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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Carey verweilt mit Vorliebe bei den Folgen, welche das Princip der wirth¬
schaftlichen Centralisation für England gehabt hat und fernerhin haben wird.
Die Aufschlüsse, die wir in dieser Beziehung von unserm Amerikaner erhalten,
möchten in einem gewissen Maße auch über unsere Zustände Licht verbreiten.
Die englische Industrie arbeitet für die Welt; sie bedarf daher an Ort und
Stelle d. h> im eignen Lande einer unverhältnißmäßig großen Zahl Arbeits¬
kräfte. Die letzteren werden nun ganz und gar von den leitenden Inhabern
jener Industrie und deren Spekulationen abhängig werden müssen; denn sie
stehen den letzten Verbrauchern ihrer Arbeit, die über die ganze Erdoberfläche
zerstreut sind, zu fern, um mit denselben direct verkehren und verhandeln zu
können. Sie müssen sich daher in das Vermittlungsbeliebcn ihrer Arbeitgeber
fügen; sie müssen sich zu den von dieser Seite vorgeschriebenen Bedingungen
willig finden, ja sie müssen sich fast auf Gnade und Ungnade ergeben. Hierzu
kommen noch die oft gewaltigen Weltstörungen der großen Industrie und Spe-
culation mit ihren Rückwirkungen auf die Chancen der Arbeit. Die Unbestän¬
digkeit der Nachfrage und die sich daraus ergebende Unzuverlässigkeit dauernder
und regelmäßiger Beschäftigung steigert die ohnedies schon übermäßige Concur-
renz im Angebot der Arbeitskräfte. Die Lage des Lohnarbeiters wird also durch
die Centralisation eine höchst bedenkliche. Der Arbeiterstand bildet bald ein
Extrem der Gesellschaft, welches unvermittelt einem andern Extrem, dem über¬
großen Reichthum der Industrie und des Handels, gegenübersteht. Auf diese
Weise untergräbt die übermäßige Centralisation die socialen Zustände auf dem
eigenen Boden der Centralstätte. Es erzeugen sich Verhältnisse, die zu Theorien
Veranlassung geben, wie sie von Malthus und Ricardo ausgesponnen worden sind.
Das künstliche Uebermaß im Angebot der Arbeit und die auf diese Weise unnatürlich
verschobenen Chancen der Concurrenz werden als einenaturgesctzlicheUcbervölkerung
gedeutet, und die Noth des Arbeiters, sich mit seinem kärglicher, Lohn gehörig zu
nähren, findet ihren Ausdruck in Ricardos Anschauungen von einer mit Naturnoth-
wendigkeit steigenden Schwierigkeit, dem Boden reichere Erträge abzugewinnen.

Das britische System strebt, wie wir gesehen haben, nach zwei Zielen,
die beide nicht einmal mit dem eignen Wohlstand des Insclvolkes verträglich
sind. Es will erstens die Preise der Rohstoffe und zweitens die der Arbeit
möglichst gedrückt wissen, damit sich der zwischen diese beiden äußersten Voraus¬
setzungen der Production einschiebende vermittelnde Factor ausschließlich be¬
reichern könne. Auf der einen Seite ist es der dürftige, in seiner wirthschaft¬
lichen Entwicklung gehemmte Bcbauer ferner Erdstriche, welcher um den kärg¬
lichen Ertrag, den der Verkaufspreis der Rohstoffe aus dem centralisirten Welt¬
markte liefert, seine Kräfte vergeuden muß; auf der andern Seite bewegt sich
der industrielle Arbeiter fortwährend am Abgrunde der Noth und muß sich
glücklich schätzen, wenn er noch überhaupt an irgendeinem Rädchen der großen


Carey verweilt mit Vorliebe bei den Folgen, welche das Princip der wirth¬
schaftlichen Centralisation für England gehabt hat und fernerhin haben wird.
Die Aufschlüsse, die wir in dieser Beziehung von unserm Amerikaner erhalten,
möchten in einem gewissen Maße auch über unsere Zustände Licht verbreiten.
Die englische Industrie arbeitet für die Welt; sie bedarf daher an Ort und
Stelle d. h> im eignen Lande einer unverhältnißmäßig großen Zahl Arbeits¬
kräfte. Die letzteren werden nun ganz und gar von den leitenden Inhabern
jener Industrie und deren Spekulationen abhängig werden müssen; denn sie
stehen den letzten Verbrauchern ihrer Arbeit, die über die ganze Erdoberfläche
zerstreut sind, zu fern, um mit denselben direct verkehren und verhandeln zu
können. Sie müssen sich daher in das Vermittlungsbeliebcn ihrer Arbeitgeber
fügen; sie müssen sich zu den von dieser Seite vorgeschriebenen Bedingungen
willig finden, ja sie müssen sich fast auf Gnade und Ungnade ergeben. Hierzu
kommen noch die oft gewaltigen Weltstörungen der großen Industrie und Spe-
culation mit ihren Rückwirkungen auf die Chancen der Arbeit. Die Unbestän¬
digkeit der Nachfrage und die sich daraus ergebende Unzuverlässigkeit dauernder
und regelmäßiger Beschäftigung steigert die ohnedies schon übermäßige Concur-
renz im Angebot der Arbeitskräfte. Die Lage des Lohnarbeiters wird also durch
die Centralisation eine höchst bedenkliche. Der Arbeiterstand bildet bald ein
Extrem der Gesellschaft, welches unvermittelt einem andern Extrem, dem über¬
großen Reichthum der Industrie und des Handels, gegenübersteht. Auf diese
Weise untergräbt die übermäßige Centralisation die socialen Zustände auf dem
eigenen Boden der Centralstätte. Es erzeugen sich Verhältnisse, die zu Theorien
Veranlassung geben, wie sie von Malthus und Ricardo ausgesponnen worden sind.
Das künstliche Uebermaß im Angebot der Arbeit und die auf diese Weise unnatürlich
verschobenen Chancen der Concurrenz werden als einenaturgesctzlicheUcbervölkerung
gedeutet, und die Noth des Arbeiters, sich mit seinem kärglicher, Lohn gehörig zu
nähren, findet ihren Ausdruck in Ricardos Anschauungen von einer mit Naturnoth-
wendigkeit steigenden Schwierigkeit, dem Boden reichere Erträge abzugewinnen.

Das britische System strebt, wie wir gesehen haben, nach zwei Zielen,
die beide nicht einmal mit dem eignen Wohlstand des Insclvolkes verträglich
sind. Es will erstens die Preise der Rohstoffe und zweitens die der Arbeit
möglichst gedrückt wissen, damit sich der zwischen diese beiden äußersten Voraus¬
setzungen der Production einschiebende vermittelnde Factor ausschließlich be¬
reichern könne. Auf der einen Seite ist es der dürftige, in seiner wirthschaft¬
lichen Entwicklung gehemmte Bcbauer ferner Erdstriche, welcher um den kärg¬
lichen Ertrag, den der Verkaufspreis der Rohstoffe aus dem centralisirten Welt¬
markte liefert, seine Kräfte vergeuden muß; auf der andern Seite bewegt sich
der industrielle Arbeiter fortwährend am Abgrunde der Noth und muß sich
glücklich schätzen, wenn er noch überhaupt an irgendeinem Rädchen der großen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/52>, abgerufen am 03.07.2024.