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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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der Politik zu sein. Wir gehen ohne Zweifel einer Umgestaltung der euro¬
päischen Machtverhältnisse entgegen: die Luft weht scharf wie in dem Zeitalter
der energischesten und rücksichtslosesten Interessenpolitik des achtzehnten Jahrhun¬
derts. Das; gegenwärtig nicht blos Combinationen der Staatsräson sich
gegenübertreten, daß jeder Staat, der seine Bedeutung steigern, ja der auch nur
seine Stelle behaupten will, den vollen Inhalt der in seinem Bereiche pulsiren-
den nationalen Bedürfnisse und Forderungen zur Geltung zu bringen bestrebt
sein muß, mildert nicht (trotz aller Handelsverträge) die Schroffheit der kcimpfen-
den Gegensätze, sondern steigert sie und legt jedem Staate die Pflicht auf, kein
Band anzuknüpfen, durch das er sich in der Verfolgung der aus seinem inner¬
sten Lebensinteresse sich ergebenden Ziele gehindert sehen könnte. Wie ist es da
möglich, daß Preußen, ein Staat, der vor allen andern darauf angewiesen ist,
in jeder großen Krisis seine Lebenskraft zu erproben, sich an die Politik einer
Macht fesseln sollte, die, von dem tiefsten und gerechtfertigtsten Friedensbedürf¬
nisse erfüllt, dock nicht im Stande ist, oder, wo sie es im Stande ist, es nicht
über sich zu gewinnen vermag, sich auf sich selbst zurückzuziehen, die vielmehr
stets darauf gefaßt sein muh, daß sich jedes am politischen Horizonte aufstei¬
gende Gewitter auf sie entlade, die, um ihr lockeres Gefüge nicht völliger Zer¬
trümmerung preiszugeben, zwischen allen Strömungen ängstlich laviren muß,
einer Macht also, deren Entschließungen durch jeden Zufall bedingt und daher
völlig unberechenbar sind. Ein dauerndes Bündniß, wie es die Feudalen wün¬
schen ist unter diesen Umständen unmöglich. Aber schon in dem bloßen Streben
nach einem solchen Bündnisse liegt eine große Gefahr für Preußen. Und leider
kann man sich der Besorgniß nicht entschlagen. daß Schritte in dieser Richtung
werden gethan werden, indem in der Schleswig-holsteinischen Angelegenheit, ob-
schon deren Verlauf im Allgemeinen dem preußischen Interesse entspricht, doch
seit Monaten eine Krisis sich vorbereitet hat, die es Oestreich gestaltet, einen
gewissen Druck auf Preußen auszuüben: Oestreich ist in den Mitbesitz der Herr
zogthümer gelangt, dies ist eine schwerwiegende Thatsache. Es lag daber schon
vor Monaten die Gefahr nahe, daß man auch in Kreisen, die, wie wir glauben,
von der feudalen Austromanie weit entfernt sind, sich dazu entschließen möchte,
Oestreich durch Zugeständnisse in Einem Punkte zur Nachgiebigkeit in anderen
Punkten zu bewegen.

Dagegen läßt sich nun im Allgemeinen nichts einwenden, vorausgesetzt,
daß das Zugeständniß in einem richtigen Verhältnisse zu dem Werthe des
Äquivalents steht. Ist dies nicht der Fall, so wird man versuchen müssen,
durch andere Mittel sich wieder freie Hand zu verschaffen. Sollte das Aeqm-
vcilent nur etwa in der unveränderten Fortdauer des guten Einvernehmens, wel¬
ches Oestreich mindestens ebenso große (wir glauben größere) Vortheile als Preu¬
ßen gewährt, vielleicht in einer Concession in Betreff Lauenburgs bestehen, so


der Politik zu sein. Wir gehen ohne Zweifel einer Umgestaltung der euro¬
päischen Machtverhältnisse entgegen: die Luft weht scharf wie in dem Zeitalter
der energischesten und rücksichtslosesten Interessenpolitik des achtzehnten Jahrhun¬
derts. Das; gegenwärtig nicht blos Combinationen der Staatsräson sich
gegenübertreten, daß jeder Staat, der seine Bedeutung steigern, ja der auch nur
seine Stelle behaupten will, den vollen Inhalt der in seinem Bereiche pulsiren-
den nationalen Bedürfnisse und Forderungen zur Geltung zu bringen bestrebt
sein muß, mildert nicht (trotz aller Handelsverträge) die Schroffheit der kcimpfen-
den Gegensätze, sondern steigert sie und legt jedem Staate die Pflicht auf, kein
Band anzuknüpfen, durch das er sich in der Verfolgung der aus seinem inner¬
sten Lebensinteresse sich ergebenden Ziele gehindert sehen könnte. Wie ist es da
möglich, daß Preußen, ein Staat, der vor allen andern darauf angewiesen ist,
in jeder großen Krisis seine Lebenskraft zu erproben, sich an die Politik einer
Macht fesseln sollte, die, von dem tiefsten und gerechtfertigtsten Friedensbedürf¬
nisse erfüllt, dock nicht im Stande ist, oder, wo sie es im Stande ist, es nicht
über sich zu gewinnen vermag, sich auf sich selbst zurückzuziehen, die vielmehr
stets darauf gefaßt sein muh, daß sich jedes am politischen Horizonte aufstei¬
gende Gewitter auf sie entlade, die, um ihr lockeres Gefüge nicht völliger Zer¬
trümmerung preiszugeben, zwischen allen Strömungen ängstlich laviren muß,
einer Macht also, deren Entschließungen durch jeden Zufall bedingt und daher
völlig unberechenbar sind. Ein dauerndes Bündniß, wie es die Feudalen wün¬
schen ist unter diesen Umständen unmöglich. Aber schon in dem bloßen Streben
nach einem solchen Bündnisse liegt eine große Gefahr für Preußen. Und leider
kann man sich der Besorgniß nicht entschlagen. daß Schritte in dieser Richtung
werden gethan werden, indem in der Schleswig-holsteinischen Angelegenheit, ob-
schon deren Verlauf im Allgemeinen dem preußischen Interesse entspricht, doch
seit Monaten eine Krisis sich vorbereitet hat, die es Oestreich gestaltet, einen
gewissen Druck auf Preußen auszuüben: Oestreich ist in den Mitbesitz der Herr
zogthümer gelangt, dies ist eine schwerwiegende Thatsache. Es lag daber schon
vor Monaten die Gefahr nahe, daß man auch in Kreisen, die, wie wir glauben,
von der feudalen Austromanie weit entfernt sind, sich dazu entschließen möchte,
Oestreich durch Zugeständnisse in Einem Punkte zur Nachgiebigkeit in anderen
Punkten zu bewegen.

Dagegen läßt sich nun im Allgemeinen nichts einwenden, vorausgesetzt,
daß das Zugeständniß in einem richtigen Verhältnisse zu dem Werthe des
Äquivalents steht. Ist dies nicht der Fall, so wird man versuchen müssen,
durch andere Mittel sich wieder freie Hand zu verschaffen. Sollte das Aeqm-
vcilent nur etwa in der unveränderten Fortdauer des guten Einvernehmens, wel¬
ches Oestreich mindestens ebenso große (wir glauben größere) Vortheile als Preu¬
ßen gewährt, vielleicht in einer Concession in Betreff Lauenburgs bestehen, so


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[0454] der Politik zu sein. Wir gehen ohne Zweifel einer Umgestaltung der euro¬ päischen Machtverhältnisse entgegen: die Luft weht scharf wie in dem Zeitalter der energischesten und rücksichtslosesten Interessenpolitik des achtzehnten Jahrhun¬ derts. Das; gegenwärtig nicht blos Combinationen der Staatsräson sich gegenübertreten, daß jeder Staat, der seine Bedeutung steigern, ja der auch nur seine Stelle behaupten will, den vollen Inhalt der in seinem Bereiche pulsiren- den nationalen Bedürfnisse und Forderungen zur Geltung zu bringen bestrebt sein muß, mildert nicht (trotz aller Handelsverträge) die Schroffheit der kcimpfen- den Gegensätze, sondern steigert sie und legt jedem Staate die Pflicht auf, kein Band anzuknüpfen, durch das er sich in der Verfolgung der aus seinem inner¬ sten Lebensinteresse sich ergebenden Ziele gehindert sehen könnte. Wie ist es da möglich, daß Preußen, ein Staat, der vor allen andern darauf angewiesen ist, in jeder großen Krisis seine Lebenskraft zu erproben, sich an die Politik einer Macht fesseln sollte, die, von dem tiefsten und gerechtfertigtsten Friedensbedürf¬ nisse erfüllt, dock nicht im Stande ist, oder, wo sie es im Stande ist, es nicht über sich zu gewinnen vermag, sich auf sich selbst zurückzuziehen, die vielmehr stets darauf gefaßt sein muh, daß sich jedes am politischen Horizonte aufstei¬ gende Gewitter auf sie entlade, die, um ihr lockeres Gefüge nicht völliger Zer¬ trümmerung preiszugeben, zwischen allen Strömungen ängstlich laviren muß, einer Macht also, deren Entschließungen durch jeden Zufall bedingt und daher völlig unberechenbar sind. Ein dauerndes Bündniß, wie es die Feudalen wün¬ schen ist unter diesen Umständen unmöglich. Aber schon in dem bloßen Streben nach einem solchen Bündnisse liegt eine große Gefahr für Preußen. Und leider kann man sich der Besorgniß nicht entschlagen. daß Schritte in dieser Richtung werden gethan werden, indem in der Schleswig-holsteinischen Angelegenheit, ob- schon deren Verlauf im Allgemeinen dem preußischen Interesse entspricht, doch seit Monaten eine Krisis sich vorbereitet hat, die es Oestreich gestaltet, einen gewissen Druck auf Preußen auszuüben: Oestreich ist in den Mitbesitz der Herr zogthümer gelangt, dies ist eine schwerwiegende Thatsache. Es lag daber schon vor Monaten die Gefahr nahe, daß man auch in Kreisen, die, wie wir glauben, von der feudalen Austromanie weit entfernt sind, sich dazu entschließen möchte, Oestreich durch Zugeständnisse in Einem Punkte zur Nachgiebigkeit in anderen Punkten zu bewegen. Dagegen läßt sich nun im Allgemeinen nichts einwenden, vorausgesetzt, daß das Zugeständniß in einem richtigen Verhältnisse zu dem Werthe des Äquivalents steht. Ist dies nicht der Fall, so wird man versuchen müssen, durch andere Mittel sich wieder freie Hand zu verschaffen. Sollte das Aeqm- vcilent nur etwa in der unveränderten Fortdauer des guten Einvernehmens, wel¬ ches Oestreich mindestens ebenso große (wir glauben größere) Vortheile als Preu¬ ßen gewährt, vielleicht in einer Concession in Betreff Lauenburgs bestehen, so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/454>, abgerufen am 22.07.2024.