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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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herabzudrücken. Doch selbst jene gesetzlichen Zinsmaxima mußten sich dem Ver¬
kehre fügen und so schwankten auch sie vom dreizehnten bis fünfzehnten Jahr¬
hundert für Mittel-, Süd- und Westdeutschland etwa von 40--20"/".
In Brandenburg gestattete man ihnen bis zum achtzehnten Jahrhundert
24°/". in Breslau im vierzehnten Jahrhundert 25"/". dagegen schon in
Brieg 54"/" in derselben Zeit. (In Spanien schon 1228 nur 20"/". in
Sicilien eben dann um 10"/" in Frankreich aber 1360 86V,"/o). In
Oestreich blühte wegen Verschuldung der Fürsten der Wucher der Judenwechs-
ler, denen nicht selten wichtige Finanzquellen des Staates dafür verpfändet
wurden ; 1246 unter Friedrich dem Zweiten, dem letzten der Babenberger. war
er 174"/", unter dessen Vater Leopold "dem Ruhmreichen" gar 304"/". Otto-
kar der Zweite von Böhmen, der vom Kaiser Richard (im Interregnum)
Steiermark und Oestreich zu Lehn erhielt, verwarf jede gesetzliche Grenze dieser
Zinsen 1254, Rudolf V. Habsburg stellte die der 174-/" wieder her. Im sech¬
zehnten Jahrhundert sanken allmälig auch die Zinsen der Wechsler auf 12--10"/",
doch gestattete man selbst in Belgien noch 1606 ihnen gesetzlich 50"/" per
Woche. 1640 etwa nahmen die Privatbanken dort 16"/", die öffentlichen 8°/".
Aber schon Salmasius wies 1640 darauf hin, daß man diese nur für ganz
kurze Zcitfnsten, Woche oder Monat, entrichteten Zinssätze nicht mit dem Jahres¬
maße messen dürste, ohne ungerecht zu sein. --

Schon früher erhoben sich, durch immer neue Schulden, immer höhere
Zinsen unrettbar bedrückt, in England, Frankreich, Italien die Massen der
Schuldner gegen ihre durch die Verhältnisse gezwungenen Peiniger und ruhten
nicht eher, als bis die Herrscher deren Güter eingezogen, sie selbst aus dem Lande
getrieben hatten.

In Deutschland fühlten die Volksmassen, daß ihre Wechslergläubiger nicht
selten ihnen übermäßige Zinsen abforderten. Das Zinsenverbot fesselte nach
allen Seiten ihren ersehnten Capitalverkehr; immer von neuem wurden sie in
die harten Hände derselben Gläubiger zurückgestoßen. Sie sahen, wie auch
Kirche und Kaiser und Fürst und Rath den nämlichen Gläubigern sich beugten.
Als diese aber -- den Quell des Uebels verwechselnd -- immer rücksichtsloser
gegen die Judenwechsler vorgingen, als sie so zu immer stärkerem Zinsdrucke
diese Gläubiger zwangen, als gar Hungersnoth und Pest hereinbrachen, da
siel das fanatische Wort der eifernden Priester zündend in die heiß erregte
Masse, an vielen Orten, wieder und wieder loderte der Haß der schuldenden
Christen gegen die wuchernden Judengläubiger empor. "Die Kirche weiht die
Klagen des Volkes, sie verdammt die Söhne Israels und schleudert das kirch¬
liche Zinsverbot auch ihnen entgegen; gemieden von allen, ein Auswurf des
Menschengeschlechtes, auch äußerlich gebrandmarkt, sollen die Juden, sich selbst
überlassen, in eigener Sünde vergehen."


herabzudrücken. Doch selbst jene gesetzlichen Zinsmaxima mußten sich dem Ver¬
kehre fügen und so schwankten auch sie vom dreizehnten bis fünfzehnten Jahr¬
hundert für Mittel-, Süd- und Westdeutschland etwa von 40—20"/».
In Brandenburg gestattete man ihnen bis zum achtzehnten Jahrhundert
24°/». in Breslau im vierzehnten Jahrhundert 25"/». dagegen schon in
Brieg 54"/» in derselben Zeit. (In Spanien schon 1228 nur 20"/». in
Sicilien eben dann um 10"/» in Frankreich aber 1360 86V,"/o). In
Oestreich blühte wegen Verschuldung der Fürsten der Wucher der Judenwechs-
ler, denen nicht selten wichtige Finanzquellen des Staates dafür verpfändet
wurden ; 1246 unter Friedrich dem Zweiten, dem letzten der Babenberger. war
er 174"/», unter dessen Vater Leopold „dem Ruhmreichen" gar 304«/». Otto-
kar der Zweite von Böhmen, der vom Kaiser Richard (im Interregnum)
Steiermark und Oestreich zu Lehn erhielt, verwarf jede gesetzliche Grenze dieser
Zinsen 1254, Rudolf V. Habsburg stellte die der 174-/» wieder her. Im sech¬
zehnten Jahrhundert sanken allmälig auch die Zinsen der Wechsler auf 12—10"/»,
doch gestattete man selbst in Belgien noch 1606 ihnen gesetzlich 50"/» per
Woche. 1640 etwa nahmen die Privatbanken dort 16"/», die öffentlichen 8°/».
Aber schon Salmasius wies 1640 darauf hin, daß man diese nur für ganz
kurze Zcitfnsten, Woche oder Monat, entrichteten Zinssätze nicht mit dem Jahres¬
maße messen dürste, ohne ungerecht zu sein. —

Schon früher erhoben sich, durch immer neue Schulden, immer höhere
Zinsen unrettbar bedrückt, in England, Frankreich, Italien die Massen der
Schuldner gegen ihre durch die Verhältnisse gezwungenen Peiniger und ruhten
nicht eher, als bis die Herrscher deren Güter eingezogen, sie selbst aus dem Lande
getrieben hatten.

In Deutschland fühlten die Volksmassen, daß ihre Wechslergläubiger nicht
selten ihnen übermäßige Zinsen abforderten. Das Zinsenverbot fesselte nach
allen Seiten ihren ersehnten Capitalverkehr; immer von neuem wurden sie in
die harten Hände derselben Gläubiger zurückgestoßen. Sie sahen, wie auch
Kirche und Kaiser und Fürst und Rath den nämlichen Gläubigern sich beugten.
Als diese aber — den Quell des Uebels verwechselnd — immer rücksichtsloser
gegen die Judenwechsler vorgingen, als sie so zu immer stärkerem Zinsdrucke
diese Gläubiger zwangen, als gar Hungersnoth und Pest hereinbrachen, da
siel das fanatische Wort der eifernden Priester zündend in die heiß erregte
Masse, an vielen Orten, wieder und wieder loderte der Haß der schuldenden
Christen gegen die wuchernden Judengläubiger empor. „Die Kirche weiht die
Klagen des Volkes, sie verdammt die Söhne Israels und schleudert das kirch¬
liche Zinsverbot auch ihnen entgegen; gemieden von allen, ein Auswurf des
Menschengeschlechtes, auch äußerlich gebrandmarkt, sollen die Juden, sich selbst
überlassen, in eigener Sünde vergehen."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/190>, abgerufen am 23.07.2024.