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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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reich, die Zukunft des Landes auf die Bildung zu begründen und die Fort¬
schritte, anstatt diese von den Decreten der Regierung zu erwarten, auf die
persönliche Initiative zu bauen.

Fast gleichzeitig tauchten in den Jahren 1862 und 18K3 an mehren
Orten Versuche zur Gründung von Gemcindebibliotheken auf. Aber das Ver¬
dienst, von jenem höher" Gesichtspunkt aus die Sache erfaßt und ihr eine feste
Organisation gegeben zu haben, gebührt wesentlich einem einfachen Privatmann,
dem Lehrer an einem Erziehungsinstitut in der Nähe von Colmar. dem schon
genannten Sekretär der Gesellschaft, Jean Mace. Ich darf wohl ein Wort
von Mac6 selbst hinzufügen, denn in seinem Lebensgang spiegelt sich selbst
wieder ein Stück französischer Geschichte.

Jean Mach hat vor Jahren auch der Politik seinen Tribut bezahlt. Das
Jahr 1848 sah ihn als Mitarbeiter am Journal I,g> röxudlicsue, als Präsi¬
denten von Clubs und Banketen. Der Staatsstreich vertrieb ihn aus Paris.
Er fand ein Asyl an dem Mädchcnpensional Petit Chateau zu Veblenheim,
eine Meile unterhalb Colmar. Mitten unter den Weingeländen, welche von
den Vogesen sich an den Rhein hinziehen, erhebt sich das Schlößchen. Es ist
die lachendste Gegend; von Normest winken die drei malerischen Ruinen von
Ribeauvillk (Rappoltsweiler) und weiterhin die hohe Königsburg herüber, nach
Osten erscheint über demi Rhein die blaue Linie des Schwarzwaldes. Die
Lehrstunden und die jugendlichen Spiele ließen unserem Professor Zeit genug
übrig, oder vielmehr sie regten ihn an zu einer Reihe von geistvollen Jugend¬
schriften, welche in der von Hetzel veranstalteten didliotnöque ä'6<Zueg,t.i(in et
as reerelttion an der Spitze stehen und im Grund ein ganz neues Genre
der pädagogischen Literatur geschaffen haben. Der besondere Reiz derselben
liegt in der mit seltenem Glück getroffenen Einkleidung des wissenschaftlich be¬
lehrenden Stoffs in ein die Einbildungskraft anregendes unterhaltendes Ge-
plauder. Am bekanntesten ist seine oistoire et'une doucnee ac Min geworden,
die in Frankreich in 13 Auflagen verbreitet ist und die Geschichte des mensch¬
lichen Ernährungsprocesses, bei aller wissenschaftlichen Strenge in der Sache, in
der amüsantesten Form erzählt. Die Fortsetzung davon: Iss serviteurs as
1'estciMÄe schreibt er gegenwärtig in die treffliche illustrirte Zeitschrift maMsirr
ä'öäueÄtion et <Ze rvereÄtion, welche er in Verbindung mit Hetzel (P. I. Stahl)
herausgiebt. Dieser Sprung vom demokratischen Volksredner zum bescheidenen
Pädagogen, ist er nicht im Kleinen eben das, was dem heutigen Frankreich
noth thut? Aber diese stille Wirksamkeit that doch seinem regsamen Geist
nicht volle Genüge, wir kehren zu den Gemeindevibliotheken zurück.

Mit einer unermüdlichen schriftstellerischen und persönlichen Thätigkeit ging
Mach ans Werk. Er besprach den Plan mit einflußreichen Männern, insbe¬
sondere Fabrikanten, gewann den Präfekten des Departements für sein Vor-


reich, die Zukunft des Landes auf die Bildung zu begründen und die Fort¬
schritte, anstatt diese von den Decreten der Regierung zu erwarten, auf die
persönliche Initiative zu bauen.

Fast gleichzeitig tauchten in den Jahren 1862 und 18K3 an mehren
Orten Versuche zur Gründung von Gemcindebibliotheken auf. Aber das Ver¬
dienst, von jenem höher» Gesichtspunkt aus die Sache erfaßt und ihr eine feste
Organisation gegeben zu haben, gebührt wesentlich einem einfachen Privatmann,
dem Lehrer an einem Erziehungsinstitut in der Nähe von Colmar. dem schon
genannten Sekretär der Gesellschaft, Jean Mace. Ich darf wohl ein Wort
von Mac6 selbst hinzufügen, denn in seinem Lebensgang spiegelt sich selbst
wieder ein Stück französischer Geschichte.

Jean Mach hat vor Jahren auch der Politik seinen Tribut bezahlt. Das
Jahr 1848 sah ihn als Mitarbeiter am Journal I,g> röxudlicsue, als Präsi¬
denten von Clubs und Banketen. Der Staatsstreich vertrieb ihn aus Paris.
Er fand ein Asyl an dem Mädchcnpensional Petit Chateau zu Veblenheim,
eine Meile unterhalb Colmar. Mitten unter den Weingeländen, welche von
den Vogesen sich an den Rhein hinziehen, erhebt sich das Schlößchen. Es ist
die lachendste Gegend; von Normest winken die drei malerischen Ruinen von
Ribeauvillk (Rappoltsweiler) und weiterhin die hohe Königsburg herüber, nach
Osten erscheint über demi Rhein die blaue Linie des Schwarzwaldes. Die
Lehrstunden und die jugendlichen Spiele ließen unserem Professor Zeit genug
übrig, oder vielmehr sie regten ihn an zu einer Reihe von geistvollen Jugend¬
schriften, welche in der von Hetzel veranstalteten didliotnöque ä'6<Zueg,t.i(in et
as reerelttion an der Spitze stehen und im Grund ein ganz neues Genre
der pädagogischen Literatur geschaffen haben. Der besondere Reiz derselben
liegt in der mit seltenem Glück getroffenen Einkleidung des wissenschaftlich be¬
lehrenden Stoffs in ein die Einbildungskraft anregendes unterhaltendes Ge-
plauder. Am bekanntesten ist seine oistoire et'une doucnee ac Min geworden,
die in Frankreich in 13 Auflagen verbreitet ist und die Geschichte des mensch¬
lichen Ernährungsprocesses, bei aller wissenschaftlichen Strenge in der Sache, in
der amüsantesten Form erzählt. Die Fortsetzung davon: Iss serviteurs as
1'estciMÄe schreibt er gegenwärtig in die treffliche illustrirte Zeitschrift maMsirr
ä'öäueÄtion et <Ze rvereÄtion, welche er in Verbindung mit Hetzel (P. I. Stahl)
herausgiebt. Dieser Sprung vom demokratischen Volksredner zum bescheidenen
Pädagogen, ist er nicht im Kleinen eben das, was dem heutigen Frankreich
noth thut? Aber diese stille Wirksamkeit that doch seinem regsamen Geist
nicht volle Genüge, wir kehren zu den Gemeindevibliotheken zurück.

Mit einer unermüdlichen schriftstellerischen und persönlichen Thätigkeit ging
Mach ans Werk. Er besprach den Plan mit einflußreichen Männern, insbe¬
sondere Fabrikanten, gewann den Präfekten des Departements für sein Vor-


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[0032] reich, die Zukunft des Landes auf die Bildung zu begründen und die Fort¬ schritte, anstatt diese von den Decreten der Regierung zu erwarten, auf die persönliche Initiative zu bauen. Fast gleichzeitig tauchten in den Jahren 1862 und 18K3 an mehren Orten Versuche zur Gründung von Gemcindebibliotheken auf. Aber das Ver¬ dienst, von jenem höher» Gesichtspunkt aus die Sache erfaßt und ihr eine feste Organisation gegeben zu haben, gebührt wesentlich einem einfachen Privatmann, dem Lehrer an einem Erziehungsinstitut in der Nähe von Colmar. dem schon genannten Sekretär der Gesellschaft, Jean Mace. Ich darf wohl ein Wort von Mac6 selbst hinzufügen, denn in seinem Lebensgang spiegelt sich selbst wieder ein Stück französischer Geschichte. Jean Mach hat vor Jahren auch der Politik seinen Tribut bezahlt. Das Jahr 1848 sah ihn als Mitarbeiter am Journal I,g> röxudlicsue, als Präsi¬ denten von Clubs und Banketen. Der Staatsstreich vertrieb ihn aus Paris. Er fand ein Asyl an dem Mädchcnpensional Petit Chateau zu Veblenheim, eine Meile unterhalb Colmar. Mitten unter den Weingeländen, welche von den Vogesen sich an den Rhein hinziehen, erhebt sich das Schlößchen. Es ist die lachendste Gegend; von Normest winken die drei malerischen Ruinen von Ribeauvillk (Rappoltsweiler) und weiterhin die hohe Königsburg herüber, nach Osten erscheint über demi Rhein die blaue Linie des Schwarzwaldes. Die Lehrstunden und die jugendlichen Spiele ließen unserem Professor Zeit genug übrig, oder vielmehr sie regten ihn an zu einer Reihe von geistvollen Jugend¬ schriften, welche in der von Hetzel veranstalteten didliotnöque ä'6<Zueg,t.i(in et as reerelttion an der Spitze stehen und im Grund ein ganz neues Genre der pädagogischen Literatur geschaffen haben. Der besondere Reiz derselben liegt in der mit seltenem Glück getroffenen Einkleidung des wissenschaftlich be¬ lehrenden Stoffs in ein die Einbildungskraft anregendes unterhaltendes Ge- plauder. Am bekanntesten ist seine oistoire et'une doucnee ac Min geworden, die in Frankreich in 13 Auflagen verbreitet ist und die Geschichte des mensch¬ lichen Ernährungsprocesses, bei aller wissenschaftlichen Strenge in der Sache, in der amüsantesten Form erzählt. Die Fortsetzung davon: Iss serviteurs as 1'estciMÄe schreibt er gegenwärtig in die treffliche illustrirte Zeitschrift maMsirr ä'öäueÄtion et <Ze rvereÄtion, welche er in Verbindung mit Hetzel (P. I. Stahl) herausgiebt. Dieser Sprung vom demokratischen Volksredner zum bescheidenen Pädagogen, ist er nicht im Kleinen eben das, was dem heutigen Frankreich noth thut? Aber diese stille Wirksamkeit that doch seinem regsamen Geist nicht volle Genüge, wir kehren zu den Gemeindevibliotheken zurück. Mit einer unermüdlichen schriftstellerischen und persönlichen Thätigkeit ging Mach ans Werk. Er besprach den Plan mit einflußreichen Männern, insbe¬ sondere Fabrikanten, gewann den Präfekten des Departements für sein Vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/32>, abgerufen am 23.07.2024.