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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Verhältniß, das sich in den schöpferischen Kunstepochen ganz von selbst ergab,
da nicht blos der Handwerker vom Künstler die Zeichnung empfing, sondern
nicht selten jener schon in sich die Fähigkeit künstlerischer Gestaltung trug und
letzterer mit Lust und Liebe, was er ersonnen, auch selber ausführte. Das
Eisenwerk des florentiner Schmieds Caparra am Palazzo Strozzi zeigt von einer
decorativer Phantasie und einer Feinheit der Zeichnung, deren sich nicht viele
Ornamentzeichncr von heute rühmen können, und andrerseits verschmähen es
Architekten wie Baccio d'Agnolo und die San Galli in ihrer Jugend, Bild¬
hauer wie Benedetto da-Majano auch noch später nicht, eingelegte oder ge¬
schnitzte Holzarbeiten mit eigener Hand zu verfertigen. Seitdem jedoch die Thei¬
lung der Geschäfte durch alle Fächer geht und auf die Ausbildung jedes Neben -
Zweiges immer ein ganzes Menschenleben geworfen wird, hat natürlich diese
innere Verbindung von Kunst und Handwerk fast gänzlich aufgehört. Neuer¬
dings stehen sich diese vollends wenn nicht feindselig, doch ganz fremd gegen¬
über. Meistens flüchtet sich die Kunst aus dem gegenwärtigen Leben in eine
Vergangene Welt und wenn sie mit der Wirklichkeit des Tages sich abgiebt, so
sucht sie diese weniger zu veredeln, als mit überraschender äußerlicher Wahrheit
ihren realen Schein festzuhalten; die meisten Künstler haben wenig Sinn und
Neigung, ihre Phantasie auf das Alltägliche zu richten und für ein Formenspiel
das blos dieses verschönern soll, scheinen sie fast ihr Fach für zu vornehm zu
halten. Andrerseits schleppt sich, wie nie geschehen, das Handwerk am Boden
des bloßen Bedürfnisses hin und vermag sich um so weniger zu erheben, weil
ihm die Kunst nicht beispringt. Man hat in den letzten Jahrzehnten einen Mittel¬
weg eingeschlagen indem man Zeichnen- und Modellirschulen für Decoration
und Ornamentik errichtete, um so dem Gewcrbmanne eine gewisse künstlerische
Ausbildung mit auf den Weg zu geben; auch haben manche dieser Anstalten,
wie z. B. die nürnberger, unbestreitbare Verdienste. Einestheils jedoch genügen
diese Anstalten insofern nicht, als sie nur über sehr beschränkte Mittel zu ver¬
fügen haben und sie sich, was den Unterricht nach der überlieferten Ornamentik
anlangt, mehr an die gothischen Formen als an die classischen der Antike und
der Renaissance halten; anderntheils wird immer auch die freie lebendige Ein-
Wirkung der Kunst und der künstlerischen Phantasie selber auf das Handwerk
erforderlich sein, um dieses zu einer charaktervoller Formenschönheit zu erheben.
Soll dieses Ziel erreicht werden, so muß sich beides vereinigen: der Handwerker
die decorativer Formen und das Ornament selbständig und mit Verständniß
gebrauchen lernen, der Künstler zur mannigfaltigen Ausbildung desselben nach
der Natur sowohl als nach den überlieferten Vorbildern sein Talent nicht für
^ gut erachten. In München geschieht zu dem Ende bis jetzt von beiden Sei-
ten lange nicht genug, und wir haben bereits in einem früheren Artikel von dem
geringen Erfolge des Vereins zur Ausbildung der Gewerke geredet. Zwar hat


Grenzboten I. I86S, 2H

Verhältniß, das sich in den schöpferischen Kunstepochen ganz von selbst ergab,
da nicht blos der Handwerker vom Künstler die Zeichnung empfing, sondern
nicht selten jener schon in sich die Fähigkeit künstlerischer Gestaltung trug und
letzterer mit Lust und Liebe, was er ersonnen, auch selber ausführte. Das
Eisenwerk des florentiner Schmieds Caparra am Palazzo Strozzi zeigt von einer
decorativer Phantasie und einer Feinheit der Zeichnung, deren sich nicht viele
Ornamentzeichncr von heute rühmen können, und andrerseits verschmähen es
Architekten wie Baccio d'Agnolo und die San Galli in ihrer Jugend, Bild¬
hauer wie Benedetto da-Majano auch noch später nicht, eingelegte oder ge¬
schnitzte Holzarbeiten mit eigener Hand zu verfertigen. Seitdem jedoch die Thei¬
lung der Geschäfte durch alle Fächer geht und auf die Ausbildung jedes Neben -
Zweiges immer ein ganzes Menschenleben geworfen wird, hat natürlich diese
innere Verbindung von Kunst und Handwerk fast gänzlich aufgehört. Neuer¬
dings stehen sich diese vollends wenn nicht feindselig, doch ganz fremd gegen¬
über. Meistens flüchtet sich die Kunst aus dem gegenwärtigen Leben in eine
Vergangene Welt und wenn sie mit der Wirklichkeit des Tages sich abgiebt, so
sucht sie diese weniger zu veredeln, als mit überraschender äußerlicher Wahrheit
ihren realen Schein festzuhalten; die meisten Künstler haben wenig Sinn und
Neigung, ihre Phantasie auf das Alltägliche zu richten und für ein Formenspiel
das blos dieses verschönern soll, scheinen sie fast ihr Fach für zu vornehm zu
halten. Andrerseits schleppt sich, wie nie geschehen, das Handwerk am Boden
des bloßen Bedürfnisses hin und vermag sich um so weniger zu erheben, weil
ihm die Kunst nicht beispringt. Man hat in den letzten Jahrzehnten einen Mittel¬
weg eingeschlagen indem man Zeichnen- und Modellirschulen für Decoration
und Ornamentik errichtete, um so dem Gewcrbmanne eine gewisse künstlerische
Ausbildung mit auf den Weg zu geben; auch haben manche dieser Anstalten,
wie z. B. die nürnberger, unbestreitbare Verdienste. Einestheils jedoch genügen
diese Anstalten insofern nicht, als sie nur über sehr beschränkte Mittel zu ver¬
fügen haben und sie sich, was den Unterricht nach der überlieferten Ornamentik
anlangt, mehr an die gothischen Formen als an die classischen der Antike und
der Renaissance halten; anderntheils wird immer auch die freie lebendige Ein-
Wirkung der Kunst und der künstlerischen Phantasie selber auf das Handwerk
erforderlich sein, um dieses zu einer charaktervoller Formenschönheit zu erheben.
Soll dieses Ziel erreicht werden, so muß sich beides vereinigen: der Handwerker
die decorativer Formen und das Ornament selbständig und mit Verständniß
gebrauchen lernen, der Künstler zur mannigfaltigen Ausbildung desselben nach
der Natur sowohl als nach den überlieferten Vorbildern sein Talent nicht für
^ gut erachten. In München geschieht zu dem Ende bis jetzt von beiden Sei-
ten lange nicht genug, und wir haben bereits in einem früheren Artikel von dem
geringen Erfolge des Vereins zur Ausbildung der Gewerke geredet. Zwar hat


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[0233] Verhältniß, das sich in den schöpferischen Kunstepochen ganz von selbst ergab, da nicht blos der Handwerker vom Künstler die Zeichnung empfing, sondern nicht selten jener schon in sich die Fähigkeit künstlerischer Gestaltung trug und letzterer mit Lust und Liebe, was er ersonnen, auch selber ausführte. Das Eisenwerk des florentiner Schmieds Caparra am Palazzo Strozzi zeigt von einer decorativer Phantasie und einer Feinheit der Zeichnung, deren sich nicht viele Ornamentzeichncr von heute rühmen können, und andrerseits verschmähen es Architekten wie Baccio d'Agnolo und die San Galli in ihrer Jugend, Bild¬ hauer wie Benedetto da-Majano auch noch später nicht, eingelegte oder ge¬ schnitzte Holzarbeiten mit eigener Hand zu verfertigen. Seitdem jedoch die Thei¬ lung der Geschäfte durch alle Fächer geht und auf die Ausbildung jedes Neben - Zweiges immer ein ganzes Menschenleben geworfen wird, hat natürlich diese innere Verbindung von Kunst und Handwerk fast gänzlich aufgehört. Neuer¬ dings stehen sich diese vollends wenn nicht feindselig, doch ganz fremd gegen¬ über. Meistens flüchtet sich die Kunst aus dem gegenwärtigen Leben in eine Vergangene Welt und wenn sie mit der Wirklichkeit des Tages sich abgiebt, so sucht sie diese weniger zu veredeln, als mit überraschender äußerlicher Wahrheit ihren realen Schein festzuhalten; die meisten Künstler haben wenig Sinn und Neigung, ihre Phantasie auf das Alltägliche zu richten und für ein Formenspiel das blos dieses verschönern soll, scheinen sie fast ihr Fach für zu vornehm zu halten. Andrerseits schleppt sich, wie nie geschehen, das Handwerk am Boden des bloßen Bedürfnisses hin und vermag sich um so weniger zu erheben, weil ihm die Kunst nicht beispringt. Man hat in den letzten Jahrzehnten einen Mittel¬ weg eingeschlagen indem man Zeichnen- und Modellirschulen für Decoration und Ornamentik errichtete, um so dem Gewcrbmanne eine gewisse künstlerische Ausbildung mit auf den Weg zu geben; auch haben manche dieser Anstalten, wie z. B. die nürnberger, unbestreitbare Verdienste. Einestheils jedoch genügen diese Anstalten insofern nicht, als sie nur über sehr beschränkte Mittel zu ver¬ fügen haben und sie sich, was den Unterricht nach der überlieferten Ornamentik anlangt, mehr an die gothischen Formen als an die classischen der Antike und der Renaissance halten; anderntheils wird immer auch die freie lebendige Ein- Wirkung der Kunst und der künstlerischen Phantasie selber auf das Handwerk erforderlich sein, um dieses zu einer charaktervoller Formenschönheit zu erheben. Soll dieses Ziel erreicht werden, so muß sich beides vereinigen: der Handwerker die decorativer Formen und das Ornament selbständig und mit Verständniß gebrauchen lernen, der Künstler zur mannigfaltigen Ausbildung desselben nach der Natur sowohl als nach den überlieferten Vorbildern sein Talent nicht für ^ gut erachten. In München geschieht zu dem Ende bis jetzt von beiden Sei- ten lange nicht genug, und wir haben bereits in einem früheren Artikel von dem geringen Erfolge des Vereins zur Ausbildung der Gewerke geredet. Zwar hat Grenzboten I. I86S, 2H

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/233>, abgerufen am 23.07.2024.