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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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nein Eingeständnis;, bei diesem Hergange gewinnt, würden die Grundbesitzer
sein. Letztere würden um so größeren Gewinn machen, je fruchtbarer ihr
Besitz im Verhältniß zu den später angebauten Lcindereicn wäre. Nur der In¬
haber der jeweilig zuletzt in Angriff genommenen Bodensorte würde nichts vor
einem gewöhnlichen Kapitalisten voraus haben. Dagegen ergiebt sich sür jeden
Grundherrn, der noch überhaupt einen Hintermann hat, eine eigentliche Boden¬
renke, d. h. ein solcher Ertrag aus dem Preise der Bvdenfrüchte, welcher auf
Rechnung der bloßen Naturvvrzüge zu setzen ist. Denn da die Preise der Noh-
producte völlig unabhängig von dem Umstände ihrer Erzeugung bleiben müssen,
so muß aller Unterschied der Ertragsgröße, welcher auf den Naturvorzügen des
Bodens beruht, dem Grundherrn zu Gute kommen und wird nicht den gering¬
sten Vortheil für den Zuwachs der Bevölkerung, der zur Bebauung des schlech¬
teren Bodens nöthigt, abwerfen. Auf diese Weise steigert sich die Macht des
Grundbesitzes; der Mensch in Masse wird immer abhängiger von der Natur
und muß allmälig in die Sklaverei der Grundherrn gerathen. Denn nur letz¬
tere sind es, deren Macht sich auf Kosten der übrigen socialen Classen fortwäh¬
rend steigern muß.

Schon eine gewöhnliche historische Bemerkung genügt, die äußersten Conse-
quenzen der ricardoschen Ansicht verdächtig zu machen. Im Großen und Gan¬
zen ist der Mensch immer unabhängiger von der Natur und von Seinesgleichen,
d. h. immer freier geworden. Die Zustände der Bodenkncchtschaft, welche den
Horizont des ricardoschen Standpunktes bewölken, sind für den unbefangenen
Historiker die rohen Einleitungsstadien der Cultur. Wie Ricardos Satz, so sind
auch dessen Konsequenzen völlige Umkehrungen des natürlichen Sachverhaltes.
Die Strömung der Geschichte wird umgewendet, die Vergangenheit wird zur
Zukunft, und das ganze menschliche Streben wird als durchaus unharmonisch
mit den Veranstaltungen der Natur aufgefaßt. Diese düsteren und peinlichen
Ansichten sind nun von Carey an ihrer Wurzel angegriffen worden. Der für
den Laien der Volkswirthschaft in der That unscheinbare Satz über den welt¬
geschichtlichen Gang der Besiedelung ist von einem solchen Gewicht, daß durch
ihn ein großer Theil der Octonomistik der englischen Schule aus den Angeln
gehoben wird. Eine Vertheidigung der malthusschcn Lehre, der zufolge zwischen
Bevölkerungszunahme und möglicher Vermehrung der Lebensmittel ein natur¬
gesetzliches Mißverhältnis, besteht, ist kaum mehr mit einigem Scheine möglich.
Denn mit Ricardos Ansicht ist auch das mallhussche Naturgesetz untergraben.

Die von Carey verdrängte Vorstellung war ein Erzeugniß bloßer Schlüsse.
Man meinte, der Mensch werde jederzeit klug genug gewesen sein, den ertrag¬
reichsten Boden zum Gegenstand der ersten Bebauung zu machen. Allein man
Vergaß, daß der Wunsch, mit dem ergiebigsten Acker zu beginnen, auf unüber¬
windliche Hindernisse treffen mußte. Das erste selbstthätige Eingreifen des Mer-


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nein Eingeständnis;, bei diesem Hergange gewinnt, würden die Grundbesitzer
sein. Letztere würden um so größeren Gewinn machen, je fruchtbarer ihr
Besitz im Verhältniß zu den später angebauten Lcindereicn wäre. Nur der In¬
haber der jeweilig zuletzt in Angriff genommenen Bodensorte würde nichts vor
einem gewöhnlichen Kapitalisten voraus haben. Dagegen ergiebt sich sür jeden
Grundherrn, der noch überhaupt einen Hintermann hat, eine eigentliche Boden¬
renke, d. h. ein solcher Ertrag aus dem Preise der Bvdenfrüchte, welcher auf
Rechnung der bloßen Naturvvrzüge zu setzen ist. Denn da die Preise der Noh-
producte völlig unabhängig von dem Umstände ihrer Erzeugung bleiben müssen,
so muß aller Unterschied der Ertragsgröße, welcher auf den Naturvorzügen des
Bodens beruht, dem Grundherrn zu Gute kommen und wird nicht den gering¬
sten Vortheil für den Zuwachs der Bevölkerung, der zur Bebauung des schlech¬
teren Bodens nöthigt, abwerfen. Auf diese Weise steigert sich die Macht des
Grundbesitzes; der Mensch in Masse wird immer abhängiger von der Natur
und muß allmälig in die Sklaverei der Grundherrn gerathen. Denn nur letz¬
tere sind es, deren Macht sich auf Kosten der übrigen socialen Classen fortwäh¬
rend steigern muß.

Schon eine gewöhnliche historische Bemerkung genügt, die äußersten Conse-
quenzen der ricardoschen Ansicht verdächtig zu machen. Im Großen und Gan¬
zen ist der Mensch immer unabhängiger von der Natur und von Seinesgleichen,
d. h. immer freier geworden. Die Zustände der Bodenkncchtschaft, welche den
Horizont des ricardoschen Standpunktes bewölken, sind für den unbefangenen
Historiker die rohen Einleitungsstadien der Cultur. Wie Ricardos Satz, so sind
auch dessen Konsequenzen völlige Umkehrungen des natürlichen Sachverhaltes.
Die Strömung der Geschichte wird umgewendet, die Vergangenheit wird zur
Zukunft, und das ganze menschliche Streben wird als durchaus unharmonisch
mit den Veranstaltungen der Natur aufgefaßt. Diese düsteren und peinlichen
Ansichten sind nun von Carey an ihrer Wurzel angegriffen worden. Der für
den Laien der Volkswirthschaft in der That unscheinbare Satz über den welt¬
geschichtlichen Gang der Besiedelung ist von einem solchen Gewicht, daß durch
ihn ein großer Theil der Octonomistik der englischen Schule aus den Angeln
gehoben wird. Eine Vertheidigung der malthusschcn Lehre, der zufolge zwischen
Bevölkerungszunahme und möglicher Vermehrung der Lebensmittel ein natur¬
gesetzliches Mißverhältnis, besteht, ist kaum mehr mit einigem Scheine möglich.
Denn mit Ricardos Ansicht ist auch das mallhussche Naturgesetz untergraben.

Die von Carey verdrängte Vorstellung war ein Erzeugniß bloßer Schlüsse.
Man meinte, der Mensch werde jederzeit klug genug gewesen sein, den ertrag¬
reichsten Boden zum Gegenstand der ersten Bebauung zu machen. Allein man
Vergaß, daß der Wunsch, mit dem ergiebigsten Acker zu beginnen, auf unüber¬
windliche Hindernisse treffen mußte. Das erste selbstthätige Eingreifen des Mer-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/47>, abgerufen am 01.07.2024.