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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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mächtig hinaus. Das mystische Verhältniß, in welches sich der Apostel zu dem
geistigen Christus setzte, war ein ganz anderes als der persönliche Umgang, dessen
sich die älteren Apostel rühmten. Der irdische Christus war ans Kreuz genagelt,
er war nicht mehr Vorhängen, aber in voller Glorie erhob sich nun Christus
als der Geist, als der ewige Lichtreflex Gottes, als das Priimp des Lebens,
als der zweite Urmensch, der schon von Anfang an gewesen und für den die
irdische Existenz nur ein Durchgangspunkt war. Auch dieser Zug zur Vergött¬
lichung Jesu hatte bereits begonnen, aber was bisher bloße Steigerung und
Häufung der Attribute war, wurde jetzt zu einer Umbildung im mystisch-specu-
lativen Sinne. Die Ideen der alexandrinischen Religionsphilosophie wirkten
hier ebenso mit als Paulus in seiner Erwartung von dem nahen Wiederkommen
des Messias noch ganz an die traditionell-jüdische Ausfassung gebunden schien.
Paulus war überzeugt, die Wiederkunft des Herrn noch selbst zu erleben, er
dachte sich dieselbe unmittelbar bevorstehend. Ja das zukünftige Weltalter hatte
eigentlich schon mit der Auferstehung Jesu begonnen, die kleine Wartezeit kam
im Grunde gar nicht mehr in Betracht, die neue Welt war bereits vorhanden.
Eben dieser Gedanke leitete dann aber die Umdeutung des Glaubens an die
persönliche Wiederkehr des Herrn ins Geistige ein. Der eigentliche Wendepunkt
war nicht das Wiederkommen Jesu, sondern seine^ Auferstehung. Schon
mit dieser war ja die Herrschaft des Todes vernichtet, das neue Zeitalter bereits
angebrochen. Auch der tiefsinnige weltgeschichtliche Unterbau, den Paulus dem
Christenthum gegeben hatte, mußte in seiner Consequenz die herkömmlichen Ideen
vom Ende dieser Welt durchbrechen: die jüdische Hülle war schon völlig durch¬
sichtig geworden. Noch während der Apostel den Glauben an die Wiederkunft
Jesu festhielt, war innerlich derselbe bereits überwunden und in eine höhere
Geschichtsbetrachtung aufgegangen.

So reich hatte sich der Inhalt des urchristlicher Satzes, daß Jesus der
Messias ist, in diesem kühnen Geiste entwickelt; aber damit war auch die Form
für diesen reichen Inhalt zu eng geworden. Der Conflict konnte nicht aus¬
bleiben. In Paulus erstand innerhalb des Christenthums eine Opposition, die
der bisherigen Orthodoxie gegenübcrtrat. Die älteren Apostel hatten für sich
die Macht der Tradition, die unmittelbar auf Jesus zurückging, und die
Macht der Gewohnheit bei denen, welche aus dem Judenthum der neuen Sekte
bcitlaten. Paulus hatte sür sich die innere Macht des Christenthums als eines
neuen Weltprincips. Er berief sich auf den Geist Jesu, den er auf seiner
Seite, nicht auf der Seite von dessen unmittelbaren Schülern wußte, und dem
er auch nach dem Zeugniß der Geschichte unzweifelhaft näher stand als diese.
An jenen beiden praktischen Fragen: Abschaffung des Gesetzes und Ausdehnung
des messianischen Heils auch aus die Heiden, mußte der Kampf zunächst ent¬
brennen. Aber wichtiger als eine theoretische Auseinandersetzung mit den Ur-


mächtig hinaus. Das mystische Verhältniß, in welches sich der Apostel zu dem
geistigen Christus setzte, war ein ganz anderes als der persönliche Umgang, dessen
sich die älteren Apostel rühmten. Der irdische Christus war ans Kreuz genagelt,
er war nicht mehr Vorhängen, aber in voller Glorie erhob sich nun Christus
als der Geist, als der ewige Lichtreflex Gottes, als das Priimp des Lebens,
als der zweite Urmensch, der schon von Anfang an gewesen und für den die
irdische Existenz nur ein Durchgangspunkt war. Auch dieser Zug zur Vergött¬
lichung Jesu hatte bereits begonnen, aber was bisher bloße Steigerung und
Häufung der Attribute war, wurde jetzt zu einer Umbildung im mystisch-specu-
lativen Sinne. Die Ideen der alexandrinischen Religionsphilosophie wirkten
hier ebenso mit als Paulus in seiner Erwartung von dem nahen Wiederkommen
des Messias noch ganz an die traditionell-jüdische Ausfassung gebunden schien.
Paulus war überzeugt, die Wiederkunft des Herrn noch selbst zu erleben, er
dachte sich dieselbe unmittelbar bevorstehend. Ja das zukünftige Weltalter hatte
eigentlich schon mit der Auferstehung Jesu begonnen, die kleine Wartezeit kam
im Grunde gar nicht mehr in Betracht, die neue Welt war bereits vorhanden.
Eben dieser Gedanke leitete dann aber die Umdeutung des Glaubens an die
persönliche Wiederkehr des Herrn ins Geistige ein. Der eigentliche Wendepunkt
war nicht das Wiederkommen Jesu, sondern seine^ Auferstehung. Schon
mit dieser war ja die Herrschaft des Todes vernichtet, das neue Zeitalter bereits
angebrochen. Auch der tiefsinnige weltgeschichtliche Unterbau, den Paulus dem
Christenthum gegeben hatte, mußte in seiner Consequenz die herkömmlichen Ideen
vom Ende dieser Welt durchbrechen: die jüdische Hülle war schon völlig durch¬
sichtig geworden. Noch während der Apostel den Glauben an die Wiederkunft
Jesu festhielt, war innerlich derselbe bereits überwunden und in eine höhere
Geschichtsbetrachtung aufgegangen.

So reich hatte sich der Inhalt des urchristlicher Satzes, daß Jesus der
Messias ist, in diesem kühnen Geiste entwickelt; aber damit war auch die Form
für diesen reichen Inhalt zu eng geworden. Der Conflict konnte nicht aus¬
bleiben. In Paulus erstand innerhalb des Christenthums eine Opposition, die
der bisherigen Orthodoxie gegenübcrtrat. Die älteren Apostel hatten für sich
die Macht der Tradition, die unmittelbar auf Jesus zurückging, und die
Macht der Gewohnheit bei denen, welche aus dem Judenthum der neuen Sekte
bcitlaten. Paulus hatte sür sich die innere Macht des Christenthums als eines
neuen Weltprincips. Er berief sich auf den Geist Jesu, den er auf seiner
Seite, nicht auf der Seite von dessen unmittelbaren Schülern wußte, und dem
er auch nach dem Zeugniß der Geschichte unzweifelhaft näher stand als diese.
An jenen beiden praktischen Fragen: Abschaffung des Gesetzes und Ausdehnung
des messianischen Heils auch aus die Heiden, mußte der Kampf zunächst ent¬
brennen. Aber wichtiger als eine theoretische Auseinandersetzung mit den Ur-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/76>, abgerufen am 03.07.2024.