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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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sitzt in einigen Bauernfamilien cette Exemplare, oft hundertjährige Erbstücke,
und legt ihnen einen nicht geringen Werth bei. Statt der echten hält man sich
auch allerlei Ersatzpflanzen z. B. trette.dormfz niMi-, all^inen kranke, die in
Töpfen gezogen bei schlechtem Wetter sich schließen, bei schönem aufgehen. Je
näher dem Weihnachtsabende sie aufblühen. um so näher ist man schon dem
Frühlinge und desto besser gedeihen die Jahresfrüchte. Auch 8pongia cairin-i
gebraucht man. die zu Folge ihres Nulgarnamens Schlafkunz und Schläfdorn
dazu dient, den Winterschlaf abzukürzen. Alle diese Pflanzen darf der Gläu¬
bige mit zur Kirche bringen. Nach der Christmette bespritzt sie der Priester mit
Weihbrunn und spricht über sie die für den Rosensonntag vorgeschriebene Bene-
dictionsformel: Segne, o Herr, diese Nosen. welche wir Dir aus Andacht und
Verehrung für die heilige Maria heute darbringen, den Kranken zu helfen, den
Bösen zu verjagen*).

Der deutsche Heide trank auf seiner Götter und Volkshelden, der Neu¬
bekehrte auf jener Heiligen Gedächtniß, die ihm durch geistige und leibliche
Stärkeproben Bewunderung abgewannen, und die Duldsamkeit der Kirche nahm
dieses Minnetrinken in ihr Rituale auf. Noch wird der Stephanstag. 26. Decem¬
ber, mit einer kirchlichen Weinspende begangen. Das M.milrlk NinMIonsis
NiMio III, 68, schreibt dem Meßpriester vor, am Tage des Protomartyr
Stephanus den Laienwein zu segnen und kelcbweise den Versammelten mit den
Worten darzureichen: IZido loi'tiwäingm 8ti FtsMlrm! Da Stephanus zugleich
Schutzpatron der Rosse ist. so geschieht an diesem Tage in Rosse züchtenden
Gegenden, wie bei uns in den Freiberger und zu Einsiedeln, zugleich die
Haferwcihe. Das Volk bringt kleine Gebunde von Heu und Stroh, Säckchen
mit Hafer, Gerste und Lecksalz herbei und läßt es zur Abwendung von Krank¬
heiten mit Weihwasser besprengen. Die besondere Benedictionsformel für jede
dieser Futtergattungen ist zu lesen in dem vorhin erwähnten Nanuale. Das
Fest hieß auch ..Großer Pferdstag", weil man die Rosse selbst zur Kirche ritt,
nach der Einsegnung Wettrennen abhielt und schließlich den Thieren insgesammt
zur Ader ließ. "Es seind jhrer gar viel, die haben im gebrauch, daß sie jhren
rossen am Steffanstag lassen, sie bedörffen der Lässin. oder nicht. Gedünkt
mich eine böse gewonheit." Petr. de Crescentiis, Vom Landbau 1602, 193.
Wie der Heilige in Schweden mehr als alle Landesheilige gerühmt, besungen
und ..Gottes bester Marstaller" genannt worden ist, so trägt er auch in der
Schweiz den Schmeichelnamen Steffesmändeli, eine mundartliche Form der Lieb¬
kosung wie Martii, Heinzelmann, Petermann. Hansemann. Eigenthümlich ist
noch seine Feier im Dorfe Großdöttingen an der untern Aare, wo er zugleich
Kirchenpatron ist. Liedersingcnd ziehen da die Bursche mit leeren Bütten von



-) Vgl. Filz, Nallualo Lolsetiss. VenSaicticmum. Kempten. 1737.

sitzt in einigen Bauernfamilien cette Exemplare, oft hundertjährige Erbstücke,
und legt ihnen einen nicht geringen Werth bei. Statt der echten hält man sich
auch allerlei Ersatzpflanzen z. B. trette.dormfz niMi-, all^inen kranke, die in
Töpfen gezogen bei schlechtem Wetter sich schließen, bei schönem aufgehen. Je
näher dem Weihnachtsabende sie aufblühen. um so näher ist man schon dem
Frühlinge und desto besser gedeihen die Jahresfrüchte. Auch 8pongia cairin-i
gebraucht man. die zu Folge ihres Nulgarnamens Schlafkunz und Schläfdorn
dazu dient, den Winterschlaf abzukürzen. Alle diese Pflanzen darf der Gläu¬
bige mit zur Kirche bringen. Nach der Christmette bespritzt sie der Priester mit
Weihbrunn und spricht über sie die für den Rosensonntag vorgeschriebene Bene-
dictionsformel: Segne, o Herr, diese Nosen. welche wir Dir aus Andacht und
Verehrung für die heilige Maria heute darbringen, den Kranken zu helfen, den
Bösen zu verjagen*).

Der deutsche Heide trank auf seiner Götter und Volkshelden, der Neu¬
bekehrte auf jener Heiligen Gedächtniß, die ihm durch geistige und leibliche
Stärkeproben Bewunderung abgewannen, und die Duldsamkeit der Kirche nahm
dieses Minnetrinken in ihr Rituale auf. Noch wird der Stephanstag. 26. Decem¬
ber, mit einer kirchlichen Weinspende begangen. Das M.milrlk NinMIonsis
NiMio III, 68, schreibt dem Meßpriester vor, am Tage des Protomartyr
Stephanus den Laienwein zu segnen und kelcbweise den Versammelten mit den
Worten darzureichen: IZido loi'tiwäingm 8ti FtsMlrm! Da Stephanus zugleich
Schutzpatron der Rosse ist. so geschieht an diesem Tage in Rosse züchtenden
Gegenden, wie bei uns in den Freiberger und zu Einsiedeln, zugleich die
Haferwcihe. Das Volk bringt kleine Gebunde von Heu und Stroh, Säckchen
mit Hafer, Gerste und Lecksalz herbei und läßt es zur Abwendung von Krank¬
heiten mit Weihwasser besprengen. Die besondere Benedictionsformel für jede
dieser Futtergattungen ist zu lesen in dem vorhin erwähnten Nanuale. Das
Fest hieß auch ..Großer Pferdstag", weil man die Rosse selbst zur Kirche ritt,
nach der Einsegnung Wettrennen abhielt und schließlich den Thieren insgesammt
zur Ader ließ. „Es seind jhrer gar viel, die haben im gebrauch, daß sie jhren
rossen am Steffanstag lassen, sie bedörffen der Lässin. oder nicht. Gedünkt
mich eine böse gewonheit." Petr. de Crescentiis, Vom Landbau 1602, 193.
Wie der Heilige in Schweden mehr als alle Landesheilige gerühmt, besungen
und ..Gottes bester Marstaller" genannt worden ist, so trägt er auch in der
Schweiz den Schmeichelnamen Steffesmändeli, eine mundartliche Form der Lieb¬
kosung wie Martii, Heinzelmann, Petermann. Hansemann. Eigenthümlich ist
noch seine Feier im Dorfe Großdöttingen an der untern Aare, wo er zugleich
Kirchenpatron ist. Liedersingcnd ziehen da die Bursche mit leeren Bütten von



-) Vgl. Filz, Nallualo Lolsetiss. VenSaicticmum. Kempten. 1737.
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[0513] sitzt in einigen Bauernfamilien cette Exemplare, oft hundertjährige Erbstücke, und legt ihnen einen nicht geringen Werth bei. Statt der echten hält man sich auch allerlei Ersatzpflanzen z. B. trette.dormfz niMi-, all^inen kranke, die in Töpfen gezogen bei schlechtem Wetter sich schließen, bei schönem aufgehen. Je näher dem Weihnachtsabende sie aufblühen. um so näher ist man schon dem Frühlinge und desto besser gedeihen die Jahresfrüchte. Auch 8pongia cairin-i gebraucht man. die zu Folge ihres Nulgarnamens Schlafkunz und Schläfdorn dazu dient, den Winterschlaf abzukürzen. Alle diese Pflanzen darf der Gläu¬ bige mit zur Kirche bringen. Nach der Christmette bespritzt sie der Priester mit Weihbrunn und spricht über sie die für den Rosensonntag vorgeschriebene Bene- dictionsformel: Segne, o Herr, diese Nosen. welche wir Dir aus Andacht und Verehrung für die heilige Maria heute darbringen, den Kranken zu helfen, den Bösen zu verjagen*). Der deutsche Heide trank auf seiner Götter und Volkshelden, der Neu¬ bekehrte auf jener Heiligen Gedächtniß, die ihm durch geistige und leibliche Stärkeproben Bewunderung abgewannen, und die Duldsamkeit der Kirche nahm dieses Minnetrinken in ihr Rituale auf. Noch wird der Stephanstag. 26. Decem¬ ber, mit einer kirchlichen Weinspende begangen. Das M.milrlk NinMIonsis NiMio III, 68, schreibt dem Meßpriester vor, am Tage des Protomartyr Stephanus den Laienwein zu segnen und kelcbweise den Versammelten mit den Worten darzureichen: IZido loi'tiwäingm 8ti FtsMlrm! Da Stephanus zugleich Schutzpatron der Rosse ist. so geschieht an diesem Tage in Rosse züchtenden Gegenden, wie bei uns in den Freiberger und zu Einsiedeln, zugleich die Haferwcihe. Das Volk bringt kleine Gebunde von Heu und Stroh, Säckchen mit Hafer, Gerste und Lecksalz herbei und läßt es zur Abwendung von Krank¬ heiten mit Weihwasser besprengen. Die besondere Benedictionsformel für jede dieser Futtergattungen ist zu lesen in dem vorhin erwähnten Nanuale. Das Fest hieß auch ..Großer Pferdstag", weil man die Rosse selbst zur Kirche ritt, nach der Einsegnung Wettrennen abhielt und schließlich den Thieren insgesammt zur Ader ließ. „Es seind jhrer gar viel, die haben im gebrauch, daß sie jhren rossen am Steffanstag lassen, sie bedörffen der Lässin. oder nicht. Gedünkt mich eine böse gewonheit." Petr. de Crescentiis, Vom Landbau 1602, 193. Wie der Heilige in Schweden mehr als alle Landesheilige gerühmt, besungen und ..Gottes bester Marstaller" genannt worden ist, so trägt er auch in der Schweiz den Schmeichelnamen Steffesmändeli, eine mundartliche Form der Lieb¬ kosung wie Martii, Heinzelmann, Petermann. Hansemann. Eigenthümlich ist noch seine Feier im Dorfe Großdöttingen an der untern Aare, wo er zugleich Kirchenpatron ist. Liedersingcnd ziehen da die Bursche mit leeren Bütten von -) Vgl. Filz, Nallualo Lolsetiss. VenSaicticmum. Kempten. 1737.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/513>, abgerufen am 03.07.2024.