Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Unter dem Volke sich noch erhalten haben; mit diesen behängte Puppen, deren
Formen den Stempel der nächsten Verwandtschaft mit dem Gliedermann an
sich-tragen und deren Bewegungen eine Gelenkigkeit entwickeln, welche jedem
Automaten Ehre machen würde. Von der Art Gemälde läßt sich ebenso wenig
etwas sagen wie von den Madonnen Raphaels. Ist in diesen bei höchster Ein¬
fachheit die größte Fülle eines reizenden Lebens, so findet sich in jenen bei be-
wundernswerther Einfalt die vollkommene Leere eines abgeschmackten Daseins:
Weder das Eine noch das Andere vermag die Sprache zu schildern. Hier zeigt
sich wie nirgend die Ohnmacht der modernen Kunst, das Leben auch in seinen
unscheinbaren und alltäglichen Aeußerungen voll und tief zu fassen; hier, wo
der Inhalt gleich Null das Interesse nicht gefangen nehmen kann, die Armuth
und Trostlosigkeit der Phantasie und die lügnerische Geschicklichkeit einer dilettan¬
tischen, technisch ungebildeten, in der Form wie in der Farbe ausdruckslosen
Behandlung. Selbst ein Holländer mittleren Ranges giebt seinen in dem un¬
bedeutenden Moment gewöhnlicher Beschäftigung festgehaltenen Figuren, seinen
Zechenden, raufenden Bauern, seinen musicirenden oder sich schmückenden Frauen
die Unendlichkeit eines in sich gediegenen Lebens mit, indem er in den ein¬
fachen Vorgang durch eine wenigstens annähernde Vollendung der Form ihre
Seele, ihr Dasein legt. Von den Meistern nicht zu reden, welche ihre im
Geringfügigem befangenen Personen durch den überzeugenden Ausdruck stillen
inneren Glückes, ausgelassener, ganz in sich verlorener Lust oder rauflustigen
Uebermuths über die Beschränkung ihrer kleinen Existenz hinaussehen, und
dazu die todte Umgebung von Natur, Haus und Geräthe im malerischen Spiel
von Farbe, Licht und Schatten aufleuchten und aufleben, sie gleichsam die har¬
monische, voll ineinanderklingende Begleitung zum eigentlichen Thema spielen
lassen.

Freilich, es war seine eigene Welt, die der Holländer darstellte. Was in
der Schenkstube oder dem Prunkzimmer des Mynher vorging, das war ihm so
"ah und lebendig, wie was ihn selber bewegte; was er sah und hörte, fand
einen deutlichen Widerschein, ein klares Echo in seiner eigenen Brust. So
hatte er nur diese, seine eigene Empfindung, in die vertrauten Gestalten, denen
er auf Schritt und Tritt begegnete, die Seinesgleichen waren, niederzulegen, um
deren Leben zu fassen und festzuhalten. Der Neuere dagegen steht den Kreisen,
ihm allenfalls noch malerische Stoffe bieten, fremd gegenüber, und wenn
d^se ein sich schon durch die scharfe Sonderling von der verfeinerten Welt für
unser Bewußtsein ein dumpfes nur kümmerliches Leben führen, so ist es zudem
für den außerhalb Stehenden wie verdeckt und verschüttet. Daher sieht er nur
seine äußere Hülle und so viel allenfalls noch als schwacher Ausklang der in¬
nren Bewegung auf der Oberfläche spielt. Begreiflich daher, daß der Maler,
es um mehr zu thun ist, nach fruchtbaren Momenten sucht, in denen sich


Unter dem Volke sich noch erhalten haben; mit diesen behängte Puppen, deren
Formen den Stempel der nächsten Verwandtschaft mit dem Gliedermann an
sich-tragen und deren Bewegungen eine Gelenkigkeit entwickeln, welche jedem
Automaten Ehre machen würde. Von der Art Gemälde läßt sich ebenso wenig
etwas sagen wie von den Madonnen Raphaels. Ist in diesen bei höchster Ein¬
fachheit die größte Fülle eines reizenden Lebens, so findet sich in jenen bei be-
wundernswerther Einfalt die vollkommene Leere eines abgeschmackten Daseins:
Weder das Eine noch das Andere vermag die Sprache zu schildern. Hier zeigt
sich wie nirgend die Ohnmacht der modernen Kunst, das Leben auch in seinen
unscheinbaren und alltäglichen Aeußerungen voll und tief zu fassen; hier, wo
der Inhalt gleich Null das Interesse nicht gefangen nehmen kann, die Armuth
und Trostlosigkeit der Phantasie und die lügnerische Geschicklichkeit einer dilettan¬
tischen, technisch ungebildeten, in der Form wie in der Farbe ausdruckslosen
Behandlung. Selbst ein Holländer mittleren Ranges giebt seinen in dem un¬
bedeutenden Moment gewöhnlicher Beschäftigung festgehaltenen Figuren, seinen
Zechenden, raufenden Bauern, seinen musicirenden oder sich schmückenden Frauen
die Unendlichkeit eines in sich gediegenen Lebens mit, indem er in den ein¬
fachen Vorgang durch eine wenigstens annähernde Vollendung der Form ihre
Seele, ihr Dasein legt. Von den Meistern nicht zu reden, welche ihre im
Geringfügigem befangenen Personen durch den überzeugenden Ausdruck stillen
inneren Glückes, ausgelassener, ganz in sich verlorener Lust oder rauflustigen
Uebermuths über die Beschränkung ihrer kleinen Existenz hinaussehen, und
dazu die todte Umgebung von Natur, Haus und Geräthe im malerischen Spiel
von Farbe, Licht und Schatten aufleuchten und aufleben, sie gleichsam die har¬
monische, voll ineinanderklingende Begleitung zum eigentlichen Thema spielen
lassen.

Freilich, es war seine eigene Welt, die der Holländer darstellte. Was in
der Schenkstube oder dem Prunkzimmer des Mynher vorging, das war ihm so
"ah und lebendig, wie was ihn selber bewegte; was er sah und hörte, fand
einen deutlichen Widerschein, ein klares Echo in seiner eigenen Brust. So
hatte er nur diese, seine eigene Empfindung, in die vertrauten Gestalten, denen
er auf Schritt und Tritt begegnete, die Seinesgleichen waren, niederzulegen, um
deren Leben zu fassen und festzuhalten. Der Neuere dagegen steht den Kreisen,
ihm allenfalls noch malerische Stoffe bieten, fremd gegenüber, und wenn
d^se ein sich schon durch die scharfe Sonderling von der verfeinerten Welt für
unser Bewußtsein ein dumpfes nur kümmerliches Leben führen, so ist es zudem
für den außerhalb Stehenden wie verdeckt und verschüttet. Daher sieht er nur
seine äußere Hülle und so viel allenfalls noch als schwacher Ausklang der in¬
nren Bewegung auf der Oberfläche spielt. Begreiflich daher, daß der Maler,
es um mehr zu thun ist, nach fruchtbaren Momenten sucht, in denen sich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0315" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/282556"/>
          <p xml:id="ID_863" prev="#ID_862"> Unter dem Volke sich noch erhalten haben; mit diesen behängte Puppen, deren<lb/>
Formen den Stempel der nächsten Verwandtschaft mit dem Gliedermann an<lb/>
sich-tragen und deren Bewegungen eine Gelenkigkeit entwickeln, welche jedem<lb/>
Automaten Ehre machen würde. Von der Art Gemälde läßt sich ebenso wenig<lb/>
etwas sagen wie von den Madonnen Raphaels. Ist in diesen bei höchster Ein¬<lb/>
fachheit die größte Fülle eines reizenden Lebens, so findet sich in jenen bei be-<lb/>
wundernswerther Einfalt die vollkommene Leere eines abgeschmackten Daseins:<lb/>
Weder das Eine noch das Andere vermag die Sprache zu schildern. Hier zeigt<lb/>
sich wie nirgend die Ohnmacht der modernen Kunst, das Leben auch in seinen<lb/>
unscheinbaren und alltäglichen Aeußerungen voll und tief zu fassen; hier, wo<lb/>
der Inhalt gleich Null das Interesse nicht gefangen nehmen kann, die Armuth<lb/>
und Trostlosigkeit der Phantasie und die lügnerische Geschicklichkeit einer dilettan¬<lb/>
tischen, technisch ungebildeten, in der Form wie in der Farbe ausdruckslosen<lb/>
Behandlung. Selbst ein Holländer mittleren Ranges giebt seinen in dem un¬<lb/>
bedeutenden Moment gewöhnlicher Beschäftigung festgehaltenen Figuren, seinen<lb/>
Zechenden, raufenden Bauern, seinen musicirenden oder sich schmückenden Frauen<lb/>
die Unendlichkeit eines in sich gediegenen Lebens mit, indem er in den ein¬<lb/>
fachen Vorgang durch eine wenigstens annähernde Vollendung der Form ihre<lb/>
Seele, ihr Dasein legt. Von den Meistern nicht zu reden, welche ihre im<lb/>
Geringfügigem befangenen Personen durch den überzeugenden Ausdruck stillen<lb/>
inneren Glückes, ausgelassener, ganz in sich verlorener Lust oder rauflustigen<lb/>
Uebermuths über die Beschränkung ihrer kleinen Existenz hinaussehen, und<lb/>
dazu die todte Umgebung von Natur, Haus und Geräthe im malerischen Spiel<lb/>
von Farbe, Licht und Schatten aufleuchten und aufleben, sie gleichsam die har¬<lb/>
monische, voll ineinanderklingende Begleitung zum eigentlichen Thema spielen<lb/>
lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_864" next="#ID_865"> Freilich, es war seine eigene Welt, die der Holländer darstellte. Was in<lb/>
der Schenkstube oder dem Prunkzimmer des Mynher vorging, das war ihm so<lb/>
"ah und lebendig, wie was ihn selber bewegte; was er sah und hörte, fand<lb/>
einen deutlichen Widerschein, ein klares Echo in seiner eigenen Brust. So<lb/>
hatte er nur diese, seine eigene Empfindung, in die vertrauten Gestalten, denen<lb/>
er auf Schritt und Tritt begegnete, die Seinesgleichen waren, niederzulegen, um<lb/>
deren Leben zu fassen und festzuhalten. Der Neuere dagegen steht den Kreisen,<lb/>
ihm allenfalls noch malerische Stoffe bieten, fremd gegenüber, und wenn<lb/>
d^se ein sich schon durch die scharfe Sonderling von der verfeinerten Welt für<lb/>
unser Bewußtsein ein dumpfes nur kümmerliches Leben führen, so ist es zudem<lb/>
für den außerhalb Stehenden wie verdeckt und verschüttet. Daher sieht er nur<lb/>
seine äußere Hülle und so viel allenfalls noch als schwacher Ausklang der in¬<lb/>
nren Bewegung auf der Oberfläche spielt. Begreiflich daher, daß der Maler,<lb/>
es um mehr zu thun ist, nach fruchtbaren Momenten sucht, in denen sich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0315] Unter dem Volke sich noch erhalten haben; mit diesen behängte Puppen, deren Formen den Stempel der nächsten Verwandtschaft mit dem Gliedermann an sich-tragen und deren Bewegungen eine Gelenkigkeit entwickeln, welche jedem Automaten Ehre machen würde. Von der Art Gemälde läßt sich ebenso wenig etwas sagen wie von den Madonnen Raphaels. Ist in diesen bei höchster Ein¬ fachheit die größte Fülle eines reizenden Lebens, so findet sich in jenen bei be- wundernswerther Einfalt die vollkommene Leere eines abgeschmackten Daseins: Weder das Eine noch das Andere vermag die Sprache zu schildern. Hier zeigt sich wie nirgend die Ohnmacht der modernen Kunst, das Leben auch in seinen unscheinbaren und alltäglichen Aeußerungen voll und tief zu fassen; hier, wo der Inhalt gleich Null das Interesse nicht gefangen nehmen kann, die Armuth und Trostlosigkeit der Phantasie und die lügnerische Geschicklichkeit einer dilettan¬ tischen, technisch ungebildeten, in der Form wie in der Farbe ausdruckslosen Behandlung. Selbst ein Holländer mittleren Ranges giebt seinen in dem un¬ bedeutenden Moment gewöhnlicher Beschäftigung festgehaltenen Figuren, seinen Zechenden, raufenden Bauern, seinen musicirenden oder sich schmückenden Frauen die Unendlichkeit eines in sich gediegenen Lebens mit, indem er in den ein¬ fachen Vorgang durch eine wenigstens annähernde Vollendung der Form ihre Seele, ihr Dasein legt. Von den Meistern nicht zu reden, welche ihre im Geringfügigem befangenen Personen durch den überzeugenden Ausdruck stillen inneren Glückes, ausgelassener, ganz in sich verlorener Lust oder rauflustigen Uebermuths über die Beschränkung ihrer kleinen Existenz hinaussehen, und dazu die todte Umgebung von Natur, Haus und Geräthe im malerischen Spiel von Farbe, Licht und Schatten aufleuchten und aufleben, sie gleichsam die har¬ monische, voll ineinanderklingende Begleitung zum eigentlichen Thema spielen lassen. Freilich, es war seine eigene Welt, die der Holländer darstellte. Was in der Schenkstube oder dem Prunkzimmer des Mynher vorging, das war ihm so "ah und lebendig, wie was ihn selber bewegte; was er sah und hörte, fand einen deutlichen Widerschein, ein klares Echo in seiner eigenen Brust. So hatte er nur diese, seine eigene Empfindung, in die vertrauten Gestalten, denen er auf Schritt und Tritt begegnete, die Seinesgleichen waren, niederzulegen, um deren Leben zu fassen und festzuhalten. Der Neuere dagegen steht den Kreisen, ihm allenfalls noch malerische Stoffe bieten, fremd gegenüber, und wenn d^se ein sich schon durch die scharfe Sonderling von der verfeinerten Welt für unser Bewußtsein ein dumpfes nur kümmerliches Leben führen, so ist es zudem für den außerhalb Stehenden wie verdeckt und verschüttet. Daher sieht er nur seine äußere Hülle und so viel allenfalls noch als schwacher Ausklang der in¬ nren Bewegung auf der Oberfläche spielt. Begreiflich daher, daß der Maler, es um mehr zu thun ist, nach fruchtbaren Momenten sucht, in denen sich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/315
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/315>, abgerufen am 23.07.2024.