicht überall eingeführt worden, und so erklärt sich
denn der Anachronismus, daß einige Standesherren den in ihrem Gutsbezirk
gelegenen Städten gegenüber noch jetzt die Rolle der Staatsgewalt spielen
dürfen. Eine Städteverfassung, welche diese Reste nicht etwa blos als zufällige
Ueberbleibsel des Feudalismus stehen gelassen, sondern noch im Anfang der
dreißiger Jahre, also in der Aera der Julirevolution von neuem wieder ein¬
geführt hat. — eine solche Städteverfassung wird auch sonst die Gemeinde¬
freiheit nicht allzu liberal bedacht und die natürliche Stellung der Gemeinden
nicht allzu sehr berücksichtigt haben. Ganz abgesehen von dem Aufsichtsrechte
des Staates, welches gar zu tief in die städtische Verwaltung hineingreift und
eine Controle ausübt, die besser von den zunächst Betheiligten, d. h. der ge¬
hörig vertretenen Bürgerschaft ausgehen würde, ist auch schon das ganze ver¬
fassungsmäßige Verhältniß zu den Staatsbehörden von vornherein als eine
Unterthänigkeit aufgefaßt. Die Vorstände derjenigen Städte, weiche nicht
direct mit der Regierung, sondern zunächst und unmittelbar nur mit dem
Landrath verkehren, müssen an den letzteren noch obendrein im respectvollen
Bauchtheil schreiben, während sich der Herr Landrath selbst gleich den Ministerien
des Rescriptenstils bedient. Dieser äußerliche Zug ist nur ein symbolischer Aus¬
druck des innern Verhältnisses. Die Gemeinden sind nun aber, so klein sie
auch übrigens sein mögen, natürliche politische Einheiten, deren Dasein etwas
mehr bedeuten will, als irgend eine untergeordnete Amtsfunction. So lange
man einer solchen natürlichen Körperschaft, wie die Gemeinde ist, noch einen
Einzelbeamten des Staats gegenüberstellt und ihm gegenüber ihr das Verhältniß
eines Dieners schon verfassungsmäßig anweist, ist keine Aussicht vorhanden,
daß sich die politischen Zustände allzu hoch über das französische Präfectensystem
erheben. Freilich muß in allen der Centralisation bedürftigen politischen
Functionen der Staat seine Interessen durchsetzen und wissen, wie er die
Gemeinden zur Mitwirkung für seine Zwecke nöthigenfalls gewaltsam anzu¬
halten habe; allein diese Nothwendigkeit schließt eine bedeutende Selbständig¬
keit des Gemeindedaseins nicht aus und erlaubt sogar eine gewisse Nebenord¬
nung der Gemeinden und der äußersten Ausläufer der allgemein staatlichen
Beamtenhierarchie. Warum soll der Landrath mit den Gemeindevorständen
nickt auf dem Fuße eines Kommissars der Regierung verkehren, welcher nichts
weiter zu thun hat, als ihnen die im centralen Interesse erlassenen Ver¬
fügungen mitzutheilen, im Falle der Nichtausführung seinem Committenten
zu berichten und so das eigne Einschreiten einer höheren obrigkeitlichen Ge¬
walt zu veranlassen? Doch wir wollen uns hier nicht auf besondere Schema-
tisirungen einlassen. Die politischen Functionen der durch Stadtverordneten¬
versammlung und Magistrat vertretenen Bürgerschaft werden im Allgemeinen
noch immer wie das oben erwähnte Petitionsrecht betrachtet. Die individuelle


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/440>, abgerufen am 23.07.2024.