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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Bedürfnissen und Wünschen, die uns zwischen Mittwinter und Mittsommer be¬
schäftigen werden. In diesem Sinne faßt ihn das aargauer Landvolk auf.
selbst wo es den eigentlichen Christbaum gar nicht kennt; es bäckt einen
Honigzelte" in Baumform und bringt dieses "Bäumlibrod" auf den städtischen
Christmarkt zum Verkaufe. Dasselbe gleicht mit seinem kurzen Baumstamm und
der kreisrunden Baumkrone den vorhin geschilderten Brodrädchen des Svnnen-
wendfestes und trägt überdies an der breiten Stelle des Laubwerkes auch die
"Zeittafel", ein rundes Zifferblatt ans Zuckeraufgus!, das mit dem Zeiger aus
zwölf Uhr weist. Damit ist die si. Zeit der Zwölften selbst ausgedrückt, die
den Abschluß des alten und den Anfang des neuen Jahres macht; kreisrund
aber ist es geformt, wie auch jenes für die Julnacbt gebackene Nadbrod Ge¬
stalt und Namen (englisch 'WKevler, der Wagner, schweizerisch sinwel. kreis¬
rund) vom Umschwung des Sonnenrades hat. Daß dieses Bäumtibrod zu den
deutschen Hausalterthümern gehört, erweist schon das alte Kochbuch von Marx
Rumpolt, das Fol. 18. das Küchenrecept dazu angiebt*).

Hundert- ja tausendfältig sind nun die Versuche, die man anstellt, um
jene Eine schicksalsschwangcre Minute zu errathen und zu benutzen, auf welche
der Stundenzeiger am Bäumlibrod hinweist, den Wendepunkt der 'Mitternacht;
diesen geheimnisvollen Zeitpunkt richtig zu treffen und zu verwenden, gilt für
eine Kunst von ganz unerschöpflichen Vortheil. Man ist daher die ganze
Nacht über beschäftigt. Im Keller wird der Wein im Faße nachgefüllt, auf
der Kornschütte die Frucht umgestochen, der Vorrat!) der Obstschnitze im Apfct-
trog, des Steinobstes im Zwetschen- und Kirschensäctlcin wird geordnet, die
Körbe im Bienenhäuschen werden gelüpft, und die ganze Nacht durch hört
man drinnen die Bienen singen. Mehre Gebäcke oder Hitzen nach einander
wandern die Nacht über in den Backofen, so daß sich manche Hausfrau ihren
ganzen Brvdbedarf bis auf Ostern hin heute vorausbückr. Da muß ja wohl
auch solches gesegnetes Brod mit drunter sein, das doppelt austrägt und zwie¬
fach ersättigt, dessen Brosamen, in den heiligen Nächten angehet, aufgehen
wie Samenkorn, welches den Heißhunger stillt und das Heimweh vertreibt.
Wer mit solchem Brode dreimal, indessen es Mitternacht schlägt, das Haus
unbeschrien umlaufen kann, dem geht ein jeder rechtgebetete Wunsch in Er¬
füllung. Und wutlich besteht hier und da die förmliche Sitte, baß der Haus¬
vater den frischen Laib Brod und den gefüllten Weinkcug in der Hand Schlag
zwölf Uhr sein Wohnhaus umschreitet, nicht zaudernd, sondern betend und



') Daß dasselbe weite Verbreitung hat, ist einem Inserate der Mg. Augöb, Zeitung
1M0, 26. December zu entnehmen, taut welchem der Hofconditor Meyer zu Berlin "Mesen-
bcnimkuchcn" bis China versendet; sie haben bis 50 Pf. Schwere, ü Fuß Höhe und löste"
bis 30 Reder.

Bedürfnissen und Wünschen, die uns zwischen Mittwinter und Mittsommer be¬
schäftigen werden. In diesem Sinne faßt ihn das aargauer Landvolk auf.
selbst wo es den eigentlichen Christbaum gar nicht kennt; es bäckt einen
Honigzelte» in Baumform und bringt dieses „Bäumlibrod" auf den städtischen
Christmarkt zum Verkaufe. Dasselbe gleicht mit seinem kurzen Baumstamm und
der kreisrunden Baumkrone den vorhin geschilderten Brodrädchen des Svnnen-
wendfestes und trägt überdies an der breiten Stelle des Laubwerkes auch die
„Zeittafel", ein rundes Zifferblatt ans Zuckeraufgus!, das mit dem Zeiger aus
zwölf Uhr weist. Damit ist die si. Zeit der Zwölften selbst ausgedrückt, die
den Abschluß des alten und den Anfang des neuen Jahres macht; kreisrund
aber ist es geformt, wie auch jenes für die Julnacbt gebackene Nadbrod Ge¬
stalt und Namen (englisch 'WKevler, der Wagner, schweizerisch sinwel. kreis¬
rund) vom Umschwung des Sonnenrades hat. Daß dieses Bäumtibrod zu den
deutschen Hausalterthümern gehört, erweist schon das alte Kochbuch von Marx
Rumpolt, das Fol. 18. das Küchenrecept dazu angiebt*).

Hundert- ja tausendfältig sind nun die Versuche, die man anstellt, um
jene Eine schicksalsschwangcre Minute zu errathen und zu benutzen, auf welche
der Stundenzeiger am Bäumlibrod hinweist, den Wendepunkt der 'Mitternacht;
diesen geheimnisvollen Zeitpunkt richtig zu treffen und zu verwenden, gilt für
eine Kunst von ganz unerschöpflichen Vortheil. Man ist daher die ganze
Nacht über beschäftigt. Im Keller wird der Wein im Faße nachgefüllt, auf
der Kornschütte die Frucht umgestochen, der Vorrat!) der Obstschnitze im Apfct-
trog, des Steinobstes im Zwetschen- und Kirschensäctlcin wird geordnet, die
Körbe im Bienenhäuschen werden gelüpft, und die ganze Nacht durch hört
man drinnen die Bienen singen. Mehre Gebäcke oder Hitzen nach einander
wandern die Nacht über in den Backofen, so daß sich manche Hausfrau ihren
ganzen Brvdbedarf bis auf Ostern hin heute vorausbückr. Da muß ja wohl
auch solches gesegnetes Brod mit drunter sein, das doppelt austrägt und zwie¬
fach ersättigt, dessen Brosamen, in den heiligen Nächten angehet, aufgehen
wie Samenkorn, welches den Heißhunger stillt und das Heimweh vertreibt.
Wer mit solchem Brode dreimal, indessen es Mitternacht schlägt, das Haus
unbeschrien umlaufen kann, dem geht ein jeder rechtgebetete Wunsch in Er¬
füllung. Und wutlich besteht hier und da die förmliche Sitte, baß der Haus¬
vater den frischen Laib Brod und den gefüllten Weinkcug in der Hand Schlag
zwölf Uhr sein Wohnhaus umschreitet, nicht zaudernd, sondern betend und



') Daß dasselbe weite Verbreitung hat, ist einem Inserate der Mg. Augöb, Zeitung
1M0, 26. December zu entnehmen, taut welchem der Hofconditor Meyer zu Berlin „Mesen-
bcnimkuchcn" bis China versendet; sie haben bis 50 Pf. Schwere, ü Fuß Höhe und löste»
bis 30 Reder.
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[0507] Bedürfnissen und Wünschen, die uns zwischen Mittwinter und Mittsommer be¬ schäftigen werden. In diesem Sinne faßt ihn das aargauer Landvolk auf. selbst wo es den eigentlichen Christbaum gar nicht kennt; es bäckt einen Honigzelte» in Baumform und bringt dieses „Bäumlibrod" auf den städtischen Christmarkt zum Verkaufe. Dasselbe gleicht mit seinem kurzen Baumstamm und der kreisrunden Baumkrone den vorhin geschilderten Brodrädchen des Svnnen- wendfestes und trägt überdies an der breiten Stelle des Laubwerkes auch die „Zeittafel", ein rundes Zifferblatt ans Zuckeraufgus!, das mit dem Zeiger aus zwölf Uhr weist. Damit ist die si. Zeit der Zwölften selbst ausgedrückt, die den Abschluß des alten und den Anfang des neuen Jahres macht; kreisrund aber ist es geformt, wie auch jenes für die Julnacbt gebackene Nadbrod Ge¬ stalt und Namen (englisch 'WKevler, der Wagner, schweizerisch sinwel. kreis¬ rund) vom Umschwung des Sonnenrades hat. Daß dieses Bäumtibrod zu den deutschen Hausalterthümern gehört, erweist schon das alte Kochbuch von Marx Rumpolt, das Fol. 18. das Küchenrecept dazu angiebt*). Hundert- ja tausendfältig sind nun die Versuche, die man anstellt, um jene Eine schicksalsschwangcre Minute zu errathen und zu benutzen, auf welche der Stundenzeiger am Bäumlibrod hinweist, den Wendepunkt der 'Mitternacht; diesen geheimnisvollen Zeitpunkt richtig zu treffen und zu verwenden, gilt für eine Kunst von ganz unerschöpflichen Vortheil. Man ist daher die ganze Nacht über beschäftigt. Im Keller wird der Wein im Faße nachgefüllt, auf der Kornschütte die Frucht umgestochen, der Vorrat!) der Obstschnitze im Apfct- trog, des Steinobstes im Zwetschen- und Kirschensäctlcin wird geordnet, die Körbe im Bienenhäuschen werden gelüpft, und die ganze Nacht durch hört man drinnen die Bienen singen. Mehre Gebäcke oder Hitzen nach einander wandern die Nacht über in den Backofen, so daß sich manche Hausfrau ihren ganzen Brvdbedarf bis auf Ostern hin heute vorausbückr. Da muß ja wohl auch solches gesegnetes Brod mit drunter sein, das doppelt austrägt und zwie¬ fach ersättigt, dessen Brosamen, in den heiligen Nächten angehet, aufgehen wie Samenkorn, welches den Heißhunger stillt und das Heimweh vertreibt. Wer mit solchem Brode dreimal, indessen es Mitternacht schlägt, das Haus unbeschrien umlaufen kann, dem geht ein jeder rechtgebetete Wunsch in Er¬ füllung. Und wutlich besteht hier und da die förmliche Sitte, baß der Haus¬ vater den frischen Laib Brod und den gefüllten Weinkcug in der Hand Schlag zwölf Uhr sein Wohnhaus umschreitet, nicht zaudernd, sondern betend und ') Daß dasselbe weite Verbreitung hat, ist einem Inserate der Mg. Augöb, Zeitung 1M0, 26. December zu entnehmen, taut welchem der Hofconditor Meyer zu Berlin „Mesen- bcnimkuchcn" bis China versendet; sie haben bis 50 Pf. Schwere, ü Fuß Höhe und löste» bis 30 Reder.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/507>, abgerufen am 03.07.2024.