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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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wegung setzte. Nicht von oben herab, nicht durch Befehle von Paris nach den
Provinzen konnte ein solches Werk abrundet werden. Die Gemeinden mußten
vielmehr selbst dafür interessirt werde", und dies war nur möglich, indem man
in ihnen selbst die Initiative erweckte. Diese Einsicht bewog jetzt einige ein¬
sichtsvolle Männer im Oberrhein, auf eine ganz andere Weise die Sache wieder
aufzunehmen.

Im Elsaß war allerdings schon vorgearbeitet, durch altere Institute war
ein gewisses Interesse an der Sache bereits vorhanden. Das oberrheinische
Departement hatte in dieser Beziehung von jeher die erste Stelle in Frankreich
eingenommen. - Von den Scbulbibliothekcn abgesehen hatte die elsässische Ge¬
sellschaft Bücher und den Geschmack am Lesen zu verbreiten gesucht. Religiöse
Gesellschaften warfen Tausende von Büchern unter das Volk. Durch den
Eifer der Geistlichen waren an vielen Orten Pfarrbiblivtheken entstanden, die
zum Theil schon eine große Ausdehnung hatten. Ganz besonders aber ist zu
erwähnen, daß die großen Fabrikbesitzer im Oberrhein, in Mühlhausen, in
GuebnMer, in Beaucourt u. a. O. besondere Bibliotheken für ihre Arbeiter
gegründet hatten, was von wohlthätigem Einfluß auf die geistige Erziehung
dieses Standes war. Um nur ein Beispiel zu nennen, besteht die Bibliothek
in dem Etablissement des Herrn Trapp in Mühlhausen schon seit fünfzehn
Jahren, sie ist im Lauf dieser Zeit auf 1200 Bände angewachsen, die unter
700 Arbeitern von 500 regelmäßig benutzt werde". Allein damals waren doch
nur locale Bedürfnisse befriedigt, die Institute waren auf einzelne Kreise be¬
rechnet. Einen allgemeinen Charakter konnte die Bewegung nur annehmen,
wenn die Gemeinden als solche vermocht wurden, die Sache in die Hand zu
nehmen. Der Grundsatz, ans welchem die neue Organisation beruht, ist des¬
halb der, daß die Bibliothek Eigenthum der Gemeinde sein, aus Kosten der
Eittwobner unterhalten, von ihnen selbst verwaltet werden soll. Es handelte
sich darum, den Gemeinden ein neues Eigenthum zu schaffen, das in ihrem In¬
ventar unter der Rubrik: geistige Bedürfnisse figuriren sollte. Es war mit
einem Wort auf ein nationales Institut abgesehen; man sollte eines Tages
sagen können, daß in Frankreich jede Gemeinde ihre Bibliothek besitzt, wie sie
ihre Kirche, ihre Schule, ihre Mairie hat. Unter diesem Gesichtspunkt springt
die Wichtigkeit der Sache in die Augen. Es ist ein Anfang, die Gemeinde an
eine selbständige Behandlung ihrer Angelegenheiten zu gewöhne". Indem sie
diese Bibliotheken zu ihrer eignen Sache macht, in welcher sie souverän auf¬
tritt und entscheidet, sind dieselben -- von allem moralischen Gewinn noch
abgesehen -- schon formell ein Erziehungsmittel zur Selbständigkeit der Ge¬
meinden, zur Emancipation von Kirche und Staat, sie sind ein Stück Self-
government. Die ganze Bewegung steht von hier aus betrachtet im engsten
Zusammenhang mit den Bestrebungen der einsichtsvollsten Politiker in Frank-


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wegung setzte. Nicht von oben herab, nicht durch Befehle von Paris nach den
Provinzen konnte ein solches Werk abrundet werden. Die Gemeinden mußten
vielmehr selbst dafür interessirt werde», und dies war nur möglich, indem man
in ihnen selbst die Initiative erweckte. Diese Einsicht bewog jetzt einige ein¬
sichtsvolle Männer im Oberrhein, auf eine ganz andere Weise die Sache wieder
aufzunehmen.

Im Elsaß war allerdings schon vorgearbeitet, durch altere Institute war
ein gewisses Interesse an der Sache bereits vorhanden. Das oberrheinische
Departement hatte in dieser Beziehung von jeher die erste Stelle in Frankreich
eingenommen. - Von den Scbulbibliothekcn abgesehen hatte die elsässische Ge¬
sellschaft Bücher und den Geschmack am Lesen zu verbreiten gesucht. Religiöse
Gesellschaften warfen Tausende von Büchern unter das Volk. Durch den
Eifer der Geistlichen waren an vielen Orten Pfarrbiblivtheken entstanden, die
zum Theil schon eine große Ausdehnung hatten. Ganz besonders aber ist zu
erwähnen, daß die großen Fabrikbesitzer im Oberrhein, in Mühlhausen, in
GuebnMer, in Beaucourt u. a. O. besondere Bibliotheken für ihre Arbeiter
gegründet hatten, was von wohlthätigem Einfluß auf die geistige Erziehung
dieses Standes war. Um nur ein Beispiel zu nennen, besteht die Bibliothek
in dem Etablissement des Herrn Trapp in Mühlhausen schon seit fünfzehn
Jahren, sie ist im Lauf dieser Zeit auf 1200 Bände angewachsen, die unter
700 Arbeitern von 500 regelmäßig benutzt werde». Allein damals waren doch
nur locale Bedürfnisse befriedigt, die Institute waren auf einzelne Kreise be¬
rechnet. Einen allgemeinen Charakter konnte die Bewegung nur annehmen,
wenn die Gemeinden als solche vermocht wurden, die Sache in die Hand zu
nehmen. Der Grundsatz, ans welchem die neue Organisation beruht, ist des¬
halb der, daß die Bibliothek Eigenthum der Gemeinde sein, aus Kosten der
Eittwobner unterhalten, von ihnen selbst verwaltet werden soll. Es handelte
sich darum, den Gemeinden ein neues Eigenthum zu schaffen, das in ihrem In¬
ventar unter der Rubrik: geistige Bedürfnisse figuriren sollte. Es war mit
einem Wort auf ein nationales Institut abgesehen; man sollte eines Tages
sagen können, daß in Frankreich jede Gemeinde ihre Bibliothek besitzt, wie sie
ihre Kirche, ihre Schule, ihre Mairie hat. Unter diesem Gesichtspunkt springt
die Wichtigkeit der Sache in die Augen. Es ist ein Anfang, die Gemeinde an
eine selbständige Behandlung ihrer Angelegenheiten zu gewöhne». Indem sie
diese Bibliotheken zu ihrer eignen Sache macht, in welcher sie souverän auf¬
tritt und entscheidet, sind dieselben — von allem moralischen Gewinn noch
abgesehen — schon formell ein Erziehungsmittel zur Selbständigkeit der Ge¬
meinden, zur Emancipation von Kirche und Staat, sie sind ein Stück Self-
government. Die ganze Bewegung steht von hier aus betrachtet im engsten
Zusammenhang mit den Bestrebungen der einsichtsvollsten Politiker in Frank-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/31>, abgerufen am 23.07.2024.