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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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und Weinberg damit zu besprengen; aber der ländliche Mensch lebt in seiner
eignen Sitte fort und wartet nicht erst auf jene Kirchentage. Jetzt schon stellt
er die leere Wasserschüssel vors Haus; wenn es eine Regennacht ist, dann sind
des Morgens so viele Tropfen hineingefallen, als Engel im Himmel sind.
Auf den wenig betretenen Waldboden des Asper Strichcns im aarauer Jura
fließt ein Wildwasser, der Saübrunnen geheißen; eben in dieser Nacht sollen
an dem ungebrauchten Quell fünf große Zinnkannen weingcfüllt vor der dortigen
Höhle der Erdmännlein stehe". (Aargau. Sag. 1., 198.) Auch die alten
Wetterregeln haben zum Theil in solchem Glauben ihren Ursprung. Klare
(mondhelle) Weihnachten giebt dunkle (angefüllte) Scheunen. So viele Sterne
dann am Nachthimmel stehen, so viele Schnitter wird man nachmals in der
Ernte brauchen; darum hört man denn jetzt schon, wie "das Glücksheer,
das Guetigshcer" Nachts droben in den Iurabergen in frohe Schnittcrlieder
aus bricht.

Neben dem Glauben der Frömmigkeit will auch der Volksscherz sein Recht
habe" und fährt in seiner drastischen Bilderfülle also weiter: In Weih¬
nachten wird der "ußbaume"e studentisch zum braunen wallnußgespickten
Lebzelter, der grüne Kachelofen zum Scbabzigcrstock (grüner Kräuterkäse) und
die Oftnstaiige zu Bratwurst, die viermal um de" Ofen geht. Solche Hyper¬
bel" des Uebermuths sind gleichfalls nicht von heute und haben zum Theil
schon ihre eigne kleine Literargeschichte auszuweisen. Die unsrige wiederholt
sich in Fischarts Gargantua: "Im Schlaraffenland, drei Meilen hinter Weih¬
nachten, da sind die LebS'uchenwäude, die Schweinebratenbalkcn, die Malvasicr-
brunnen, da giebts Bratwurstzäune, Fladendächer und Hvnigmertel, da fällt
der Milchrahmregen und der Zuckererbsenhagel." Endlich macht der Scherz
Ernst und verkörpert sich leibhaftig, wie unsre .Lebkuchenhäuschen am Weih-
nachtsmarlte beweisen, deren Bauart genau nach dem fischartschen Plan be¬
schaffen ist. Und damit es,nicht scheine, als ob das Ganze zuletzt doch nur
aus einem lustigen Kopfe zufällig einmal entsprungen sei, folgt unser Leitsatz
hier auch noch in derjenigen Gestalt, wie ihn der Sprachforscher Castrem aus
dem Munde finnischer Bollvstämme in Nordasien vernommen und dem Epos
Kalewala (Gesang 21. Bers 389) einverleibt hat:

Das Ausputzen des lichtcrhellen Weihnachtsbäumchens ist in der Schweiz


und Weinberg damit zu besprengen; aber der ländliche Mensch lebt in seiner
eignen Sitte fort und wartet nicht erst auf jene Kirchentage. Jetzt schon stellt
er die leere Wasserschüssel vors Haus; wenn es eine Regennacht ist, dann sind
des Morgens so viele Tropfen hineingefallen, als Engel im Himmel sind.
Auf den wenig betretenen Waldboden des Asper Strichcns im aarauer Jura
fließt ein Wildwasser, der Saübrunnen geheißen; eben in dieser Nacht sollen
an dem ungebrauchten Quell fünf große Zinnkannen weingcfüllt vor der dortigen
Höhle der Erdmännlein stehe». (Aargau. Sag. 1., 198.) Auch die alten
Wetterregeln haben zum Theil in solchem Glauben ihren Ursprung. Klare
(mondhelle) Weihnachten giebt dunkle (angefüllte) Scheunen. So viele Sterne
dann am Nachthimmel stehen, so viele Schnitter wird man nachmals in der
Ernte brauchen; darum hört man denn jetzt schon, wie „das Glücksheer,
das Guetigshcer" Nachts droben in den Iurabergen in frohe Schnittcrlieder
aus bricht.

Neben dem Glauben der Frömmigkeit will auch der Volksscherz sein Recht
habe» und fährt in seiner drastischen Bilderfülle also weiter: In Weih¬
nachten wird der »ußbaume»e studentisch zum braunen wallnußgespickten
Lebzelter, der grüne Kachelofen zum Scbabzigcrstock (grüner Kräuterkäse) und
die Oftnstaiige zu Bratwurst, die viermal um de» Ofen geht. Solche Hyper¬
bel» des Uebermuths sind gleichfalls nicht von heute und haben zum Theil
schon ihre eigne kleine Literargeschichte auszuweisen. Die unsrige wiederholt
sich in Fischarts Gargantua: „Im Schlaraffenland, drei Meilen hinter Weih¬
nachten, da sind die LebS'uchenwäude, die Schweinebratenbalkcn, die Malvasicr-
brunnen, da giebts Bratwurstzäune, Fladendächer und Hvnigmertel, da fällt
der Milchrahmregen und der Zuckererbsenhagel." Endlich macht der Scherz
Ernst und verkörpert sich leibhaftig, wie unsre .Lebkuchenhäuschen am Weih-
nachtsmarlte beweisen, deren Bauart genau nach dem fischartschen Plan be¬
schaffen ist. Und damit es,nicht scheine, als ob das Ganze zuletzt doch nur
aus einem lustigen Kopfe zufällig einmal entsprungen sei, folgt unser Leitsatz
hier auch noch in derjenigen Gestalt, wie ihn der Sprachforscher Castrem aus
dem Munde finnischer Bollvstämme in Nordasien vernommen und dem Epos
Kalewala (Gesang 21. Bers 389) einverleibt hat:

Das Ausputzen des lichtcrhellen Weihnachtsbäumchens ist in der Schweiz


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[0510] und Weinberg damit zu besprengen; aber der ländliche Mensch lebt in seiner eignen Sitte fort und wartet nicht erst auf jene Kirchentage. Jetzt schon stellt er die leere Wasserschüssel vors Haus; wenn es eine Regennacht ist, dann sind des Morgens so viele Tropfen hineingefallen, als Engel im Himmel sind. Auf den wenig betretenen Waldboden des Asper Strichcns im aarauer Jura fließt ein Wildwasser, der Saübrunnen geheißen; eben in dieser Nacht sollen an dem ungebrauchten Quell fünf große Zinnkannen weingcfüllt vor der dortigen Höhle der Erdmännlein stehe». (Aargau. Sag. 1., 198.) Auch die alten Wetterregeln haben zum Theil in solchem Glauben ihren Ursprung. Klare (mondhelle) Weihnachten giebt dunkle (angefüllte) Scheunen. So viele Sterne dann am Nachthimmel stehen, so viele Schnitter wird man nachmals in der Ernte brauchen; darum hört man denn jetzt schon, wie „das Glücksheer, das Guetigshcer" Nachts droben in den Iurabergen in frohe Schnittcrlieder aus bricht. Neben dem Glauben der Frömmigkeit will auch der Volksscherz sein Recht habe» und fährt in seiner drastischen Bilderfülle also weiter: In Weih¬ nachten wird der »ußbaume»e studentisch zum braunen wallnußgespickten Lebzelter, der grüne Kachelofen zum Scbabzigcrstock (grüner Kräuterkäse) und die Oftnstaiige zu Bratwurst, die viermal um de» Ofen geht. Solche Hyper¬ bel» des Uebermuths sind gleichfalls nicht von heute und haben zum Theil schon ihre eigne kleine Literargeschichte auszuweisen. Die unsrige wiederholt sich in Fischarts Gargantua: „Im Schlaraffenland, drei Meilen hinter Weih¬ nachten, da sind die LebS'uchenwäude, die Schweinebratenbalkcn, die Malvasicr- brunnen, da giebts Bratwurstzäune, Fladendächer und Hvnigmertel, da fällt der Milchrahmregen und der Zuckererbsenhagel." Endlich macht der Scherz Ernst und verkörpert sich leibhaftig, wie unsre .Lebkuchenhäuschen am Weih- nachtsmarlte beweisen, deren Bauart genau nach dem fischartschen Plan be¬ schaffen ist. Und damit es,nicht scheine, als ob das Ganze zuletzt doch nur aus einem lustigen Kopfe zufällig einmal entsprungen sei, folgt unser Leitsatz hier auch noch in derjenigen Gestalt, wie ihn der Sprachforscher Castrem aus dem Munde finnischer Bollvstämme in Nordasien vernommen und dem Epos Kalewala (Gesang 21. Bers 389) einverleibt hat: Das Ausputzen des lichtcrhellen Weihnachtsbäumchens ist in der Schweiz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/510>, abgerufen am 03.07.2024.