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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Centralmaschine thätig sein darf. So umschlingt das eine verderbliche System
die entlegensten Schicksale. So könnten sich die von dem gleichen unheilvollen
Princip Betroffenen über die verschiedensten Meere die Hand reichen und
einander fragen, welcher Dämon die Einen zu harter und schlecht lohnender
oder gar mit Sklaverei zahlender Erdarbeit und die Andern mit dem Elen.d
des spärlich belohnten Fabrikdaseins heimsucht! Dieser Dämon ist in Careys
Augen einzig und allein die Centralisation.

Ein Hannibalshaß gegen England und dessen wirthschaftliche Politik wäre
an sich bei einem Bürger der Vereinigten Staaten begreiflich; allein Careys
Angriffe auf das britische System athmen keineswegs ausschließlich de" Geist
nationaler und staatlicher Feindschaft, sondern sie gehen aus einer echten Huma¬
nität hervor. Mag immerhin ein Theil der Beschuldigungen aus jenem Motiv
erklärt werden, es wird sich die tiefe Wahrheit der wesentlichsten Behauptungen
nur aus der uneigennützigen Forschung begreifen lassen, ohne welche es keine
ernste Wissenschaft giebt. Stände Careys Streit gegen das britische System
als ein vereinzelter, wenn auch oft wiederholter Ausfall in seinem Gedanken¬
kreise da, so würde man seine Beweggründe mit einigem Schein verdächtigen
können. So aber ist die ganze Polemik nur eine unvermeidliche Consequenz
des Princips der Vermeidung übermäßiger Centralisation, und dieses Princip
ist selbst wiederum nur eine Folge der Einsicht, daß die Annäherung der Pro¬
ducenten und Consumenten eine unumgängliche Voraussetzung des socialen
Wohlbefindens sei.

Das nahe Bcicinandcrwohnen derjenigen, welche die Rohstoffe hervor¬
bringen, und derjenigen, welche dieselben verarbeiten, erspart nicht nur den
Transport der von der ackerbauenden Bevölkerung consumirtcn Lebensbedürf¬
nisse, sondern schafft dem Landbebauer auch einen nahen Markt für seine Roh-
erzeugnissc. Wenn sich die verschiedenen Gewerbtreibenden in der Nähe des
Landwirthes niederlassen, so gewinnt der letztere an beständigen und zuverlässigen
Chancen des Absatzes.^ Hierzu kommt aber noch der viel wichtigere Umstand, daß
das Gemeinwesen seine über den eigenen Bedarf hinausgehenden Hervorbringungen
nun nicht mehr im rohesten Zustande zu verschicken braucht. Die Wolle des
Schafzüchters kann -- um das von Carey wiederholt citirte Beispiel Adam
Smiths zu brauchen -- eine Verbindung mit einer großen Quantität Nahrungs.
Mittel eingehen und in der Form von fertigen Tuch zum Markte befördert
werden. Jene Nahrungsmittel, die von dem Verarbeiter der Wolle verzehrt
worden sind, wären unter andern Umständen entweder gar nicht producirt oder
aus Mangel an nahem Absatz vergeudet, oder im besten Falle mit den vielen
Unkosten, welche der Transport der Dinge im Rohzustände mit sich bringt,
auf einen entfernten Markt geschafft worden. In diesem letzten, unter den
Vorausgesetzten Verhältnissen noch günstig zu nennenden Falle hätte weder der


Grenzboten IV. 1864. 7

Centralmaschine thätig sein darf. So umschlingt das eine verderbliche System
die entlegensten Schicksale. So könnten sich die von dem gleichen unheilvollen
Princip Betroffenen über die verschiedensten Meere die Hand reichen und
einander fragen, welcher Dämon die Einen zu harter und schlecht lohnender
oder gar mit Sklaverei zahlender Erdarbeit und die Andern mit dem Elen.d
des spärlich belohnten Fabrikdaseins heimsucht! Dieser Dämon ist in Careys
Augen einzig und allein die Centralisation.

Ein Hannibalshaß gegen England und dessen wirthschaftliche Politik wäre
an sich bei einem Bürger der Vereinigten Staaten begreiflich; allein Careys
Angriffe auf das britische System athmen keineswegs ausschließlich de» Geist
nationaler und staatlicher Feindschaft, sondern sie gehen aus einer echten Huma¬
nität hervor. Mag immerhin ein Theil der Beschuldigungen aus jenem Motiv
erklärt werden, es wird sich die tiefe Wahrheit der wesentlichsten Behauptungen
nur aus der uneigennützigen Forschung begreifen lassen, ohne welche es keine
ernste Wissenschaft giebt. Stände Careys Streit gegen das britische System
als ein vereinzelter, wenn auch oft wiederholter Ausfall in seinem Gedanken¬
kreise da, so würde man seine Beweggründe mit einigem Schein verdächtigen
können. So aber ist die ganze Polemik nur eine unvermeidliche Consequenz
des Princips der Vermeidung übermäßiger Centralisation, und dieses Princip
ist selbst wiederum nur eine Folge der Einsicht, daß die Annäherung der Pro¬
ducenten und Consumenten eine unumgängliche Voraussetzung des socialen
Wohlbefindens sei.

Das nahe Bcicinandcrwohnen derjenigen, welche die Rohstoffe hervor¬
bringen, und derjenigen, welche dieselben verarbeiten, erspart nicht nur den
Transport der von der ackerbauenden Bevölkerung consumirtcn Lebensbedürf¬
nisse, sondern schafft dem Landbebauer auch einen nahen Markt für seine Roh-
erzeugnissc. Wenn sich die verschiedenen Gewerbtreibenden in der Nähe des
Landwirthes niederlassen, so gewinnt der letztere an beständigen und zuverlässigen
Chancen des Absatzes.^ Hierzu kommt aber noch der viel wichtigere Umstand, daß
das Gemeinwesen seine über den eigenen Bedarf hinausgehenden Hervorbringungen
nun nicht mehr im rohesten Zustande zu verschicken braucht. Die Wolle des
Schafzüchters kann — um das von Carey wiederholt citirte Beispiel Adam
Smiths zu brauchen — eine Verbindung mit einer großen Quantität Nahrungs.
Mittel eingehen und in der Form von fertigen Tuch zum Markte befördert
werden. Jene Nahrungsmittel, die von dem Verarbeiter der Wolle verzehrt
worden sind, wären unter andern Umständen entweder gar nicht producirt oder
aus Mangel an nahem Absatz vergeudet, oder im besten Falle mit den vielen
Unkosten, welche der Transport der Dinge im Rohzustände mit sich bringt,
auf einen entfernten Markt geschafft worden. In diesem letzten, unter den
Vorausgesetzten Verhältnissen noch günstig zu nennenden Falle hätte weder der


Grenzboten IV. 1864. 7
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/53>, abgerufen am 03.07.2024.