Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

cipiellen Gegensatz in der europäischen Politik geführt hat, konnte Oestreich doch
keine Bürgschaft für die Zukunft geben. Die Möglichkeit einer derartigen Wen¬
dung der Dinge war bei der Stimmung, die in Preußen gegen Oestreich herrschte,
unzweifelhaft vorhanden. Auch würde es schwerlich an energischen Leitern einer
in den europäischen Fragen Oestreich grundsätzlich feindlichen Politik gefehlt
haben. Während nun in einer so schroffen Gegenstellung die größte Gefahr
liegen würde, die Oestreich überhaupt bedrohen könnte, so giebt ihm gegen¬
wärtig die Aussicht, in Preußen nicht eine" principiellen Gegner zu haben, in
allen europäischen Fragen die lange entbehrte Freiheit des Entschlusses wieder.

Von der Thatsache, daß Oestreich und Preußen eine bedeutende Unterneh¬
mung gemeinschaftlich zu einem guten Ziele geführt haben und daß für beide
Betheiligte aus dem Zusammenwirken gewisse günstige Folgen sich ergeben haben,
bis zu einem principiellen Bündniß, wie es die preußischen Feudalen ersehnen,
liegt aber noch eine weite Kluft. Ein solches Bündniß würde überhaupt nur
unter der Bedingung in Frage kommen können, daß Oestreich förmlich seine
Gegenstellung gegen Preußen in Deutschland aufgäbe. Die Zumuthung eines
solchen Verzichtes würde aber mit derselben Entrüstung zurückgewiesen werden
wie die Aufforderung, den Schwerpunkt der Monarchie nach Pesth zu verlegen,
zurückgewiesen worden ist. Und gesetzt auch den höchst unwahrscheinlichen Fall,
daß der Drang der Umstände Oestreich in nicht ferner Zeit ein derartiges Zu-
geständniß abpreßte, so würde es doch als Gegenleistung fordern, daß Preußen
sich zu einer unbedingten Unterstützung seiner außerdeutschen Politik förm¬
lich und vertragsmäßig verpflichtete. Denn für ein solches Opfer würde ihm
als Aequivalent ein gutes Einvernehmen mit Preußen und die Aussicht, sich
mit demselben von Fall zu Fall verständigen zu tonnen, durchaus nicht genügen.
Auf eine solche Bedingung kann aber Preußen nicht eingehen. Mit welchem
Rechte, zu welchem Zwecke kann denn Preußen eine Leitung der deutschen Po¬
litik fordern? Doch nur. um eine selbständige deutsche Politik zu ermög¬
lichen und die Gefahr zu beseitigen, daß Deutschland entweder zu völliger Passi¬
vität verurtheilt oder als Vasall in auswärtigen Verwicklungen Oestreichs blind¬
lings, ohne selbst irgendeinen Einfluß auf die wiener Politik zu üben, hineinge-
zogen werde. Es wäre nun aber doch in der That ein seltsames Verfahren,
ein Verhältniß zu lösen, um ein anderes zu begründen, das unter andrer Form
und anderem Namen ganz dieselbe Wirkung haben würde, der östreichischen Po¬
litik gegen alle Gefahren ihrer Lage, ja gegen alle Folgen ihrer Fehler und
Mißgriffe auf Kosten Deutschlands Schutz und Sicherheit zu gewähren.

Dazu kommt, daß die allgemeine Lage der Dinge derartigen für alle Fälle
berechneten Allianzen nichts weniger als günstig ist. Die Neigung, durch Dran-
gabe wesentlicher Interessen sich eine verhältnißmäßige Sicherheit zu erkaufen,
hat seit der Auflösung der heiligen Allianz aufgehört das leitende Princip


Grenzboten IV. 18V4, 57

cipiellen Gegensatz in der europäischen Politik geführt hat, konnte Oestreich doch
keine Bürgschaft für die Zukunft geben. Die Möglichkeit einer derartigen Wen¬
dung der Dinge war bei der Stimmung, die in Preußen gegen Oestreich herrschte,
unzweifelhaft vorhanden. Auch würde es schwerlich an energischen Leitern einer
in den europäischen Fragen Oestreich grundsätzlich feindlichen Politik gefehlt
haben. Während nun in einer so schroffen Gegenstellung die größte Gefahr
liegen würde, die Oestreich überhaupt bedrohen könnte, so giebt ihm gegen¬
wärtig die Aussicht, in Preußen nicht eine» principiellen Gegner zu haben, in
allen europäischen Fragen die lange entbehrte Freiheit des Entschlusses wieder.

Von der Thatsache, daß Oestreich und Preußen eine bedeutende Unterneh¬
mung gemeinschaftlich zu einem guten Ziele geführt haben und daß für beide
Betheiligte aus dem Zusammenwirken gewisse günstige Folgen sich ergeben haben,
bis zu einem principiellen Bündniß, wie es die preußischen Feudalen ersehnen,
liegt aber noch eine weite Kluft. Ein solches Bündniß würde überhaupt nur
unter der Bedingung in Frage kommen können, daß Oestreich förmlich seine
Gegenstellung gegen Preußen in Deutschland aufgäbe. Die Zumuthung eines
solchen Verzichtes würde aber mit derselben Entrüstung zurückgewiesen werden
wie die Aufforderung, den Schwerpunkt der Monarchie nach Pesth zu verlegen,
zurückgewiesen worden ist. Und gesetzt auch den höchst unwahrscheinlichen Fall,
daß der Drang der Umstände Oestreich in nicht ferner Zeit ein derartiges Zu-
geständniß abpreßte, so würde es doch als Gegenleistung fordern, daß Preußen
sich zu einer unbedingten Unterstützung seiner außerdeutschen Politik förm¬
lich und vertragsmäßig verpflichtete. Denn für ein solches Opfer würde ihm
als Aequivalent ein gutes Einvernehmen mit Preußen und die Aussicht, sich
mit demselben von Fall zu Fall verständigen zu tonnen, durchaus nicht genügen.
Auf eine solche Bedingung kann aber Preußen nicht eingehen. Mit welchem
Rechte, zu welchem Zwecke kann denn Preußen eine Leitung der deutschen Po¬
litik fordern? Doch nur. um eine selbständige deutsche Politik zu ermög¬
lichen und die Gefahr zu beseitigen, daß Deutschland entweder zu völliger Passi¬
vität verurtheilt oder als Vasall in auswärtigen Verwicklungen Oestreichs blind¬
lings, ohne selbst irgendeinen Einfluß auf die wiener Politik zu üben, hineinge-
zogen werde. Es wäre nun aber doch in der That ein seltsames Verfahren,
ein Verhältniß zu lösen, um ein anderes zu begründen, das unter andrer Form
und anderem Namen ganz dieselbe Wirkung haben würde, der östreichischen Po¬
litik gegen alle Gefahren ihrer Lage, ja gegen alle Folgen ihrer Fehler und
Mißgriffe auf Kosten Deutschlands Schutz und Sicherheit zu gewähren.

Dazu kommt, daß die allgemeine Lage der Dinge derartigen für alle Fälle
berechneten Allianzen nichts weniger als günstig ist. Die Neigung, durch Dran-
gabe wesentlicher Interessen sich eine verhältnißmäßige Sicherheit zu erkaufen,
hat seit der Auflösung der heiligen Allianz aufgehört das leitende Princip


Grenzboten IV. 18V4, 57
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0453" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190077"/>
          <p xml:id="ID_1525" prev="#ID_1524"> cipiellen Gegensatz in der europäischen Politik geführt hat, konnte Oestreich doch<lb/>
keine Bürgschaft für die Zukunft geben. Die Möglichkeit einer derartigen Wen¬<lb/>
dung der Dinge war bei der Stimmung, die in Preußen gegen Oestreich herrschte,<lb/>
unzweifelhaft vorhanden. Auch würde es schwerlich an energischen Leitern einer<lb/>
in den europäischen Fragen Oestreich grundsätzlich feindlichen Politik gefehlt<lb/>
haben. Während nun in einer so schroffen Gegenstellung die größte Gefahr<lb/>
liegen würde, die Oestreich überhaupt bedrohen könnte, so giebt ihm gegen¬<lb/>
wärtig die Aussicht, in Preußen nicht eine» principiellen Gegner zu haben, in<lb/>
allen europäischen Fragen die lange entbehrte Freiheit des Entschlusses wieder.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1526"> Von der Thatsache, daß Oestreich und Preußen eine bedeutende Unterneh¬<lb/>
mung gemeinschaftlich zu einem guten Ziele geführt haben und daß für beide<lb/>
Betheiligte aus dem Zusammenwirken gewisse günstige Folgen sich ergeben haben,<lb/>
bis zu einem principiellen Bündniß, wie es die preußischen Feudalen ersehnen,<lb/>
liegt aber noch eine weite Kluft. Ein solches Bündniß würde überhaupt nur<lb/>
unter der Bedingung in Frage kommen können, daß Oestreich förmlich seine<lb/>
Gegenstellung gegen Preußen in Deutschland aufgäbe. Die Zumuthung eines<lb/>
solchen Verzichtes würde aber mit derselben Entrüstung zurückgewiesen werden<lb/>
wie die Aufforderung, den Schwerpunkt der Monarchie nach Pesth zu verlegen,<lb/>
zurückgewiesen worden ist. Und gesetzt auch den höchst unwahrscheinlichen Fall,<lb/>
daß der Drang der Umstände Oestreich in nicht ferner Zeit ein derartiges Zu-<lb/>
geständniß abpreßte, so würde es doch als Gegenleistung fordern, daß Preußen<lb/>
sich zu einer unbedingten Unterstützung seiner außerdeutschen Politik förm¬<lb/>
lich und vertragsmäßig verpflichtete. Denn für ein solches Opfer würde ihm<lb/>
als Aequivalent ein gutes Einvernehmen mit Preußen und die Aussicht, sich<lb/>
mit demselben von Fall zu Fall verständigen zu tonnen, durchaus nicht genügen.<lb/>
Auf eine solche Bedingung kann aber Preußen nicht eingehen. Mit welchem<lb/>
Rechte, zu welchem Zwecke kann denn Preußen eine Leitung der deutschen Po¬<lb/>
litik fordern? Doch nur. um eine selbständige deutsche Politik zu ermög¬<lb/>
lichen und die Gefahr zu beseitigen, daß Deutschland entweder zu völliger Passi¬<lb/>
vität verurtheilt oder als Vasall in auswärtigen Verwicklungen Oestreichs blind¬<lb/>
lings, ohne selbst irgendeinen Einfluß auf die wiener Politik zu üben, hineinge-<lb/>
zogen werde. Es wäre nun aber doch in der That ein seltsames Verfahren,<lb/>
ein Verhältniß zu lösen, um ein anderes zu begründen, das unter andrer Form<lb/>
und anderem Namen ganz dieselbe Wirkung haben würde, der östreichischen Po¬<lb/>
litik gegen alle Gefahren ihrer Lage, ja gegen alle Folgen ihrer Fehler und<lb/>
Mißgriffe auf Kosten Deutschlands Schutz und Sicherheit zu gewähren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1527" next="#ID_1528"> Dazu kommt, daß die allgemeine Lage der Dinge derartigen für alle Fälle<lb/>
berechneten Allianzen nichts weniger als günstig ist. Die Neigung, durch Dran-<lb/>
gabe wesentlicher Interessen sich eine verhältnißmäßige Sicherheit zu erkaufen,<lb/>
hat seit der Auflösung der heiligen Allianz aufgehört das leitende Princip</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 18V4, 57</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0453] cipiellen Gegensatz in der europäischen Politik geführt hat, konnte Oestreich doch keine Bürgschaft für die Zukunft geben. Die Möglichkeit einer derartigen Wen¬ dung der Dinge war bei der Stimmung, die in Preußen gegen Oestreich herrschte, unzweifelhaft vorhanden. Auch würde es schwerlich an energischen Leitern einer in den europäischen Fragen Oestreich grundsätzlich feindlichen Politik gefehlt haben. Während nun in einer so schroffen Gegenstellung die größte Gefahr liegen würde, die Oestreich überhaupt bedrohen könnte, so giebt ihm gegen¬ wärtig die Aussicht, in Preußen nicht eine» principiellen Gegner zu haben, in allen europäischen Fragen die lange entbehrte Freiheit des Entschlusses wieder. Von der Thatsache, daß Oestreich und Preußen eine bedeutende Unterneh¬ mung gemeinschaftlich zu einem guten Ziele geführt haben und daß für beide Betheiligte aus dem Zusammenwirken gewisse günstige Folgen sich ergeben haben, bis zu einem principiellen Bündniß, wie es die preußischen Feudalen ersehnen, liegt aber noch eine weite Kluft. Ein solches Bündniß würde überhaupt nur unter der Bedingung in Frage kommen können, daß Oestreich förmlich seine Gegenstellung gegen Preußen in Deutschland aufgäbe. Die Zumuthung eines solchen Verzichtes würde aber mit derselben Entrüstung zurückgewiesen werden wie die Aufforderung, den Schwerpunkt der Monarchie nach Pesth zu verlegen, zurückgewiesen worden ist. Und gesetzt auch den höchst unwahrscheinlichen Fall, daß der Drang der Umstände Oestreich in nicht ferner Zeit ein derartiges Zu- geständniß abpreßte, so würde es doch als Gegenleistung fordern, daß Preußen sich zu einer unbedingten Unterstützung seiner außerdeutschen Politik förm¬ lich und vertragsmäßig verpflichtete. Denn für ein solches Opfer würde ihm als Aequivalent ein gutes Einvernehmen mit Preußen und die Aussicht, sich mit demselben von Fall zu Fall verständigen zu tonnen, durchaus nicht genügen. Auf eine solche Bedingung kann aber Preußen nicht eingehen. Mit welchem Rechte, zu welchem Zwecke kann denn Preußen eine Leitung der deutschen Po¬ litik fordern? Doch nur. um eine selbständige deutsche Politik zu ermög¬ lichen und die Gefahr zu beseitigen, daß Deutschland entweder zu völliger Passi¬ vität verurtheilt oder als Vasall in auswärtigen Verwicklungen Oestreichs blind¬ lings, ohne selbst irgendeinen Einfluß auf die wiener Politik zu üben, hineinge- zogen werde. Es wäre nun aber doch in der That ein seltsames Verfahren, ein Verhältniß zu lösen, um ein anderes zu begründen, das unter andrer Form und anderem Namen ganz dieselbe Wirkung haben würde, der östreichischen Po¬ litik gegen alle Gefahren ihrer Lage, ja gegen alle Folgen ihrer Fehler und Mißgriffe auf Kosten Deutschlands Schutz und Sicherheit zu gewähren. Dazu kommt, daß die allgemeine Lage der Dinge derartigen für alle Fälle berechneten Allianzen nichts weniger als günstig ist. Die Neigung, durch Dran- gabe wesentlicher Interessen sich eine verhältnißmäßige Sicherheit zu erkaufen, hat seit der Auflösung der heiligen Allianz aufgehört das leitende Princip Grenzboten IV. 18V4, 57

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/453
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/453>, abgerufen am 03.07.2024.