Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Producent noch der entfernte Consument sonderliche Vortheile Erzielt. Der
Erstere hätte den Transport und einen Theil vom Profit des Händlers, an den
er verkauft, und der Letztere d. h. der unmittelbare Verzehrer den größeren
Theil des Gewinnes der Mittelspersonen bezahlen müssen.

So zeigt denn schon die Betrachtung dieses einfachen Beispiels, wie wich¬
tig es sei, daß die Nachbarschaft den Verkehr der beiden Hauptgattungen von
Producenten sowie dieser mit den Consumenten erleichtere. Die Entfernungen
und die Nothwendigkeit der Mittelspersonen sind in Careys Augen zwei Um¬
stände, die vor allen andern die Beachtung des Svcialpolitikers verdienen.
Bilden sich daher viele locale Mittelpunkte des allgemeinen Wirthschaftsbetriebes
der Völker und beschränkt sich die Centralisation auf das durch unabänderliche
Naturverschiedenheiten gebotene Maß; wird also an die Stelle des sich selbst
zum Zweck machenden Handelsapparates der wahre, möglichst unmittelbar ge¬
machte Verkehr der Producenten und Consumenten gesetzt, so ist das wirth¬
schaftliche Gedeihen der Gesellschaften wohl begründet. Auf der breiten Basis
der decentralisirten oder vielmehr nicht ungehörig centralisirten Thätigkeiten kann
sich der Gesammtwohlstand der Welt ebenmäßig und harmonisch entwickeln.
Völker aber, die künstlich auf bloße Bvdencultur beschränkt werden, können sich
aus der Dürftigkeit nicht erheben. Ihre Bevölkerung nimmt zu, ohne daß mit
ihr zugleich die Industrie wüchse. Die unausbleibliche Folge hiervon ist der
Mangel. Denn eine fortgeschrittne Bevölkerung kann sich nicht mehr durch die
rohe Art von Landbau, welche der Jndustrieperiode vorangeht, erhalten. Sie
muß zum Theil selbst an Nahrungsmitteln Mangel leiden, zum Theil aber
auch in der Fähigkeit, mit ihren andern Roherzcugnisscn Fabrikate der Industrie¬
länder zu kaufen, sehr beschränkt bleiben.

Das Mittel, einer verletzenden centralen Ausbeutung entgegenzutreten, ist
nun der Schutzzoll. Indem sich Carey für das Princip des Schutzes erklärt,
glaubt er mehr als seine Gegner im wahren Geiste der Handelsfreiheit zu ver¬
fahren. Auch sein schließliches Ziel ist die allgemeine Freiheit des Verkehrs;
auch er will schon jetzt überall da, wo die Industrie eines Landes der Con-
currenz des Auslandes gewachsen ist, die Zölle beseitigt wissen; auch ihm fällt
es nicht ein, die Verschiedenheiten in den Naturanlagen der einzelnen Länder
zu verkennen und etwa zu verlangen, daß der Weinbau und die Seidenzucht
in einem ungünstigen Klima versucht werden soll; auch er weiß die Vortheile
einer Theilung und Combination der Arbeit der Nationen zu schätzen; auch
er nimmt nicht Partei für eine wirtschaftliche Jsolirung der einzelnen Staaten.
Allein er hebt einen Umstand hervor, der von den Anhängern nicht blos der
Handelsfreiheit, sondern auch mancher andern Freiheiten allzuleicht vergessen
wird: er fühlt instinctiv den kolossalen Unterschied heraus, welcher zwischen
formaler und materieller Freiheit besteht.


Producent noch der entfernte Consument sonderliche Vortheile Erzielt. Der
Erstere hätte den Transport und einen Theil vom Profit des Händlers, an den
er verkauft, und der Letztere d. h. der unmittelbare Verzehrer den größeren
Theil des Gewinnes der Mittelspersonen bezahlen müssen.

So zeigt denn schon die Betrachtung dieses einfachen Beispiels, wie wich¬
tig es sei, daß die Nachbarschaft den Verkehr der beiden Hauptgattungen von
Producenten sowie dieser mit den Consumenten erleichtere. Die Entfernungen
und die Nothwendigkeit der Mittelspersonen sind in Careys Augen zwei Um¬
stände, die vor allen andern die Beachtung des Svcialpolitikers verdienen.
Bilden sich daher viele locale Mittelpunkte des allgemeinen Wirthschaftsbetriebes
der Völker und beschränkt sich die Centralisation auf das durch unabänderliche
Naturverschiedenheiten gebotene Maß; wird also an die Stelle des sich selbst
zum Zweck machenden Handelsapparates der wahre, möglichst unmittelbar ge¬
machte Verkehr der Producenten und Consumenten gesetzt, so ist das wirth¬
schaftliche Gedeihen der Gesellschaften wohl begründet. Auf der breiten Basis
der decentralisirten oder vielmehr nicht ungehörig centralisirten Thätigkeiten kann
sich der Gesammtwohlstand der Welt ebenmäßig und harmonisch entwickeln.
Völker aber, die künstlich auf bloße Bvdencultur beschränkt werden, können sich
aus der Dürftigkeit nicht erheben. Ihre Bevölkerung nimmt zu, ohne daß mit
ihr zugleich die Industrie wüchse. Die unausbleibliche Folge hiervon ist der
Mangel. Denn eine fortgeschrittne Bevölkerung kann sich nicht mehr durch die
rohe Art von Landbau, welche der Jndustrieperiode vorangeht, erhalten. Sie
muß zum Theil selbst an Nahrungsmitteln Mangel leiden, zum Theil aber
auch in der Fähigkeit, mit ihren andern Roherzcugnisscn Fabrikate der Industrie¬
länder zu kaufen, sehr beschränkt bleiben.

Das Mittel, einer verletzenden centralen Ausbeutung entgegenzutreten, ist
nun der Schutzzoll. Indem sich Carey für das Princip des Schutzes erklärt,
glaubt er mehr als seine Gegner im wahren Geiste der Handelsfreiheit zu ver¬
fahren. Auch sein schließliches Ziel ist die allgemeine Freiheit des Verkehrs;
auch er will schon jetzt überall da, wo die Industrie eines Landes der Con-
currenz des Auslandes gewachsen ist, die Zölle beseitigt wissen; auch ihm fällt
es nicht ein, die Verschiedenheiten in den Naturanlagen der einzelnen Länder
zu verkennen und etwa zu verlangen, daß der Weinbau und die Seidenzucht
in einem ungünstigen Klima versucht werden soll; auch er weiß die Vortheile
einer Theilung und Combination der Arbeit der Nationen zu schätzen; auch
er nimmt nicht Partei für eine wirtschaftliche Jsolirung der einzelnen Staaten.
Allein er hebt einen Umstand hervor, der von den Anhängern nicht blos der
Handelsfreiheit, sondern auch mancher andern Freiheiten allzuleicht vergessen
wird: er fühlt instinctiv den kolossalen Unterschied heraus, welcher zwischen
formaler und materieller Freiheit besteht.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0054" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189678"/>
          <p xml:id="ID_171" prev="#ID_170"> Producent noch der entfernte Consument sonderliche Vortheile Erzielt. Der<lb/>
Erstere hätte den Transport und einen Theil vom Profit des Händlers, an den<lb/>
er verkauft, und der Letztere d. h. der unmittelbare Verzehrer den größeren<lb/>
Theil des Gewinnes der Mittelspersonen bezahlen müssen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_172"> So zeigt denn schon die Betrachtung dieses einfachen Beispiels, wie wich¬<lb/>
tig es sei, daß die Nachbarschaft den Verkehr der beiden Hauptgattungen von<lb/>
Producenten sowie dieser mit den Consumenten erleichtere. Die Entfernungen<lb/>
und die Nothwendigkeit der Mittelspersonen sind in Careys Augen zwei Um¬<lb/>
stände, die vor allen andern die Beachtung des Svcialpolitikers verdienen.<lb/>
Bilden sich daher viele locale Mittelpunkte des allgemeinen Wirthschaftsbetriebes<lb/>
der Völker und beschränkt sich die Centralisation auf das durch unabänderliche<lb/>
Naturverschiedenheiten gebotene Maß; wird also an die Stelle des sich selbst<lb/>
zum Zweck machenden Handelsapparates der wahre, möglichst unmittelbar ge¬<lb/>
machte Verkehr der Producenten und Consumenten gesetzt, so ist das wirth¬<lb/>
schaftliche Gedeihen der Gesellschaften wohl begründet. Auf der breiten Basis<lb/>
der decentralisirten oder vielmehr nicht ungehörig centralisirten Thätigkeiten kann<lb/>
sich der Gesammtwohlstand der Welt ebenmäßig und harmonisch entwickeln.<lb/>
Völker aber, die künstlich auf bloße Bvdencultur beschränkt werden, können sich<lb/>
aus der Dürftigkeit nicht erheben. Ihre Bevölkerung nimmt zu, ohne daß mit<lb/>
ihr zugleich die Industrie wüchse. Die unausbleibliche Folge hiervon ist der<lb/>
Mangel. Denn eine fortgeschrittne Bevölkerung kann sich nicht mehr durch die<lb/>
rohe Art von Landbau, welche der Jndustrieperiode vorangeht, erhalten. Sie<lb/>
muß zum Theil selbst an Nahrungsmitteln Mangel leiden, zum Theil aber<lb/>
auch in der Fähigkeit, mit ihren andern Roherzcugnisscn Fabrikate der Industrie¬<lb/>
länder zu kaufen, sehr beschränkt bleiben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_173"> Das Mittel, einer verletzenden centralen Ausbeutung entgegenzutreten, ist<lb/>
nun der Schutzzoll. Indem sich Carey für das Princip des Schutzes erklärt,<lb/>
glaubt er mehr als seine Gegner im wahren Geiste der Handelsfreiheit zu ver¬<lb/>
fahren. Auch sein schließliches Ziel ist die allgemeine Freiheit des Verkehrs;<lb/>
auch er will schon jetzt überall da, wo die Industrie eines Landes der Con-<lb/>
currenz des Auslandes gewachsen ist, die Zölle beseitigt wissen; auch ihm fällt<lb/>
es nicht ein, die Verschiedenheiten in den Naturanlagen der einzelnen Länder<lb/>
zu verkennen und etwa zu verlangen, daß der Weinbau und die Seidenzucht<lb/>
in einem ungünstigen Klima versucht werden soll; auch er weiß die Vortheile<lb/>
einer Theilung und Combination der Arbeit der Nationen zu schätzen; auch<lb/>
er nimmt nicht Partei für eine wirtschaftliche Jsolirung der einzelnen Staaten.<lb/>
Allein er hebt einen Umstand hervor, der von den Anhängern nicht blos der<lb/>
Handelsfreiheit, sondern auch mancher andern Freiheiten allzuleicht vergessen<lb/>
wird: er fühlt instinctiv den kolossalen Unterschied heraus, welcher zwischen<lb/>
formaler und materieller Freiheit besteht.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0054] Producent noch der entfernte Consument sonderliche Vortheile Erzielt. Der Erstere hätte den Transport und einen Theil vom Profit des Händlers, an den er verkauft, und der Letztere d. h. der unmittelbare Verzehrer den größeren Theil des Gewinnes der Mittelspersonen bezahlen müssen. So zeigt denn schon die Betrachtung dieses einfachen Beispiels, wie wich¬ tig es sei, daß die Nachbarschaft den Verkehr der beiden Hauptgattungen von Producenten sowie dieser mit den Consumenten erleichtere. Die Entfernungen und die Nothwendigkeit der Mittelspersonen sind in Careys Augen zwei Um¬ stände, die vor allen andern die Beachtung des Svcialpolitikers verdienen. Bilden sich daher viele locale Mittelpunkte des allgemeinen Wirthschaftsbetriebes der Völker und beschränkt sich die Centralisation auf das durch unabänderliche Naturverschiedenheiten gebotene Maß; wird also an die Stelle des sich selbst zum Zweck machenden Handelsapparates der wahre, möglichst unmittelbar ge¬ machte Verkehr der Producenten und Consumenten gesetzt, so ist das wirth¬ schaftliche Gedeihen der Gesellschaften wohl begründet. Auf der breiten Basis der decentralisirten oder vielmehr nicht ungehörig centralisirten Thätigkeiten kann sich der Gesammtwohlstand der Welt ebenmäßig und harmonisch entwickeln. Völker aber, die künstlich auf bloße Bvdencultur beschränkt werden, können sich aus der Dürftigkeit nicht erheben. Ihre Bevölkerung nimmt zu, ohne daß mit ihr zugleich die Industrie wüchse. Die unausbleibliche Folge hiervon ist der Mangel. Denn eine fortgeschrittne Bevölkerung kann sich nicht mehr durch die rohe Art von Landbau, welche der Jndustrieperiode vorangeht, erhalten. Sie muß zum Theil selbst an Nahrungsmitteln Mangel leiden, zum Theil aber auch in der Fähigkeit, mit ihren andern Roherzcugnisscn Fabrikate der Industrie¬ länder zu kaufen, sehr beschränkt bleiben. Das Mittel, einer verletzenden centralen Ausbeutung entgegenzutreten, ist nun der Schutzzoll. Indem sich Carey für das Princip des Schutzes erklärt, glaubt er mehr als seine Gegner im wahren Geiste der Handelsfreiheit zu ver¬ fahren. Auch sein schließliches Ziel ist die allgemeine Freiheit des Verkehrs; auch er will schon jetzt überall da, wo die Industrie eines Landes der Con- currenz des Auslandes gewachsen ist, die Zölle beseitigt wissen; auch ihm fällt es nicht ein, die Verschiedenheiten in den Naturanlagen der einzelnen Länder zu verkennen und etwa zu verlangen, daß der Weinbau und die Seidenzucht in einem ungünstigen Klima versucht werden soll; auch er weiß die Vortheile einer Theilung und Combination der Arbeit der Nationen zu schätzen; auch er nimmt nicht Partei für eine wirtschaftliche Jsolirung der einzelnen Staaten. Allein er hebt einen Umstand hervor, der von den Anhängern nicht blos der Handelsfreiheit, sondern auch mancher andern Freiheiten allzuleicht vergessen wird: er fühlt instinctiv den kolossalen Unterschied heraus, welcher zwischen formaler und materieller Freiheit besteht.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/54
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/54>, abgerufen am 03.07.2024.