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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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in dem Werke zu finden sein dürfte. Das zu bearbeitende Material war aber
ein sehr umfangreiches. Es kam nicht nur das preußische Recht so wie die
älteren und neueren Quellen desselben in Betracht, sondern es waren auch die
allgemeinen deutschen staatsrechtlichen Grundsätze sowie die zahlreichen theo¬
retischen Werke der bedeutenderen Staatsrechtslehrer in den Kreis der Unter¬
suchung zu ziehen, da nicht selten die Entscheidung über streitige und zweifel¬
hafte Punkte von einer Erwägung der Principien auszugehen hat. -- Mit dieser
umfassenden Beherrschung des Materials verbindet der Verfasser ein besonnenes
klares Urtheil, und diejenige strenge Wahrheitsliebe und Gewissenhaftigkeit, die
stets auch dem Gegner gerecht wird.

Allerdings nimmt der Verfasser einen sehr bestimmten und entschiedenen
politischen Standpunkt ein: er gehört der liberal-constitutionellen Partei an.
Daher zweifeln wir auch nicht daran, daß von einer Seite sein Werk als eine
Parteischrift betrachtet werden wird, Judesse" würde dieser Vorwurf ein sehr
ungerechter sein. Zur Begründung eines solchen Urtheils dürfte man sich näm¬
lich nicht an die Resultate der Untersuchungen halten, die allerdings meist den
Auffassungen der liberalen Parteien entsprechen; man müßte vielmehr nachweisen,
daß die Methode des Verfassers von tendenziösen Absichten beeinflußt wäre, daß
die Untersuchung sich auf subjective Ansichten, se,red auf objective, strengwissen-
schaftliche Grundsätze stützt.

Ehe wir aber näher auf die Methode eingehen, die jede Verfassungsinter¬
pretation einschlagen muß, und die auch der Verfasser in Anwendung gebracht
hat, wird es zweckmäßig sein, in der ,^ruzc das Verhältniß zu betrachten, in dem
die Verfassungsurkunde zu der Gesammtheit des preußischen Staatsrechts steht.
Die Verfassungsurkunde entlwlt nicht die Gesammtheit des preußischen Staats¬
rechts, sie ist aber der vornehmste, in besonders feierlicher Weise garantirte Theil
desselben. Wo sich daher das ältere Staatsrecht mit dem Verfassungsrecht im
Widerspruch befindet, ist selbstverständlich die Verfassungsurkunde maßgebend.
Es ist unter allen Umständen eine Forderung der gesunden Vernunft, daß. wo
zwei zu verschiedenen Zeiten ordnungsmäßig erlassene Gesetze mit einander in
Conflict stehen, nicht die Bestimmungen des ältern, sondern die des neuern Ge¬
setzes Giltigkeit haben, selbst für den Fall, daß das neuere Gesetz nicht ausdrücklich
die Formel enthielte, baß alle ihm widersprechenden älter" Gesetze aufgehoben
seien. In viel höherem Grade gilt dies natürlich von der Verfassung in ihrem
Verhältnisse zu den älteren Gesetzen. Denn die Ausgabe der Verfassung war
es ja eben, die Rechte der Krone wie der Unterthanen auf neuen Grundlagen
festzusetzen, den verschiedenen Staatsgewalten den Kreis und die Grenzen ihrer
Wirksamkeit anzuweisen, und gerade dadurch die Gemeinsamkeit ihres Wirkens
nach einem Ziele zu sichern. Hieraus ergiebt sich von selbst, daß es durchaus
unstatthaft ist, dem Verfassungsrechte ein älteres monarchisches Recht entgegen-


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in dem Werke zu finden sein dürfte. Das zu bearbeitende Material war aber
ein sehr umfangreiches. Es kam nicht nur das preußische Recht so wie die
älteren und neueren Quellen desselben in Betracht, sondern es waren auch die
allgemeinen deutschen staatsrechtlichen Grundsätze sowie die zahlreichen theo¬
retischen Werke der bedeutenderen Staatsrechtslehrer in den Kreis der Unter¬
suchung zu ziehen, da nicht selten die Entscheidung über streitige und zweifel¬
hafte Punkte von einer Erwägung der Principien auszugehen hat. — Mit dieser
umfassenden Beherrschung des Materials verbindet der Verfasser ein besonnenes
klares Urtheil, und diejenige strenge Wahrheitsliebe und Gewissenhaftigkeit, die
stets auch dem Gegner gerecht wird.

Allerdings nimmt der Verfasser einen sehr bestimmten und entschiedenen
politischen Standpunkt ein: er gehört der liberal-constitutionellen Partei an.
Daher zweifeln wir auch nicht daran, daß von einer Seite sein Werk als eine
Parteischrift betrachtet werden wird, Judesse» würde dieser Vorwurf ein sehr
ungerechter sein. Zur Begründung eines solchen Urtheils dürfte man sich näm¬
lich nicht an die Resultate der Untersuchungen halten, die allerdings meist den
Auffassungen der liberalen Parteien entsprechen; man müßte vielmehr nachweisen,
daß die Methode des Verfassers von tendenziösen Absichten beeinflußt wäre, daß
die Untersuchung sich auf subjective Ansichten, se,red auf objective, strengwissen-
schaftliche Grundsätze stützt.

Ehe wir aber näher auf die Methode eingehen, die jede Verfassungsinter¬
pretation einschlagen muß, und die auch der Verfasser in Anwendung gebracht
hat, wird es zweckmäßig sein, in der ,^ruzc das Verhältniß zu betrachten, in dem
die Verfassungsurkunde zu der Gesammtheit des preußischen Staatsrechts steht.
Die Verfassungsurkunde entlwlt nicht die Gesammtheit des preußischen Staats¬
rechts, sie ist aber der vornehmste, in besonders feierlicher Weise garantirte Theil
desselben. Wo sich daher das ältere Staatsrecht mit dem Verfassungsrecht im
Widerspruch befindet, ist selbstverständlich die Verfassungsurkunde maßgebend.
Es ist unter allen Umständen eine Forderung der gesunden Vernunft, daß. wo
zwei zu verschiedenen Zeiten ordnungsmäßig erlassene Gesetze mit einander in
Conflict stehen, nicht die Bestimmungen des ältern, sondern die des neuern Ge¬
setzes Giltigkeit haben, selbst für den Fall, daß das neuere Gesetz nicht ausdrücklich
die Formel enthielte, baß alle ihm widersprechenden älter» Gesetze aufgehoben
seien. In viel höherem Grade gilt dies natürlich von der Verfassung in ihrem
Verhältnisse zu den älteren Gesetzen. Denn die Ausgabe der Verfassung war
es ja eben, die Rechte der Krone wie der Unterthanen auf neuen Grundlagen
festzusetzen, den verschiedenen Staatsgewalten den Kreis und die Grenzen ihrer
Wirksamkeit anzuweisen, und gerade dadurch die Gemeinsamkeit ihres Wirkens
nach einem Ziele zu sichern. Hieraus ergiebt sich von selbst, daß es durchaus
unstatthaft ist, dem Verfassungsrechte ein älteres monarchisches Recht entgegen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/87>, abgerufen am 03.07.2024.