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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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die thatsächlichen Zustände des Kaiserstaats arg täuschen) mit dem Stande der
östreichischen Industrie und augenblicklich auch der dortigen Finanzen unverein¬
bar; der andere Ausweg würde aber einen Rückschritt des wirthschaftlichen
Wohlstandes im Zollverein bedeuten und die am meisten fortgeschrittenen Ge¬
biete Deutschlands an der Ausführung ihrer ihnen jetzt auf dem Weltmarkte
zufallenden Mission hindern. Die klare Einsicht in die Unmöglichkeit einer
eigentlichen Zolleinigung zwischen Oestreich und dem Zollverein erwächst uns
jedoch nur aus einer aufrichtigen Anerkennung des wohlverstandenen und unter
Umständen durchaus gebotenen Schutzes.

Wir haben bis jetzt den Namen Colberts noch nicht genannt, aber fast
nur von einer Sache geredet, die mit diesem Namen in der engsten Verknüpfung
steht. "Colberts Handelspolitik" und "wohlverstandener Jndustrieschutz" sind gleich
bedeutende Ausdrücke. Man kann die Lehre vom Zollschutz nicht abhandeln,
ohne des großen Mannes zu gedenken, dessen praktisches Genie ein glänzendes
Beispiel der wohlthätigen Folgen umsichtiger und auf die Schöpfung eines
einheimischen Marktes gerichteter Politik gegeben hat. Der Theoretiker wie der
Praktiker sind gleichmäßig an den Namen Colbert gewiesen; es kann keine
gründliche Abhandlung einer nationalen Handelspolitik geben, die jenem Na¬
men nicht ihren Tribut zollen müßte. Der große französische Minister hat un¬
ter den ungünstigsten Umständen eine gewaltige Reform der Wirthschaft seines
Landes unternommen, und erwürbe der ein Jahrhundert später erfolgten großen
Revolution vorgebeugt haben, wenn nicht eine dem religiösen Fanatismus er¬
gebene Politik sein Werk zum Theil wieder zerstört hätte. Colberts Name
wird selbst von solchen Schriftstellern mit Hochachtung genannt, welche sich
offen zu der Handelsfreiheit der englischen Schule bekennen. Ein Blanqui, der
sich sonst darin gefällt, gerade die hohlsten Gemeinplätze des englischen Systems
declamatorisch vorzutragen und die bekannten Phrasen, in denen man eine ober¬
flächliche Auffassung Adam Smiths auszudrücken pflegt, bis zur Ermüdung zu
wiederholen, -- selbst dieser Geschichtsschreiber der politischen Oekonomie kann
nicht umhin, die Consequenzen der colbertschen Praxis zu bewundern und in
jenem Minister Ludwig des Vierzehnten den Urheber des guten Standes der
französischen Industrie anzuerkennen. Friedrich Lifts Urtheil über Colbert wollen
wir hier ganz aus dem Spiele lassen; denn es wird denen nichts gelten, die
den originellen Denker und Begründer des Zollvereins entweder gar nicht
oder nur nach der gewöhnlichen Schulüberlieferung kennen. Außerdem würde
es auch denen verdächtig sein, die in der Anerkennung, welche von dem deut¬
schen Vertheidiger des Schutzzolles ausgeht, nur die Sympathie eines Gesin¬
nungsgenossen erblicken. Es ist wahr, List hätte der deutsche Colbert werden
können und sein Urtheil mag daher, so sonderbar sich der Grund auch aus¬
nehmen mag, als der Congenialität verdächtig, auf sich beruhen bleiben. Doch


die thatsächlichen Zustände des Kaiserstaats arg täuschen) mit dem Stande der
östreichischen Industrie und augenblicklich auch der dortigen Finanzen unverein¬
bar; der andere Ausweg würde aber einen Rückschritt des wirthschaftlichen
Wohlstandes im Zollverein bedeuten und die am meisten fortgeschrittenen Ge¬
biete Deutschlands an der Ausführung ihrer ihnen jetzt auf dem Weltmarkte
zufallenden Mission hindern. Die klare Einsicht in die Unmöglichkeit einer
eigentlichen Zolleinigung zwischen Oestreich und dem Zollverein erwächst uns
jedoch nur aus einer aufrichtigen Anerkennung des wohlverstandenen und unter
Umständen durchaus gebotenen Schutzes.

Wir haben bis jetzt den Namen Colberts noch nicht genannt, aber fast
nur von einer Sache geredet, die mit diesem Namen in der engsten Verknüpfung
steht. „Colberts Handelspolitik" und „wohlverstandener Jndustrieschutz" sind gleich
bedeutende Ausdrücke. Man kann die Lehre vom Zollschutz nicht abhandeln,
ohne des großen Mannes zu gedenken, dessen praktisches Genie ein glänzendes
Beispiel der wohlthätigen Folgen umsichtiger und auf die Schöpfung eines
einheimischen Marktes gerichteter Politik gegeben hat. Der Theoretiker wie der
Praktiker sind gleichmäßig an den Namen Colbert gewiesen; es kann keine
gründliche Abhandlung einer nationalen Handelspolitik geben, die jenem Na¬
men nicht ihren Tribut zollen müßte. Der große französische Minister hat un¬
ter den ungünstigsten Umständen eine gewaltige Reform der Wirthschaft seines
Landes unternommen, und erwürbe der ein Jahrhundert später erfolgten großen
Revolution vorgebeugt haben, wenn nicht eine dem religiösen Fanatismus er¬
gebene Politik sein Werk zum Theil wieder zerstört hätte. Colberts Name
wird selbst von solchen Schriftstellern mit Hochachtung genannt, welche sich
offen zu der Handelsfreiheit der englischen Schule bekennen. Ein Blanqui, der
sich sonst darin gefällt, gerade die hohlsten Gemeinplätze des englischen Systems
declamatorisch vorzutragen und die bekannten Phrasen, in denen man eine ober¬
flächliche Auffassung Adam Smiths auszudrücken pflegt, bis zur Ermüdung zu
wiederholen, — selbst dieser Geschichtsschreiber der politischen Oekonomie kann
nicht umhin, die Consequenzen der colbertschen Praxis zu bewundern und in
jenem Minister Ludwig des Vierzehnten den Urheber des guten Standes der
französischen Industrie anzuerkennen. Friedrich Lifts Urtheil über Colbert wollen
wir hier ganz aus dem Spiele lassen; denn es wird denen nichts gelten, die
den originellen Denker und Begründer des Zollvereins entweder gar nicht
oder nur nach der gewöhnlichen Schulüberlieferung kennen. Außerdem würde
es auch denen verdächtig sein, die in der Anerkennung, welche von dem deut¬
schen Vertheidiger des Schutzzolles ausgeht, nur die Sympathie eines Gesin¬
nungsgenossen erblicken. Es ist wahr, List hätte der deutsche Colbert werden
können und sein Urtheil mag daher, so sonderbar sich der Grund auch aus¬
nehmen mag, als der Congenialität verdächtig, auf sich beruhen bleiben. Doch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/412>, abgerufen am 01.07.2024.