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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Nutzens einen gefälligen Fetzen umzuhängen, das beweist doch, wie wenig wir
des Schmuckes entbehren können, und wie wir auch jetzt noch den Trieb haben,
dem äußeren Leben und seinen Werkzeugen durch den selbständigen spielenden
Schein der Kunst die Schwere der Prosa zu benehmen.

So hat auch das heutige Handwerk noch die Aufgabe, diesen Trieb -- in¬
dem es ihn zugleich veredelt -- in tieferer und ausdrucksvoller Weise zu be¬
friedigen. Da es aber der Phantasie des Zeitalters wie im Großen so im
Kleinen an eigenthümlichen Formen noch gebricht, so ist den Gewerken derselbe
natürliche Weg wie der Kunst vorgezeichnet: die Bildung nach den vollendeten
Arbeiten der Vergangenheit. I" dieser Beziehung nun, als "Vorbild", hat
die Sammlung des Nationalmuseums für die Gegenwart einen unmittelbar
praktischen, das Leben nahe berührenden Werth. So viele Klagen über den
kümmerlichen Zustand der heutigen Kunstindustrie sind schon laut geworden, so
Mancherlei hat man versucht, um ihr zu einer neuen Blüthe zu verhelfen: das
richtige und naturgemäße Mittel besteht sicherlich in einem einsichtigen Anknüpfen
an die Tradition, in einem freien Aufnehmen der vorhandenen Formen. Ist
erst die Liebe zu künstlerischer Durchbildung des Handwerks an dem schönen
Geräthe, das uns frühere Jahrhunderte überliefern, wieder groß geworden,
dann wird sich auch um so leichter und sicherer der Trieb regen, die überkomme¬
nen Formen mit selbständigem Sinne und zum vollen Ausdruck unserer Be¬
dürfnisse weiter zu entwickeln. Auch hier werden unter den Mustern die Ar¬
beiten der Renaissancezeit allen voranstehen. Ihr Formenspiel hat nichts mehr
von dem Dunkeln und Abenteuerlichen einer noch gährenden Phantasie, sondern
indem es in seiner freien Bewegung die Bestimmung des Objectes klar und
lebendig ausklingen läßt, verschlingt es in seinen Ornamenten mit dem Reiz or¬
ganischer Gestalten den Zug der bald sich fliehenden, bald sich sindenden Linien
zu einem wohlgemessenen und doch wie mit innerer Triebkraft aus sich herauf¬
wachsenden Ganzen. Es vereinigt so mit der festen, das Bedürfniß anzeigen¬
den Form die schwungvollen Bildungen der beseelten Natur; und während es
sich in den höchsten Bereich der künstlerischen Zierde erhebt, der auch der mo¬
dernen Phantasie den weitesten Spielraum läßt, fügt sich zugleich das Geräthe.
dessen passender Schmuck es ist. mehr wie das jeder andern Zeit den Anforde¬
rungen des heutigen Lebens.

Aber freilich, hier macht sich das Studium nach den Vorbildern so leicht
nicht, wie in der Kunst. Auf die Tagesarbeit angewiesen hat der Handwerker
weder die Muße, noch die nöthige Kenntniß und Vorbildung, um von der Ver¬
gangenheit zu lernen. Daher haben denn hier, wie überhaupt in der modernen
Industrie, die Künstler vermittelnd und verknüpfend einzutreten; sie haben
die Ornamentik nach den überkommenen Mustern auszubilden, um ihre For¬
men zu lebendigem Verständniß der ausführenden Hand zu überliefern. Ein


Nutzens einen gefälligen Fetzen umzuhängen, das beweist doch, wie wenig wir
des Schmuckes entbehren können, und wie wir auch jetzt noch den Trieb haben,
dem äußeren Leben und seinen Werkzeugen durch den selbständigen spielenden
Schein der Kunst die Schwere der Prosa zu benehmen.

So hat auch das heutige Handwerk noch die Aufgabe, diesen Trieb — in¬
dem es ihn zugleich veredelt — in tieferer und ausdrucksvoller Weise zu be¬
friedigen. Da es aber der Phantasie des Zeitalters wie im Großen so im
Kleinen an eigenthümlichen Formen noch gebricht, so ist den Gewerken derselbe
natürliche Weg wie der Kunst vorgezeichnet: die Bildung nach den vollendeten
Arbeiten der Vergangenheit. I» dieser Beziehung nun, als „Vorbild", hat
die Sammlung des Nationalmuseums für die Gegenwart einen unmittelbar
praktischen, das Leben nahe berührenden Werth. So viele Klagen über den
kümmerlichen Zustand der heutigen Kunstindustrie sind schon laut geworden, so
Mancherlei hat man versucht, um ihr zu einer neuen Blüthe zu verhelfen: das
richtige und naturgemäße Mittel besteht sicherlich in einem einsichtigen Anknüpfen
an die Tradition, in einem freien Aufnehmen der vorhandenen Formen. Ist
erst die Liebe zu künstlerischer Durchbildung des Handwerks an dem schönen
Geräthe, das uns frühere Jahrhunderte überliefern, wieder groß geworden,
dann wird sich auch um so leichter und sicherer der Trieb regen, die überkomme¬
nen Formen mit selbständigem Sinne und zum vollen Ausdruck unserer Be¬
dürfnisse weiter zu entwickeln. Auch hier werden unter den Mustern die Ar¬
beiten der Renaissancezeit allen voranstehen. Ihr Formenspiel hat nichts mehr
von dem Dunkeln und Abenteuerlichen einer noch gährenden Phantasie, sondern
indem es in seiner freien Bewegung die Bestimmung des Objectes klar und
lebendig ausklingen läßt, verschlingt es in seinen Ornamenten mit dem Reiz or¬
ganischer Gestalten den Zug der bald sich fliehenden, bald sich sindenden Linien
zu einem wohlgemessenen und doch wie mit innerer Triebkraft aus sich herauf¬
wachsenden Ganzen. Es vereinigt so mit der festen, das Bedürfniß anzeigen¬
den Form die schwungvollen Bildungen der beseelten Natur; und während es
sich in den höchsten Bereich der künstlerischen Zierde erhebt, der auch der mo¬
dernen Phantasie den weitesten Spielraum läßt, fügt sich zugleich das Geräthe.
dessen passender Schmuck es ist. mehr wie das jeder andern Zeit den Anforde¬
rungen des heutigen Lebens.

Aber freilich, hier macht sich das Studium nach den Vorbildern so leicht
nicht, wie in der Kunst. Auf die Tagesarbeit angewiesen hat der Handwerker
weder die Muße, noch die nöthige Kenntniß und Vorbildung, um von der Ver¬
gangenheit zu lernen. Daher haben denn hier, wie überhaupt in der modernen
Industrie, die Künstler vermittelnd und verknüpfend einzutreten; sie haben
die Ornamentik nach den überkommenen Mustern auszubilden, um ihre For¬
men zu lebendigem Verständniß der ausführenden Hand zu überliefern. Ein


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[0232] Nutzens einen gefälligen Fetzen umzuhängen, das beweist doch, wie wenig wir des Schmuckes entbehren können, und wie wir auch jetzt noch den Trieb haben, dem äußeren Leben und seinen Werkzeugen durch den selbständigen spielenden Schein der Kunst die Schwere der Prosa zu benehmen. So hat auch das heutige Handwerk noch die Aufgabe, diesen Trieb — in¬ dem es ihn zugleich veredelt — in tieferer und ausdrucksvoller Weise zu be¬ friedigen. Da es aber der Phantasie des Zeitalters wie im Großen so im Kleinen an eigenthümlichen Formen noch gebricht, so ist den Gewerken derselbe natürliche Weg wie der Kunst vorgezeichnet: die Bildung nach den vollendeten Arbeiten der Vergangenheit. I» dieser Beziehung nun, als „Vorbild", hat die Sammlung des Nationalmuseums für die Gegenwart einen unmittelbar praktischen, das Leben nahe berührenden Werth. So viele Klagen über den kümmerlichen Zustand der heutigen Kunstindustrie sind schon laut geworden, so Mancherlei hat man versucht, um ihr zu einer neuen Blüthe zu verhelfen: das richtige und naturgemäße Mittel besteht sicherlich in einem einsichtigen Anknüpfen an die Tradition, in einem freien Aufnehmen der vorhandenen Formen. Ist erst die Liebe zu künstlerischer Durchbildung des Handwerks an dem schönen Geräthe, das uns frühere Jahrhunderte überliefern, wieder groß geworden, dann wird sich auch um so leichter und sicherer der Trieb regen, die überkomme¬ nen Formen mit selbständigem Sinne und zum vollen Ausdruck unserer Be¬ dürfnisse weiter zu entwickeln. Auch hier werden unter den Mustern die Ar¬ beiten der Renaissancezeit allen voranstehen. Ihr Formenspiel hat nichts mehr von dem Dunkeln und Abenteuerlichen einer noch gährenden Phantasie, sondern indem es in seiner freien Bewegung die Bestimmung des Objectes klar und lebendig ausklingen läßt, verschlingt es in seinen Ornamenten mit dem Reiz or¬ ganischer Gestalten den Zug der bald sich fliehenden, bald sich sindenden Linien zu einem wohlgemessenen und doch wie mit innerer Triebkraft aus sich herauf¬ wachsenden Ganzen. Es vereinigt so mit der festen, das Bedürfniß anzeigen¬ den Form die schwungvollen Bildungen der beseelten Natur; und während es sich in den höchsten Bereich der künstlerischen Zierde erhebt, der auch der mo¬ dernen Phantasie den weitesten Spielraum läßt, fügt sich zugleich das Geräthe. dessen passender Schmuck es ist. mehr wie das jeder andern Zeit den Anforde¬ rungen des heutigen Lebens. Aber freilich, hier macht sich das Studium nach den Vorbildern so leicht nicht, wie in der Kunst. Auf die Tagesarbeit angewiesen hat der Handwerker weder die Muße, noch die nöthige Kenntniß und Vorbildung, um von der Ver¬ gangenheit zu lernen. Daher haben denn hier, wie überhaupt in der modernen Industrie, die Künstler vermittelnd und verknüpfend einzutreten; sie haben die Ornamentik nach den überkommenen Mustern auszubilden, um ihre For¬ men zu lebendigem Verständniß der ausführenden Hand zu überliefern. Ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/232>, abgerufen am 23.07.2024.