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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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jeweilige Theorie gegeben werden. Das edle England, dessen große Inten¬
tionen und hohe Unparteilichkeit wir ja fortwährend aus seiner Stellung zu
dem dänischen Streit und aus seinem mit dänischen Gelde gekauften Journalen
zu studiren Gelegenheit haben. -- das edle England und sein edler, der
Cäsareodemokratie ergebener Schahkanzler mögen sehr entrüstet sein, wenn
"einige Colonien, die sich seine Kolonien nennen", ihre Freiheit auch einmal
gebrauchen mochten, um sich eine eigene Industrie zu schaffen. Das "veraltete
Schutzsystem" gehört natürlich nach englischer Anschauung in die Rumpelkammer
der überwundenen Standpunkte und der einstigen Irrthümer der Menschheit und
sogar der Briten selbst. Die britische Industrie ist durch Schutzmaßregeln, ja
noch mehr, sie ist durch mancherlei Ausschließungen und Absperrungen sowie
durch kolossale Beschränkungen der fremden Concurrenz (man denke nur an die
Navigationsactc) groß geworden und erstarkt; für sie wie für alle auf einen
gleichen oder nahezu gleichen Standpunkt gelangten Nationen, zu denen sich
das zollvereintc Deutschland wohl auch schon rechnen mag, ist allerdings das
Schutzsystem veraltet. Allein es ist es nicht für die Welt. Es ist keine falsche
Theorie, die etwa jetzt mit einer bessern vertauscht wäre, sondern es bat zu
jeder Zeit die Bedeutung einer theoretischen Wahrkeit gehabt, und nur die
Voraussetzungen seiner Anwendbarkeit sind das Veränderliche. Das Schutz¬
system ist, von ungehörigen Anwendungen abgesehen, nie ein Irrthum gewesen,
über den man wie über erste falsche Auffassungen durch bessere Erfahrung und
Einsicht hinausgekommen wäre. Es gehört nicht in die Kategorie der wissen¬
schaftlich überwundenen Standpunkte, sondern hat seine Bedeutung für die
praktische Handelspolitik unverändert behalten. Bringt es auch die Natur der
Sachlage mit sich, daß Völker von gleicher industrieller Kraft aufhören. ihren
Verkehr durch unnütze Zvllbarrikaden zu hemmen, so wird doch die Handels¬
politik eben dieser Völker, sobald sie im Gebiete dritter, zurückgebliebener Ge¬
meinwesen in Concurrenz geräth, die Grundsätze des Schutzsystems sehr ernstlich
beachten müssen, wenn sie im eigenen wohlverstandenen Interesse. welches auch
in der Richtung der Humanität und Freiheit liegt, verfahren will. So ideo¬
logisch es klingen mag: die Rücksicht aus die Schutzbedürftigkeit fremder In¬
dustrien wird oft einzig und allein die Wege einer heilsamen eigenen Handels¬
politik weisen können. Man wird oft besser als der fremde Staat selbst erkennen.
Was ihm möglich und nicht möglich sei. Man wird sich daher nicht auf Verträge
einlassen, deren möglicher Inhalt nur eine nach beiden Seiten verfehlte Alter¬
native sein kann. So würde z. B. die Zolleinigung zwischen Oestreich und
dem Zollverein für einen der contrahirenden Theile in jedem Fall verderblich
sein müssen. Denn sie ist nur ausführbar, wenn Oestreich zur Handelsfreiheit
übergeht, oder wenn der Zollverein zum Schutzsystem zurückkehrt und dasselbe
Wohl gar noch steigert. Erstere Auskunft scheint (wir müßten uns denn über


jeweilige Theorie gegeben werden. Das edle England, dessen große Inten¬
tionen und hohe Unparteilichkeit wir ja fortwährend aus seiner Stellung zu
dem dänischen Streit und aus seinem mit dänischen Gelde gekauften Journalen
zu studiren Gelegenheit haben. — das edle England und sein edler, der
Cäsareodemokratie ergebener Schahkanzler mögen sehr entrüstet sein, wenn
„einige Colonien, die sich seine Kolonien nennen", ihre Freiheit auch einmal
gebrauchen mochten, um sich eine eigene Industrie zu schaffen. Das „veraltete
Schutzsystem" gehört natürlich nach englischer Anschauung in die Rumpelkammer
der überwundenen Standpunkte und der einstigen Irrthümer der Menschheit und
sogar der Briten selbst. Die britische Industrie ist durch Schutzmaßregeln, ja
noch mehr, sie ist durch mancherlei Ausschließungen und Absperrungen sowie
durch kolossale Beschränkungen der fremden Concurrenz (man denke nur an die
Navigationsactc) groß geworden und erstarkt; für sie wie für alle auf einen
gleichen oder nahezu gleichen Standpunkt gelangten Nationen, zu denen sich
das zollvereintc Deutschland wohl auch schon rechnen mag, ist allerdings das
Schutzsystem veraltet. Allein es ist es nicht für die Welt. Es ist keine falsche
Theorie, die etwa jetzt mit einer bessern vertauscht wäre, sondern es bat zu
jeder Zeit die Bedeutung einer theoretischen Wahrkeit gehabt, und nur die
Voraussetzungen seiner Anwendbarkeit sind das Veränderliche. Das Schutz¬
system ist, von ungehörigen Anwendungen abgesehen, nie ein Irrthum gewesen,
über den man wie über erste falsche Auffassungen durch bessere Erfahrung und
Einsicht hinausgekommen wäre. Es gehört nicht in die Kategorie der wissen¬
schaftlich überwundenen Standpunkte, sondern hat seine Bedeutung für die
praktische Handelspolitik unverändert behalten. Bringt es auch die Natur der
Sachlage mit sich, daß Völker von gleicher industrieller Kraft aufhören. ihren
Verkehr durch unnütze Zvllbarrikaden zu hemmen, so wird doch die Handels¬
politik eben dieser Völker, sobald sie im Gebiete dritter, zurückgebliebener Ge¬
meinwesen in Concurrenz geräth, die Grundsätze des Schutzsystems sehr ernstlich
beachten müssen, wenn sie im eigenen wohlverstandenen Interesse. welches auch
in der Richtung der Humanität und Freiheit liegt, verfahren will. So ideo¬
logisch es klingen mag: die Rücksicht aus die Schutzbedürftigkeit fremder In¬
dustrien wird oft einzig und allein die Wege einer heilsamen eigenen Handels¬
politik weisen können. Man wird oft besser als der fremde Staat selbst erkennen.
Was ihm möglich und nicht möglich sei. Man wird sich daher nicht auf Verträge
einlassen, deren möglicher Inhalt nur eine nach beiden Seiten verfehlte Alter¬
native sein kann. So würde z. B. die Zolleinigung zwischen Oestreich und
dem Zollverein für einen der contrahirenden Theile in jedem Fall verderblich
sein müssen. Denn sie ist nur ausführbar, wenn Oestreich zur Handelsfreiheit
übergeht, oder wenn der Zollverein zum Schutzsystem zurückkehrt und dasselbe
Wohl gar noch steigert. Erstere Auskunft scheint (wir müßten uns denn über


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/411>, abgerufen am 29.06.2024.