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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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dankend. Der Knecht stellt eine Wanne Hafer in den Nachtthau und umgeht
mit einem Heubündel den Stall; wenn er das Vieh damit füttert, wird es das
Jahr über gesund bleiben. Jung und Alt mißt beim Lichte zweier Kerzen oder
draußen im hellen Mondschein den Schatten des eignen Körpers ab, auch dieser
soll wachsen und zunehmen"). Man durchgeht in offenen Schnürschuhen das
Dickicht der Waldung; wem dabei ein Körnchen des Farnsamens in den Schuh
fällt, der wird geistcrsichiig und wird den vergraben liegenden Schatz entdecken.
Das heircuhsfähige Mädchen trägt einen knospenden Blumenstock, besonders
einen Rosenzweig uns Haus und beim dritten Mal kann ihr der künftige Bräu¬
tigam begegnen. Zugleich erfährt sie mittels der Scheitertaufe, ob sie in langer
Ehe leben wird. Sie stellt so viele Holzscheitchen, als Familienglieder leben,
jedes mit einem Namen beliebt, ans Scheunenthvr auf. Letzteres wird aber
Nachts zwölf Uhr aufgemacht, "damit der Heiland dem lieben Vieh eine Hand
voll Lecksalz reichen kann"; wessen Scheitchen nun beim Oeffnen umgefallen ist,
der wird das kommende Jahr nicht überleben. Wer dagegen diese Nacht an¬
statt im Bette auf bloßer Erde schläft, der rst ein ganzes Jahr vor Zahnweh
sicher. Dies Letztere ist noch ein echtes Wort von unsern leibesstarken Ahnen,
die sich etwas zumuthen dursten, so lange sie draußen in Eis und Schnee ihr
nächtlrches Dcurl- und Opferfest feierten. Die Kraft der Erde ward ihnen zu
Kraft und Stählung der Glieder, frei von Siechthum, wenn sie auf den
Waldboden eine Nacht laug an ver Flamme des Opferbrandes ihren Methtrank
sollen und ihren Weizentuchen buten. Wir bei unserm Punsch und Glühwein
im warmen Familienzimmer verstehen freilich nur wenig mehr von jenen Kalt¬
wasserkuren unsrer Borzeit und von dem auf ihren Glauben gemünzten Festreim:

Bloßer kahler Aberglaube ist es also nicht, der diese Sätze ursprünglich erfand,
so wenig als es wrderchristlich lautet, wenn die katholischen Kinder nun ihr
Weihnachtslied vor unsern Fenstern anstimmen:

Alle Propheten wünschten sich das,
Daß der Heiland wie Laub und Gras

Denn wie könnte auch der kommende Herbst uns Most und Maische geben,
wenn die Sonne nicht jetzt schon zu Mittwinter die Keimkraft in Rede und
Gerste wundersam belebte. Darum behauptet der Winzer, man höre jetzt schon
das Klopfen der Küfer in den Trollen des Nebberges voraus, und der Hvpfen-
bauer meint, zu gleicher Zeit steche unter dem Decemberschnce schon der Hopfen



*) Vgl. Pfeiffers Germania 5, V9: Ohne Schatten, ohne Seele.

dankend. Der Knecht stellt eine Wanne Hafer in den Nachtthau und umgeht
mit einem Heubündel den Stall; wenn er das Vieh damit füttert, wird es das
Jahr über gesund bleiben. Jung und Alt mißt beim Lichte zweier Kerzen oder
draußen im hellen Mondschein den Schatten des eignen Körpers ab, auch dieser
soll wachsen und zunehmen"). Man durchgeht in offenen Schnürschuhen das
Dickicht der Waldung; wem dabei ein Körnchen des Farnsamens in den Schuh
fällt, der wird geistcrsichiig und wird den vergraben liegenden Schatz entdecken.
Das heircuhsfähige Mädchen trägt einen knospenden Blumenstock, besonders
einen Rosenzweig uns Haus und beim dritten Mal kann ihr der künftige Bräu¬
tigam begegnen. Zugleich erfährt sie mittels der Scheitertaufe, ob sie in langer
Ehe leben wird. Sie stellt so viele Holzscheitchen, als Familienglieder leben,
jedes mit einem Namen beliebt, ans Scheunenthvr auf. Letzteres wird aber
Nachts zwölf Uhr aufgemacht, „damit der Heiland dem lieben Vieh eine Hand
voll Lecksalz reichen kann"; wessen Scheitchen nun beim Oeffnen umgefallen ist,
der wird das kommende Jahr nicht überleben. Wer dagegen diese Nacht an¬
statt im Bette auf bloßer Erde schläft, der rst ein ganzes Jahr vor Zahnweh
sicher. Dies Letztere ist noch ein echtes Wort von unsern leibesstarken Ahnen,
die sich etwas zumuthen dursten, so lange sie draußen in Eis und Schnee ihr
nächtlrches Dcurl- und Opferfest feierten. Die Kraft der Erde ward ihnen zu
Kraft und Stählung der Glieder, frei von Siechthum, wenn sie auf den
Waldboden eine Nacht laug an ver Flamme des Opferbrandes ihren Methtrank
sollen und ihren Weizentuchen buten. Wir bei unserm Punsch und Glühwein
im warmen Familienzimmer verstehen freilich nur wenig mehr von jenen Kalt¬
wasserkuren unsrer Borzeit und von dem auf ihren Glauben gemünzten Festreim:

Bloßer kahler Aberglaube ist es also nicht, der diese Sätze ursprünglich erfand,
so wenig als es wrderchristlich lautet, wenn die katholischen Kinder nun ihr
Weihnachtslied vor unsern Fenstern anstimmen:

Alle Propheten wünschten sich das,
Daß der Heiland wie Laub und Gras

Denn wie könnte auch der kommende Herbst uns Most und Maische geben,
wenn die Sonne nicht jetzt schon zu Mittwinter die Keimkraft in Rede und
Gerste wundersam belebte. Darum behauptet der Winzer, man höre jetzt schon
das Klopfen der Küfer in den Trollen des Nebberges voraus, und der Hvpfen-
bauer meint, zu gleicher Zeit steche unter dem Decemberschnce schon der Hopfen



*) Vgl. Pfeiffers Germania 5, V9: Ohne Schatten, ohne Seele.
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[0508] dankend. Der Knecht stellt eine Wanne Hafer in den Nachtthau und umgeht mit einem Heubündel den Stall; wenn er das Vieh damit füttert, wird es das Jahr über gesund bleiben. Jung und Alt mißt beim Lichte zweier Kerzen oder draußen im hellen Mondschein den Schatten des eignen Körpers ab, auch dieser soll wachsen und zunehmen"). Man durchgeht in offenen Schnürschuhen das Dickicht der Waldung; wem dabei ein Körnchen des Farnsamens in den Schuh fällt, der wird geistcrsichiig und wird den vergraben liegenden Schatz entdecken. Das heircuhsfähige Mädchen trägt einen knospenden Blumenstock, besonders einen Rosenzweig uns Haus und beim dritten Mal kann ihr der künftige Bräu¬ tigam begegnen. Zugleich erfährt sie mittels der Scheitertaufe, ob sie in langer Ehe leben wird. Sie stellt so viele Holzscheitchen, als Familienglieder leben, jedes mit einem Namen beliebt, ans Scheunenthvr auf. Letzteres wird aber Nachts zwölf Uhr aufgemacht, „damit der Heiland dem lieben Vieh eine Hand voll Lecksalz reichen kann"; wessen Scheitchen nun beim Oeffnen umgefallen ist, der wird das kommende Jahr nicht überleben. Wer dagegen diese Nacht an¬ statt im Bette auf bloßer Erde schläft, der rst ein ganzes Jahr vor Zahnweh sicher. Dies Letztere ist noch ein echtes Wort von unsern leibesstarken Ahnen, die sich etwas zumuthen dursten, so lange sie draußen in Eis und Schnee ihr nächtlrches Dcurl- und Opferfest feierten. Die Kraft der Erde ward ihnen zu Kraft und Stählung der Glieder, frei von Siechthum, wenn sie auf den Waldboden eine Nacht laug an ver Flamme des Opferbrandes ihren Methtrank sollen und ihren Weizentuchen buten. Wir bei unserm Punsch und Glühwein im warmen Familienzimmer verstehen freilich nur wenig mehr von jenen Kalt¬ wasserkuren unsrer Borzeit und von dem auf ihren Glauben gemünzten Festreim: Bloßer kahler Aberglaube ist es also nicht, der diese Sätze ursprünglich erfand, so wenig als es wrderchristlich lautet, wenn die katholischen Kinder nun ihr Weihnachtslied vor unsern Fenstern anstimmen: Alle Propheten wünschten sich das, Daß der Heiland wie Laub und Gras Denn wie könnte auch der kommende Herbst uns Most und Maische geben, wenn die Sonne nicht jetzt schon zu Mittwinter die Keimkraft in Rede und Gerste wundersam belebte. Darum behauptet der Winzer, man höre jetzt schon das Klopfen der Küfer in den Trollen des Nebberges voraus, und der Hvpfen- bauer meint, zu gleicher Zeit steche unter dem Decemberschnce schon der Hopfen *) Vgl. Pfeiffers Germania 5, V9: Ohne Schatten, ohne Seele.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/508>, abgerufen am 03.07.2024.