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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Sauberkeit der Ausführung und die plumpe, schmucklose Gediegenheit der blos
den prosaischen Zweck aussprechenden Gestalt das einzige Verdienst ist; auf der
anderen Seite eine mechanische und schablonenmäßige, dabei liederliche Nach¬
ahmung bestimmter überlieferter Formen, die wie geborgte abgetragene Faschings.
Neider den Producten umgehängt werden. Alles was uns als Werkzeug unseres
Lebens umgiebt, betrachten und gebrauchen wir mit derselben Gleichgültigkeit,
mit der wir uns in der Einrichtung des Gasthofzimmers umsehen, das wir
für einen einzigen Tag bewohnen wollen; und wie wir an dieses alle An¬
sprüche der häuslichen Bequemlichkeit stellen, so haben wir zu jenem nur das
äußerliche und prosaische Verhältniß der Gewohnheit. Wir haben kein Be¬
dürfniß, in ihm den verschönernden Zug der Phantasie wiederzufinden, weil
wir selber keine von Formen erfüllte Phantasie haben, die sich getrieben fühlte,
auch im umgebenden Geräthe sich kund zu thun. Wir suchen in diesem weder
ein vertrautes heimliches Gesicht, noch das Gepräge einer individuellen, mit
Liebe arbeitenden Hand; morgen schon verbraucht, mit einem anderen vertauscht,
soll es nur durch einen oberflächlich aufgeklebten Zierrath das Auge über seine
nackte, der bloßen Nothdurft dienende Form hinwegtäuschen. Daher genügt
uns der erste beste Rococoschnörkel. ein Stück gothisches Maßwerk, ein schwer-
fälliges und ausdrucksloses Arabeskcnspiel, ein kaum noch erkennbarer Rest an-
tiker Ornamente. Oder wir haben andererseits unsere Freude an der Geschick-
t'edlen sklavischer Nachahmung, mit der an Prunkgeräthcn dies oder jenes Detail
der kleinen Naturwelt wiederholt wird, wie denn derartig ausgestattete höchst
kostbare Möbel auf der großen pariser Ausstellung Glück machten; wenn wir
nicht gar einen Reiz darin finden, daß das Material sich verläugnet und mit
trügerischem Scheinen ganz anderes vorzustellen sucht. Papier sich für Gewebe.
Holz für Leder und umgekehrt ausgiebt. Und bei alledem haben wir nur die
äußere decorative Erscheinung im Auge. Für die Form selber, die Gestalt, in
welcher ein edles Handwerk die Dinge des Gebrauchs ihren Zweck aussprechen
läßt und doch zugleich in den freien Schwung schöner Linien zu fassen vermag,
fehlt uns alles Gefühl; hierin begnügen wir uns. wie schon unsere Gläser und
Kruge zeigen, mit den plumpen und rohen Verhältnissen, die der bloße Bedarf
die Hand giebt.

Es ist eben mit dem Kunsthandwerk unserer Tage etwas Aehnliches wie
mit der Kunst selber: es fehlt sowohl die lebendige Ueberlieferung von Werk-
Atte zu Werkstäte, die Tradition der Uebung und der künstlerischen Anschauung,
als das gründliche Studium nach den Vorbildern vergangener, mustergiltiger
Epochen/ Es fehlt allerdings auch die allgemeine ästhetische Stimmung, welche
"leichsam die Phantasie aller dunkel bewegend den Sinn und die Hand des
Meisters zu schönen Formen hinlenkte. Aber daß wir es doch nicht lassen, uns
"ut allerlei Ziergeräthe zu umgeben und auch den Dingen des gewöhnlichen


Sauberkeit der Ausführung und die plumpe, schmucklose Gediegenheit der blos
den prosaischen Zweck aussprechenden Gestalt das einzige Verdienst ist; auf der
anderen Seite eine mechanische und schablonenmäßige, dabei liederliche Nach¬
ahmung bestimmter überlieferter Formen, die wie geborgte abgetragene Faschings.
Neider den Producten umgehängt werden. Alles was uns als Werkzeug unseres
Lebens umgiebt, betrachten und gebrauchen wir mit derselben Gleichgültigkeit,
mit der wir uns in der Einrichtung des Gasthofzimmers umsehen, das wir
für einen einzigen Tag bewohnen wollen; und wie wir an dieses alle An¬
sprüche der häuslichen Bequemlichkeit stellen, so haben wir zu jenem nur das
äußerliche und prosaische Verhältniß der Gewohnheit. Wir haben kein Be¬
dürfniß, in ihm den verschönernden Zug der Phantasie wiederzufinden, weil
wir selber keine von Formen erfüllte Phantasie haben, die sich getrieben fühlte,
auch im umgebenden Geräthe sich kund zu thun. Wir suchen in diesem weder
ein vertrautes heimliches Gesicht, noch das Gepräge einer individuellen, mit
Liebe arbeitenden Hand; morgen schon verbraucht, mit einem anderen vertauscht,
soll es nur durch einen oberflächlich aufgeklebten Zierrath das Auge über seine
nackte, der bloßen Nothdurft dienende Form hinwegtäuschen. Daher genügt
uns der erste beste Rococoschnörkel. ein Stück gothisches Maßwerk, ein schwer-
fälliges und ausdrucksloses Arabeskcnspiel, ein kaum noch erkennbarer Rest an-
tiker Ornamente. Oder wir haben andererseits unsere Freude an der Geschick-
t'edlen sklavischer Nachahmung, mit der an Prunkgeräthcn dies oder jenes Detail
der kleinen Naturwelt wiederholt wird, wie denn derartig ausgestattete höchst
kostbare Möbel auf der großen pariser Ausstellung Glück machten; wenn wir
nicht gar einen Reiz darin finden, daß das Material sich verläugnet und mit
trügerischem Scheinen ganz anderes vorzustellen sucht. Papier sich für Gewebe.
Holz für Leder und umgekehrt ausgiebt. Und bei alledem haben wir nur die
äußere decorative Erscheinung im Auge. Für die Form selber, die Gestalt, in
welcher ein edles Handwerk die Dinge des Gebrauchs ihren Zweck aussprechen
läßt und doch zugleich in den freien Schwung schöner Linien zu fassen vermag,
fehlt uns alles Gefühl; hierin begnügen wir uns. wie schon unsere Gläser und
Kruge zeigen, mit den plumpen und rohen Verhältnissen, die der bloße Bedarf
die Hand giebt.

Es ist eben mit dem Kunsthandwerk unserer Tage etwas Aehnliches wie
mit der Kunst selber: es fehlt sowohl die lebendige Ueberlieferung von Werk-
Atte zu Werkstäte, die Tradition der Uebung und der künstlerischen Anschauung,
als das gründliche Studium nach den Vorbildern vergangener, mustergiltiger
Epochen/ Es fehlt allerdings auch die allgemeine ästhetische Stimmung, welche
«leichsam die Phantasie aller dunkel bewegend den Sinn und die Hand des
Meisters zu schönen Formen hinlenkte. Aber daß wir es doch nicht lassen, uns
»ut allerlei Ziergeräthe zu umgeben und auch den Dingen des gewöhnlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/231>, abgerufen am 23.07.2024.