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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Obwohl die Ansichten von den Werthen und Preisen keinen unmittelbaren Zu¬
sammenhang mit der socialpolitischen Bedeutung Carcys haben, so tonnen wir
doch nicht umhin, zur Ergänzung des Bildes der rein volkswirthschaftlichen Eigen¬
thümlichkeiten unseres Denkers auch jene rein begriffliche Lehre in einigen Zügen
anzudeuten.

Die alte und allgemein herrschende Ansicht vom Werthe der wirthschaft¬
lichen Güter bestand in der Annahme, daß das Bedürfniß des Menschen der
Maßstab des eignen Werthes der Dinge sei, und daß die Preise nichts als Ge-
genbilder der Grade dieses Bedürfnisses vorstellten. Auf diese Weise wurde die
Nützlichkeit oder Brauchbarkeit der wirthschaftlichen Erzeugnisse zum theoretischen
Werth- und Preismesser gemacht. Der Gebrauchswerth sollte im Allgemeinen
die Grundlage des Verkehrswerthes oder Preises sein. Carey trennte nun schon
vor länger als einem Vierteljahrhundert die Nebel dieser Jdeenconfusion. Er
unterschied streng zwischen der unmittelbaren Wertschätzung auf Grund des
Naturbedürsnisses und zwischen der Bestimmung der Verhältnisse von Leistung
und Gegenleistung. Die erstere Rücksicht kommt nur in ganz untergeordneter
Weise in der Preisbestimmung zur Geltung, während die letztere den eigent¬
lichen Maßstab für die wirthschaftliche Werthschätzung abgiebt. Der Werth haf¬
tet nicht an den Eigenschaften der Dinge, sondern bestimmt sich unmittelbar
durch die Abwägung gegenseitiger Dienstleistungen. Er kann daher auch nicht
in einem directen Verhältniß zur Nützlichkeit stehen, sondern wird im Gegentheil
sehr häufig gerade dann hoch sein, wenn die Brauchbarkeit gering ist. Aller
Werth rührt von der menschlichen Thätigkeit und Macht her. Die Naturkräfte
an sich selbst sind nach Careys Ansicht völlig unentgeltlich. Im Verkehr wer¬
den nur Dienstleistungen gegen Dienstleistungen ausgetauscht, wodurch sich, um
hier einmal Bastiats schöne Wendung zu brauchen, "zwar kein Communismus,
aber eine Communität der Natur", d. h. eine allgemeine Antheilnahme an den
Erfolgen der Volkswirtschaft ergiebt.

Diese neue Lehre vom Werthe ist gegen den falschen Socialismus gerich¬
tet, welcher Grundeigenthum und wohl gar auch Capitalbesitz als verwerfliches
Privilegium zur egoistischen Ausbeutung der Naturkräfte ansieht. Doch dürfen
wir nicht unterlassen, zu bemerken, daß diese polemische Seite bei Carey gänz¬
lich zurücktritt, dagegen bei Bastiat, dessen Harmonien direct gegen den Socia¬
lismus und vielfach speciell gegen Proudhon gerichtet sind, die Hauptrolle spielt.
Die Dimensionen der careyschen Anschauungen sind zu groß, um an der Er¬
scheinung des Socialismus besonders zu haften. Er versteht die Aufgabe
der Socialpolitik in einem so hohen Sinne, daß ihm für die abnormen Stö-
rungserscheinungcn, welche neuerdings Frankreich erschütterten, kaum ein Wort
zu verlieren nöthig scheint. Aller geschichtlichen Rückblicke ungeachtet bleiben die
modernen Erscheinungen auf dem Boden Frankreichs fast unberührt. Während


Obwohl die Ansichten von den Werthen und Preisen keinen unmittelbaren Zu¬
sammenhang mit der socialpolitischen Bedeutung Carcys haben, so tonnen wir
doch nicht umhin, zur Ergänzung des Bildes der rein volkswirthschaftlichen Eigen¬
thümlichkeiten unseres Denkers auch jene rein begriffliche Lehre in einigen Zügen
anzudeuten.

Die alte und allgemein herrschende Ansicht vom Werthe der wirthschaft¬
lichen Güter bestand in der Annahme, daß das Bedürfniß des Menschen der
Maßstab des eignen Werthes der Dinge sei, und daß die Preise nichts als Ge-
genbilder der Grade dieses Bedürfnisses vorstellten. Auf diese Weise wurde die
Nützlichkeit oder Brauchbarkeit der wirthschaftlichen Erzeugnisse zum theoretischen
Werth- und Preismesser gemacht. Der Gebrauchswerth sollte im Allgemeinen
die Grundlage des Verkehrswerthes oder Preises sein. Carey trennte nun schon
vor länger als einem Vierteljahrhundert die Nebel dieser Jdeenconfusion. Er
unterschied streng zwischen der unmittelbaren Wertschätzung auf Grund des
Naturbedürsnisses und zwischen der Bestimmung der Verhältnisse von Leistung
und Gegenleistung. Die erstere Rücksicht kommt nur in ganz untergeordneter
Weise in der Preisbestimmung zur Geltung, während die letztere den eigent¬
lichen Maßstab für die wirthschaftliche Werthschätzung abgiebt. Der Werth haf¬
tet nicht an den Eigenschaften der Dinge, sondern bestimmt sich unmittelbar
durch die Abwägung gegenseitiger Dienstleistungen. Er kann daher auch nicht
in einem directen Verhältniß zur Nützlichkeit stehen, sondern wird im Gegentheil
sehr häufig gerade dann hoch sein, wenn die Brauchbarkeit gering ist. Aller
Werth rührt von der menschlichen Thätigkeit und Macht her. Die Naturkräfte
an sich selbst sind nach Careys Ansicht völlig unentgeltlich. Im Verkehr wer¬
den nur Dienstleistungen gegen Dienstleistungen ausgetauscht, wodurch sich, um
hier einmal Bastiats schöne Wendung zu brauchen, „zwar kein Communismus,
aber eine Communität der Natur", d. h. eine allgemeine Antheilnahme an den
Erfolgen der Volkswirtschaft ergiebt.

Diese neue Lehre vom Werthe ist gegen den falschen Socialismus gerich¬
tet, welcher Grundeigenthum und wohl gar auch Capitalbesitz als verwerfliches
Privilegium zur egoistischen Ausbeutung der Naturkräfte ansieht. Doch dürfen
wir nicht unterlassen, zu bemerken, daß diese polemische Seite bei Carey gänz¬
lich zurücktritt, dagegen bei Bastiat, dessen Harmonien direct gegen den Socia¬
lismus und vielfach speciell gegen Proudhon gerichtet sind, die Hauptrolle spielt.
Die Dimensionen der careyschen Anschauungen sind zu groß, um an der Er¬
scheinung des Socialismus besonders zu haften. Er versteht die Aufgabe
der Socialpolitik in einem so hohen Sinne, daß ihm für die abnormen Stö-
rungserscheinungcn, welche neuerdings Frankreich erschütterten, kaum ein Wort
zu verlieren nöthig scheint. Aller geschichtlichen Rückblicke ungeachtet bleiben die
modernen Erscheinungen auf dem Boden Frankreichs fast unberührt. Während


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/49>, abgerufen am 01.07.2024.