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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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nicht durchgehends Sitte und wird im Bernerlande aufs Neujahr verschoben.
Seit neuerer Zeit nimmt der Brauch indeß mehr überHand. So konnte man
laut den Tabellen des Marktmeisters zu Basel auf dem dortigen Weih¬
nachtsmarkte 1860 zweitausend Christbäumchen zum Verkaufe ausgestellt sehen.
Man meint darin eine dein deutschen Protestantismus erst neuerlich nachgeahmte
Sitte erkennen zu sollen, die eben deshalb in schweizerischen Landstrichen von
unvermischt katholischer Bevölkerung unbekannt ist. Allein alle geschichtliche
Erfahrung widerspricht dem. Selbst im päpstlichen Italien sieht man zu Weih¬
nachten in den Verkaufsmagazinen die Lorbeerbäume ausgestellt, behängen mit
Goldpapierketten, versilberten kleinen Kürbissen, Citronen- und Salamiguirlanden;
am Stamme aber liegt das korinthengefüllte runde Honigbrod des psne <Z">Iev
und der nie fehlende Schinken sammt gefülltem Schweinskopf.

So findet der Wcihnachsbaum fast überall seine entsprechenden Vertreter;
dem Jrländer und, Nordfranzosen dient dafür die stets grünende Mistel, den,
Engländer die Stechpalme, dem Tiroler der Kirschen- oder Flicderzweig. Es
konnte also unserm katholischen Landvolke der Weihnachtsbaum ursprünglich
weder unbekannt gewesen sein, während es ihn heute nicht mehr kennt, noch
kann er demselben, wo man den Baum wirklich aufsteckt, erst durch den refor-
mirten Nachbar zugekommen sein. Die Bevölkerung des Freienamtes und Zuger-
landes ist eine unvermischt katholische; gleichwohl bringen dort der vermummte
Nikolaus und sein Knecht Sckmutzli von jeher die Beschwerung auf einem Bäum¬
chen ins Haus, das mit ausgeblasenen goidschaumigen Eiern, mit Seidenhemd,
Flitter und Wachskerzchen verziert sein muß. Dies vorgeschriebene Bäumchen
se der Klausgrotzcn, während doch die Legende des heil. Nikolaus durchaus
eines Zuges entbehrt, Von dem man das Baumschmücken ableiten könnte. Eben
dasselbe eierbehangene "Tannengrotzli" ist das unentbehrliche Abzeichen des
"Wildmanndli und Wildwibli", der beiden stehenden Charaktermasken jener
Sennbruderschaftfeste, die rings um den Vierwaldstättersee alljährlich weltlich
und kirchlich begangen werden. Dort, wo man eine Hinneigung der Mit¬
bürger zu reformirten Bräuchen lange genug mit Landesverweisung bestrafte,
konnte das Schmücken des Weibnachtsbaumes unmöglich vom Protestantismus
entlehnt sein, zumal da ja auch die reformirte Geistlichkeit seit jenem Jahrhun¬
dert der Unduldsamkeit, das in der Schweiz das "Prädikantenjahrhundert" genannt
wird, anfing, gegen den heidnischen Brauch zu eifern. "Unter andern Lappa¬
lien" -- schrieb damals Dannhauer in seinen Katechet. Lectionen V, 649 --
"damit man oft mehr als mit Gottes Wort die Weihnachtszeit begehet, ist auch
der Tannenbaum, den man zu Hause mit Zucker behängt und hernach schütteln
und abblümen läßt, daß die Kinder ihr Gebetlein fast abgöttischer Weis für
dem vermummten und vermeinten Christkindlein ablegen. Besser wärs. man
weisete sie auf den geistlichen Cedernbaum Jesum Christum." Der Weihnachts-


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nicht durchgehends Sitte und wird im Bernerlande aufs Neujahr verschoben.
Seit neuerer Zeit nimmt der Brauch indeß mehr überHand. So konnte man
laut den Tabellen des Marktmeisters zu Basel auf dem dortigen Weih¬
nachtsmarkte 1860 zweitausend Christbäumchen zum Verkaufe ausgestellt sehen.
Man meint darin eine dein deutschen Protestantismus erst neuerlich nachgeahmte
Sitte erkennen zu sollen, die eben deshalb in schweizerischen Landstrichen von
unvermischt katholischer Bevölkerung unbekannt ist. Allein alle geschichtliche
Erfahrung widerspricht dem. Selbst im päpstlichen Italien sieht man zu Weih¬
nachten in den Verkaufsmagazinen die Lorbeerbäume ausgestellt, behängen mit
Goldpapierketten, versilberten kleinen Kürbissen, Citronen- und Salamiguirlanden;
am Stamme aber liegt das korinthengefüllte runde Honigbrod des psne <Z«>Iev
und der nie fehlende Schinken sammt gefülltem Schweinskopf.

So findet der Wcihnachsbaum fast überall seine entsprechenden Vertreter;
dem Jrländer und, Nordfranzosen dient dafür die stets grünende Mistel, den,
Engländer die Stechpalme, dem Tiroler der Kirschen- oder Flicderzweig. Es
konnte also unserm katholischen Landvolke der Weihnachtsbaum ursprünglich
weder unbekannt gewesen sein, während es ihn heute nicht mehr kennt, noch
kann er demselben, wo man den Baum wirklich aufsteckt, erst durch den refor-
mirten Nachbar zugekommen sein. Die Bevölkerung des Freienamtes und Zuger-
landes ist eine unvermischt katholische; gleichwohl bringen dort der vermummte
Nikolaus und sein Knecht Sckmutzli von jeher die Beschwerung auf einem Bäum¬
chen ins Haus, das mit ausgeblasenen goidschaumigen Eiern, mit Seidenhemd,
Flitter und Wachskerzchen verziert sein muß. Dies vorgeschriebene Bäumchen
se der Klausgrotzcn, während doch die Legende des heil. Nikolaus durchaus
eines Zuges entbehrt, Von dem man das Baumschmücken ableiten könnte. Eben
dasselbe eierbehangene „Tannengrotzli" ist das unentbehrliche Abzeichen des
„Wildmanndli und Wildwibli", der beiden stehenden Charaktermasken jener
Sennbruderschaftfeste, die rings um den Vierwaldstättersee alljährlich weltlich
und kirchlich begangen werden. Dort, wo man eine Hinneigung der Mit¬
bürger zu reformirten Bräuchen lange genug mit Landesverweisung bestrafte,
konnte das Schmücken des Weibnachtsbaumes unmöglich vom Protestantismus
entlehnt sein, zumal da ja auch die reformirte Geistlichkeit seit jenem Jahrhun¬
dert der Unduldsamkeit, das in der Schweiz das „Prädikantenjahrhundert" genannt
wird, anfing, gegen den heidnischen Brauch zu eifern. „Unter andern Lappa¬
lien" — schrieb damals Dannhauer in seinen Katechet. Lectionen V, 649 —
„damit man oft mehr als mit Gottes Wort die Weihnachtszeit begehet, ist auch
der Tannenbaum, den man zu Hause mit Zucker behängt und hernach schütteln
und abblümen läßt, daß die Kinder ihr Gebetlein fast abgöttischer Weis für
dem vermummten und vermeinten Christkindlein ablegen. Besser wärs. man
weisete sie auf den geistlichen Cedernbaum Jesum Christum." Der Weihnachts-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/511>, abgerufen am 01.10.2024.