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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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schen mußte da geschehen, wo die Natur die geringsten Hemmungen entgegen¬
setzte. Nun liegt aber der fruchtbare Boden in den feuchten, ursprünglich meist
ungesunden und überdies der Entwässerung bedürftigen Niederungen und Flu߬
thälern ; er ist außerdem mit einer üppigen Vegetation bedeckt, deren Wucherung
überwunden werden muß. Diesen Voraussetzungen der Bewältigung des besse¬
ren Bodens sind aber die ersten dünnen Bevölkerungen mit ihrem geringen Maß
von Industrie nicht gewachsen. Der vortheilhafteste Boden ist daher für den
ersten Ansiedler derjenige, welcher sich am leichtesten bearbeiten läßt, nicht aber
der, welcher die meisten Pflanzennährstvsfe enthält. Die Cultur beginnt daher
naturgemäß auf den Bergabhängen und steigt erst allmälig in die Flußthäler
nieder. Aus jenen Abhängen giebt es eine natürliche Entwässerung, die von
der Schwerkraft verrichtet wird; dort braucht der Boden nicht tief aufgewühlt
zu werden, und es genügen daher zu seiner Bearbeitung die unvollkommenen
Werkzeuge der noch in der Kindheit befindlichen Industrie. Wächst nun aber
die Macht des Menschen mit der Dichtigkeit der Bevölkerung und der Combina¬
tion der Arbeitskräfte; werden technische Erfindungen gemacht, welche die Na¬
turkräfte zur Dienstbarkeit nöthigen, so kann nun die vereinigte und künstlich
gesteigerte Macht auch die schwieriger zugänglichen Bvdengattungen der Cultur
unterwerfen und schließlich damit endigen, sogar Sümpfe auszutrocknen und
die der Gesundheit und dem Leben bisher feindlichen Verhältnisse mancher Land¬
striche abzuändern,

Carey weist mit Vorliebe darauf hin, daß die alte und allgemeine Ansicht
eigentlich nur ein Erzeugniß der im Studirzimmer befangenen Speculation ge¬
wesen sei. Er ist stolz darauf, einen wirklichen Erfahrungssatz an die Stelle
eines irrthümlichen Schlusses gesetzt zu haben. Dennoch würde man fehlgreifen,
wenn man Carey für einen Gegner der theoretischen Speculation hielte. Kein
anderer namhafter Schriftsteller ist mit Verallgemeinerungen und mit der An¬
näherung der Social- und der Naturgesetze so kühn vorgegangen, als gerade
Carey.

Die zweite volkswirthschaftliche Aufklärung, durch welche sich unser Ameri¬
kaner schon allein einen Namen gemacht haben würde, hängt bereits enger mit
der speculativen Seite seiner Nachforschungen zusammen. Die kritische Umgestal¬
tung der gemeinen Ansicht über den Grund der Werthbestimmungen der
wirthschaftlichen Dinge ist ein glänzendes Zeugniß für den logischen Sinn ihres
Urhebers. Man kennt diese neue Ansicht vom Werthe in Europa hauptsächlich
nur aus Bastiats Harmonien, in denen sich, wie schon oben gesagt, keine Spur
einer Kenntniß der Schriften des Amerikaners verräth. Die sogenannte Theorie
des Werthes wird daher auch noch heute fast regelmäßig und ausschließlich auf
Bastiat als ihren einzigen Vertreter zurückgeführt, und man kümmert sich bis
jetzt noch nicht sonderlich um die einfachere und kürzere Darstellung Careys.


schen mußte da geschehen, wo die Natur die geringsten Hemmungen entgegen¬
setzte. Nun liegt aber der fruchtbare Boden in den feuchten, ursprünglich meist
ungesunden und überdies der Entwässerung bedürftigen Niederungen und Flu߬
thälern ; er ist außerdem mit einer üppigen Vegetation bedeckt, deren Wucherung
überwunden werden muß. Diesen Voraussetzungen der Bewältigung des besse¬
ren Bodens sind aber die ersten dünnen Bevölkerungen mit ihrem geringen Maß
von Industrie nicht gewachsen. Der vortheilhafteste Boden ist daher für den
ersten Ansiedler derjenige, welcher sich am leichtesten bearbeiten läßt, nicht aber
der, welcher die meisten Pflanzennährstvsfe enthält. Die Cultur beginnt daher
naturgemäß auf den Bergabhängen und steigt erst allmälig in die Flußthäler
nieder. Aus jenen Abhängen giebt es eine natürliche Entwässerung, die von
der Schwerkraft verrichtet wird; dort braucht der Boden nicht tief aufgewühlt
zu werden, und es genügen daher zu seiner Bearbeitung die unvollkommenen
Werkzeuge der noch in der Kindheit befindlichen Industrie. Wächst nun aber
die Macht des Menschen mit der Dichtigkeit der Bevölkerung und der Combina¬
tion der Arbeitskräfte; werden technische Erfindungen gemacht, welche die Na¬
turkräfte zur Dienstbarkeit nöthigen, so kann nun die vereinigte und künstlich
gesteigerte Macht auch die schwieriger zugänglichen Bvdengattungen der Cultur
unterwerfen und schließlich damit endigen, sogar Sümpfe auszutrocknen und
die der Gesundheit und dem Leben bisher feindlichen Verhältnisse mancher Land¬
striche abzuändern,

Carey weist mit Vorliebe darauf hin, daß die alte und allgemeine Ansicht
eigentlich nur ein Erzeugniß der im Studirzimmer befangenen Speculation ge¬
wesen sei. Er ist stolz darauf, einen wirklichen Erfahrungssatz an die Stelle
eines irrthümlichen Schlusses gesetzt zu haben. Dennoch würde man fehlgreifen,
wenn man Carey für einen Gegner der theoretischen Speculation hielte. Kein
anderer namhafter Schriftsteller ist mit Verallgemeinerungen und mit der An¬
näherung der Social- und der Naturgesetze so kühn vorgegangen, als gerade
Carey.

Die zweite volkswirthschaftliche Aufklärung, durch welche sich unser Ameri¬
kaner schon allein einen Namen gemacht haben würde, hängt bereits enger mit
der speculativen Seite seiner Nachforschungen zusammen. Die kritische Umgestal¬
tung der gemeinen Ansicht über den Grund der Werthbestimmungen der
wirthschaftlichen Dinge ist ein glänzendes Zeugniß für den logischen Sinn ihres
Urhebers. Man kennt diese neue Ansicht vom Werthe in Europa hauptsächlich
nur aus Bastiats Harmonien, in denen sich, wie schon oben gesagt, keine Spur
einer Kenntniß der Schriften des Amerikaners verräth. Die sogenannte Theorie
des Werthes wird daher auch noch heute fast regelmäßig und ausschließlich auf
Bastiat als ihren einzigen Vertreter zurückgeführt, und man kümmert sich bis
jetzt noch nicht sonderlich um die einfachere und kürzere Darstellung Careys.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/48>, abgerufen am 01.07.2024.