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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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gealterten Züge einer ausgelebten Anschauung. Auch ist der frühere Brauch,
das deutsche Volksleben in seinen verschiedenen Stämmen oder gar die Wechsel¬
fälle der niederen Stände mit moralischer Tendenz zu schildern und so durch
den volkstümlichen Inhalt den Beschauer zu reizen, so ziemlich abgekommen;
man fühlt, daß in derlei illuminirten Blättern zur deutschen Culturgeschichte der
Stoff für die Hölzcrnheit und Armseligkeit der Ausführung nicht länger ent¬
schädigen kann.

Den Neueren genügt daher weder jene harmlose Auffassung der bloßen
Alltäglichkeit, noch diese lehrhafte Beschreibung der naturwüchsigen Neste in¬
mitten der verfeinerten Gegenwart. Sie sind auf besondere Momente aus, in
denen sich das Lächerliche dieser kleinen Welt, der es in ihrer Naivetät mit
ihren geringfügigen Zwecken so gewaltig Ernst ist, zu einem deutlichen Spaß
zuspitzt, oder doch die Menschen zu einem besonderen Thun mehr zusammengefaßt
und deshalb ausdrucksvoller, interessanter erscheinen. Zugleich ist doch auch
bis in die Mauern des Kunstvereins etwas von dem malerischen Sinn ge'
drungen, der in der Erscheinung als solcher eine selbständige Lebensfülle sieht.
Es ist jetzt seltener, was früher neben jenen ernsteren Schilderungen als ein
Stück deutscher Heiterkeit wohl beliebt war: daß nämlich an den Figuren jener
eingeschränkten Kreise als an für sich leeren und geistlosen Geschöpfen irgend
ein possenhafter Einfall Versinnlicht wird, der dann ihre eigentliche Seele aus¬
macht. Derlei Scherze, mit denen man sich im stolzen Bewußtsein des deut¬
schen Humors nicht wenig wußte, liegen nun hinter uns. Wenn der neuere
Genremaler nach einer komischen Situation greift, so wählt er sich mit rich¬
tigeren Gefühl meistens eine solche, die den eigentlichen Lebensinhalt der Person
spielend in sich zu fassen vermag; wie er andrerseits den Ernst des kleinbürger¬
lichen Daseins nicht mehr in den für den Maler ganz unbrauchbaren Conflicten
der socialen Fragen sucht, sondern in dem gemüthlichen, stimmungsvollen Aus¬
druck dieser noch in das naive Leben der Gattung, in die Noth und den Ge¬
nuß der äußeren Dinge versunkenen Welt.

Wir reden hier nicht von denjenigen unter den Münchenern Ge-nremalern, die,
noch immer in Erfindung von ebenso Phantasie- als charakterlosen Situationen un¬
erschöpflich, nicht müde werden, sonntäglich gekleidete Bauern in allen Lebenslagen,
deren ihre cnggezogene Existenz fähig ist, dem Publikum -- das übrigens zu einem
ziemlichen Theil in deren Betrachtung eine gleich rühmliche Ausdauer bekundet --
immer wieder vorzuführen: Burschen mit ihren Schätzen, Mütter mit ihren^Kindern,
Weiber bald in oder vor der Kirche, bald in der Küche, nebenbei auch Kessel¬
flicker mit Dienstmädchen, Vagabunden, Krämer und Flickschuster. Nicht, als
ob diese Stoffe einer echt künstlerischen Behandlung nicht fähig wären. Aber
der Maler veranschaulicht nichts als ihre äußere, vom Lebensgrunde abgezogene
langweilige Hülle, zusammengeflickt aus den bunten Lappen, die hier und da


gealterten Züge einer ausgelebten Anschauung. Auch ist der frühere Brauch,
das deutsche Volksleben in seinen verschiedenen Stämmen oder gar die Wechsel¬
fälle der niederen Stände mit moralischer Tendenz zu schildern und so durch
den volkstümlichen Inhalt den Beschauer zu reizen, so ziemlich abgekommen;
man fühlt, daß in derlei illuminirten Blättern zur deutschen Culturgeschichte der
Stoff für die Hölzcrnheit und Armseligkeit der Ausführung nicht länger ent¬
schädigen kann.

Den Neueren genügt daher weder jene harmlose Auffassung der bloßen
Alltäglichkeit, noch diese lehrhafte Beschreibung der naturwüchsigen Neste in¬
mitten der verfeinerten Gegenwart. Sie sind auf besondere Momente aus, in
denen sich das Lächerliche dieser kleinen Welt, der es in ihrer Naivetät mit
ihren geringfügigen Zwecken so gewaltig Ernst ist, zu einem deutlichen Spaß
zuspitzt, oder doch die Menschen zu einem besonderen Thun mehr zusammengefaßt
und deshalb ausdrucksvoller, interessanter erscheinen. Zugleich ist doch auch
bis in die Mauern des Kunstvereins etwas von dem malerischen Sinn ge'
drungen, der in der Erscheinung als solcher eine selbständige Lebensfülle sieht.
Es ist jetzt seltener, was früher neben jenen ernsteren Schilderungen als ein
Stück deutscher Heiterkeit wohl beliebt war: daß nämlich an den Figuren jener
eingeschränkten Kreise als an für sich leeren und geistlosen Geschöpfen irgend
ein possenhafter Einfall Versinnlicht wird, der dann ihre eigentliche Seele aus¬
macht. Derlei Scherze, mit denen man sich im stolzen Bewußtsein des deut¬
schen Humors nicht wenig wußte, liegen nun hinter uns. Wenn der neuere
Genremaler nach einer komischen Situation greift, so wählt er sich mit rich¬
tigeren Gefühl meistens eine solche, die den eigentlichen Lebensinhalt der Person
spielend in sich zu fassen vermag; wie er andrerseits den Ernst des kleinbürger¬
lichen Daseins nicht mehr in den für den Maler ganz unbrauchbaren Conflicten
der socialen Fragen sucht, sondern in dem gemüthlichen, stimmungsvollen Aus¬
druck dieser noch in das naive Leben der Gattung, in die Noth und den Ge¬
nuß der äußeren Dinge versunkenen Welt.

Wir reden hier nicht von denjenigen unter den Münchenern Ge-nremalern, die,
noch immer in Erfindung von ebenso Phantasie- als charakterlosen Situationen un¬
erschöpflich, nicht müde werden, sonntäglich gekleidete Bauern in allen Lebenslagen,
deren ihre cnggezogene Existenz fähig ist, dem Publikum — das übrigens zu einem
ziemlichen Theil in deren Betrachtung eine gleich rühmliche Ausdauer bekundet —
immer wieder vorzuführen: Burschen mit ihren Schätzen, Mütter mit ihren^Kindern,
Weiber bald in oder vor der Kirche, bald in der Küche, nebenbei auch Kessel¬
flicker mit Dienstmädchen, Vagabunden, Krämer und Flickschuster. Nicht, als
ob diese Stoffe einer echt künstlerischen Behandlung nicht fähig wären. Aber
der Maler veranschaulicht nichts als ihre äußere, vom Lebensgrunde abgezogene
langweilige Hülle, zusammengeflickt aus den bunten Lappen, die hier und da


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[0314] gealterten Züge einer ausgelebten Anschauung. Auch ist der frühere Brauch, das deutsche Volksleben in seinen verschiedenen Stämmen oder gar die Wechsel¬ fälle der niederen Stände mit moralischer Tendenz zu schildern und so durch den volkstümlichen Inhalt den Beschauer zu reizen, so ziemlich abgekommen; man fühlt, daß in derlei illuminirten Blättern zur deutschen Culturgeschichte der Stoff für die Hölzcrnheit und Armseligkeit der Ausführung nicht länger ent¬ schädigen kann. Den Neueren genügt daher weder jene harmlose Auffassung der bloßen Alltäglichkeit, noch diese lehrhafte Beschreibung der naturwüchsigen Neste in¬ mitten der verfeinerten Gegenwart. Sie sind auf besondere Momente aus, in denen sich das Lächerliche dieser kleinen Welt, der es in ihrer Naivetät mit ihren geringfügigen Zwecken so gewaltig Ernst ist, zu einem deutlichen Spaß zuspitzt, oder doch die Menschen zu einem besonderen Thun mehr zusammengefaßt und deshalb ausdrucksvoller, interessanter erscheinen. Zugleich ist doch auch bis in die Mauern des Kunstvereins etwas von dem malerischen Sinn ge' drungen, der in der Erscheinung als solcher eine selbständige Lebensfülle sieht. Es ist jetzt seltener, was früher neben jenen ernsteren Schilderungen als ein Stück deutscher Heiterkeit wohl beliebt war: daß nämlich an den Figuren jener eingeschränkten Kreise als an für sich leeren und geistlosen Geschöpfen irgend ein possenhafter Einfall Versinnlicht wird, der dann ihre eigentliche Seele aus¬ macht. Derlei Scherze, mit denen man sich im stolzen Bewußtsein des deut¬ schen Humors nicht wenig wußte, liegen nun hinter uns. Wenn der neuere Genremaler nach einer komischen Situation greift, so wählt er sich mit rich¬ tigeren Gefühl meistens eine solche, die den eigentlichen Lebensinhalt der Person spielend in sich zu fassen vermag; wie er andrerseits den Ernst des kleinbürger¬ lichen Daseins nicht mehr in den für den Maler ganz unbrauchbaren Conflicten der socialen Fragen sucht, sondern in dem gemüthlichen, stimmungsvollen Aus¬ druck dieser noch in das naive Leben der Gattung, in die Noth und den Ge¬ nuß der äußeren Dinge versunkenen Welt. Wir reden hier nicht von denjenigen unter den Münchenern Ge-nremalern, die, noch immer in Erfindung von ebenso Phantasie- als charakterlosen Situationen un¬ erschöpflich, nicht müde werden, sonntäglich gekleidete Bauern in allen Lebenslagen, deren ihre cnggezogene Existenz fähig ist, dem Publikum — das übrigens zu einem ziemlichen Theil in deren Betrachtung eine gleich rühmliche Ausdauer bekundet — immer wieder vorzuführen: Burschen mit ihren Schätzen, Mütter mit ihren^Kindern, Weiber bald in oder vor der Kirche, bald in der Küche, nebenbei auch Kessel¬ flicker mit Dienstmädchen, Vagabunden, Krämer und Flickschuster. Nicht, als ob diese Stoffe einer echt künstlerischen Behandlung nicht fähig wären. Aber der Maler veranschaulicht nichts als ihre äußere, vom Lebensgrunde abgezogene langweilige Hülle, zusammengeflickt aus den bunten Lappen, die hier und da

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/314>, abgerufen am 23.07.2024.