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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Haus zu Haus und lassen sich diese mit Wein füllen. Jeder giebt ihnen nach
Vermögen. Derjenige Rebbauer, der seinen diesjährigen Borrath schon ver¬
lauft hat, wirft ihnen ein anständiges Geldstück in ihr Armkörbchen, an dessen
Deckel ein Einschnitt wie an einem Opferstock ist. Der so gewonnene Wein
wird auf der Stelle in die leeren Keller armer Wittwen umgeleert, die Geld¬
einnahme fällt in die Junggescllenkasse, um demjenigen Dorfburschen, der mit
Neujahr zuerst heirathen wird, ein Hochzeitsgeschenk zu liefern.

Am zweiten Tage nach Weihnachten, als am Feste Johannis des Evan¬
gelisten, wird auf katholischen Dörfern der JohanniSwein in der Messe ver¬
abreicht. Es geschieht dies zusolge der vom heiligen Augustin herrührenden
Angabe, Johannes habe einen Becher voll Gift, nachdem er ihn mit dem
Kreuzzeichen gesegnet, schadlos ausgeirunken. Daher führt dieser Heilige in
den kirchlichen Abbildungen den Kelch, aus dem ein Schlänglein herauszüngclt,
und der Meßpriester spricht bei der Benediction des Weines: Dich rufen wir
an, vor dessen Namen die Schlange weicht, der Drache flieht, die Viper schläft
und die Giftkröte in ihrer Wuth hinstirbt*). Aus jedem Fasse im Keller läßt
der Hausvater etwas Wein ab. und bringt es heute auf den Altar, läßt es
mit Weihbrunn besprengen und leert es daheim wieder in die Fässer um; so
wird ihm kein einziges Faß abstehn und aus jedem kann er seinem scheidenden
Gaste den Johannissegen kredenzen. Letzterer Brauch hat besonders im Kanton
Schwyz und in Oberwallis angedauert. Hatte man bereits Abschied genommen
und verließ mit dem Frühesten die Herberge, so kam uns der Wirth draußen
noch einmal mit dem letzten Scheidetrunt entgegen. In ein ven seiner Tochter
dargehaltenes Baßglas schüttete er aus zwei Flaschen rothen und weißen Wal-
lisenvein zugleich, und erst wenn es der Gast bis auf die Neige geleert hatte,
konnte der gegenseitige Wunsch einer glücklichen Reise in Erfüllung gehen.
Der kirchliche Segen bedingt dies; quisyuis in peregrivativvo luerit, ab
lzoelem vin" cont'ol't.Leu.l'. (Friz a. a. O. S. 16.) In unsern katholischen
Landkirchen spendet der Pfarrer nach der Messe einige Kannen aus und jeder
Anwesende soll einen guten Trunk thun. Weil sich aber die schlauen Jungen dabei
wiederholt vorzudrängen wissen und sogar die Kleider vor der Thüre gegen¬
seitig umwechseln, um unerkannt noch einmal an die Kanne zu kommen, so
bleiben unsre Männer jetzt bereits aus der Reihe weg und der Brauch des
Minnetrinkens geht seinem Ende entgegen. --





") Vgl. ^gMäk eoolss. Noguntisllsis 15S1.

Haus zu Haus und lassen sich diese mit Wein füllen. Jeder giebt ihnen nach
Vermögen. Derjenige Rebbauer, der seinen diesjährigen Borrath schon ver¬
lauft hat, wirft ihnen ein anständiges Geldstück in ihr Armkörbchen, an dessen
Deckel ein Einschnitt wie an einem Opferstock ist. Der so gewonnene Wein
wird auf der Stelle in die leeren Keller armer Wittwen umgeleert, die Geld¬
einnahme fällt in die Junggescllenkasse, um demjenigen Dorfburschen, der mit
Neujahr zuerst heirathen wird, ein Hochzeitsgeschenk zu liefern.

Am zweiten Tage nach Weihnachten, als am Feste Johannis des Evan¬
gelisten, wird auf katholischen Dörfern der JohanniSwein in der Messe ver¬
abreicht. Es geschieht dies zusolge der vom heiligen Augustin herrührenden
Angabe, Johannes habe einen Becher voll Gift, nachdem er ihn mit dem
Kreuzzeichen gesegnet, schadlos ausgeirunken. Daher führt dieser Heilige in
den kirchlichen Abbildungen den Kelch, aus dem ein Schlänglein herauszüngclt,
und der Meßpriester spricht bei der Benediction des Weines: Dich rufen wir
an, vor dessen Namen die Schlange weicht, der Drache flieht, die Viper schläft
und die Giftkröte in ihrer Wuth hinstirbt*). Aus jedem Fasse im Keller läßt
der Hausvater etwas Wein ab. und bringt es heute auf den Altar, läßt es
mit Weihbrunn besprengen und leert es daheim wieder in die Fässer um; so
wird ihm kein einziges Faß abstehn und aus jedem kann er seinem scheidenden
Gaste den Johannissegen kredenzen. Letzterer Brauch hat besonders im Kanton
Schwyz und in Oberwallis angedauert. Hatte man bereits Abschied genommen
und verließ mit dem Frühesten die Herberge, so kam uns der Wirth draußen
noch einmal mit dem letzten Scheidetrunt entgegen. In ein ven seiner Tochter
dargehaltenes Baßglas schüttete er aus zwei Flaschen rothen und weißen Wal-
lisenvein zugleich, und erst wenn es der Gast bis auf die Neige geleert hatte,
konnte der gegenseitige Wunsch einer glücklichen Reise in Erfüllung gehen.
Der kirchliche Segen bedingt dies; quisyuis in peregrivativvo luerit, ab
lzoelem vin» cont'ol't.Leu.l'. (Friz a. a. O. S. 16.) In unsern katholischen
Landkirchen spendet der Pfarrer nach der Messe einige Kannen aus und jeder
Anwesende soll einen guten Trunk thun. Weil sich aber die schlauen Jungen dabei
wiederholt vorzudrängen wissen und sogar die Kleider vor der Thüre gegen¬
seitig umwechseln, um unerkannt noch einmal an die Kanne zu kommen, so
bleiben unsre Männer jetzt bereits aus der Reihe weg und der Brauch des
Minnetrinkens geht seinem Ende entgegen. —





") Vgl. ^gMäk eoolss. Noguntisllsis 15S1.
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[0514] Haus zu Haus und lassen sich diese mit Wein füllen. Jeder giebt ihnen nach Vermögen. Derjenige Rebbauer, der seinen diesjährigen Borrath schon ver¬ lauft hat, wirft ihnen ein anständiges Geldstück in ihr Armkörbchen, an dessen Deckel ein Einschnitt wie an einem Opferstock ist. Der so gewonnene Wein wird auf der Stelle in die leeren Keller armer Wittwen umgeleert, die Geld¬ einnahme fällt in die Junggescllenkasse, um demjenigen Dorfburschen, der mit Neujahr zuerst heirathen wird, ein Hochzeitsgeschenk zu liefern. Am zweiten Tage nach Weihnachten, als am Feste Johannis des Evan¬ gelisten, wird auf katholischen Dörfern der JohanniSwein in der Messe ver¬ abreicht. Es geschieht dies zusolge der vom heiligen Augustin herrührenden Angabe, Johannes habe einen Becher voll Gift, nachdem er ihn mit dem Kreuzzeichen gesegnet, schadlos ausgeirunken. Daher führt dieser Heilige in den kirchlichen Abbildungen den Kelch, aus dem ein Schlänglein herauszüngclt, und der Meßpriester spricht bei der Benediction des Weines: Dich rufen wir an, vor dessen Namen die Schlange weicht, der Drache flieht, die Viper schläft und die Giftkröte in ihrer Wuth hinstirbt*). Aus jedem Fasse im Keller läßt der Hausvater etwas Wein ab. und bringt es heute auf den Altar, läßt es mit Weihbrunn besprengen und leert es daheim wieder in die Fässer um; so wird ihm kein einziges Faß abstehn und aus jedem kann er seinem scheidenden Gaste den Johannissegen kredenzen. Letzterer Brauch hat besonders im Kanton Schwyz und in Oberwallis angedauert. Hatte man bereits Abschied genommen und verließ mit dem Frühesten die Herberge, so kam uns der Wirth draußen noch einmal mit dem letzten Scheidetrunt entgegen. In ein ven seiner Tochter dargehaltenes Baßglas schüttete er aus zwei Flaschen rothen und weißen Wal- lisenvein zugleich, und erst wenn es der Gast bis auf die Neige geleert hatte, konnte der gegenseitige Wunsch einer glücklichen Reise in Erfüllung gehen. Der kirchliche Segen bedingt dies; quisyuis in peregrivativvo luerit, ab lzoelem vin» cont'ol't.Leu.l'. (Friz a. a. O. S. 16.) In unsern katholischen Landkirchen spendet der Pfarrer nach der Messe einige Kannen aus und jeder Anwesende soll einen guten Trunk thun. Weil sich aber die schlauen Jungen dabei wiederholt vorzudrängen wissen und sogar die Kleider vor der Thüre gegen¬ seitig umwechseln, um unerkannt noch einmal an die Kanne zu kommen, so bleiben unsre Männer jetzt bereits aus der Reihe weg und der Brauch des Minnetrinkens geht seinem Ende entgegen. — ") Vgl. ^gMäk eoolss. Noguntisllsis 15S1.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/514>, abgerufen am 03.07.2024.