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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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jeweiligen Zustände ein, !um nicht, so heilsam sie auch im weiteren Verlauf
sein würden, von einem besonnenen Politiker gern gemieden zu werden.

Die Gegenwart ist vorherrschend von handelspolitischen Fragen durchkreuzt;
allein die nächste Zukunft wird uns außer dem Interesse, welches die Folgen
der neuen Einrichtungen darbieten werden, "och manche sehr verwickelte Auf¬
gabe stellen. Schon lange beschäftigen uns die Bemühungen Oestreichs, seinem
künstigen Verhältniß zum Zollverein eine bestimmte Gestalt zu geben. Der
ganze handelspolitische Streit, der sich über den deutsch-französischen Vertrag
erhoben und über die Gebühr hingeschleppt hat, ist von den östreichischen Inter¬
essen geschürt worden. Auch jetzt, da alle Aussicht aus Erfolg gegen den
deutsch-französischen Vertrag abgeschnitten ist, giebt die zähe Politik des Kaiser¬
staates ihre Sache noch nicht auf, denkt vielmehr schon ein Dutzend Jahre
hinaus und bemüht sich, wiederum die bekannte Clausel eines sogenannten
Rechtes aus Zolleinigung in dem mit dem Zollverein neu abzuschließenden
Vertrage zu sichern. Um in diesen Verwicklungen einen sicher orientirenden
Compaß zu haben, kann man sich unmöglich auf die Principien der Handels¬
freiheit einschränken. Atari muß die Handelspolitik aus einem freieren und
weniger schablonenmähigen Gesichtspunkte betrachten. Man muß sich vor der
vielleicht wohlberechneten, vielleicht aber auch bisweilen in gutem Glauben und
mit simpler Naivetät entwickelten Anschauungsweise englischer Staatsmänner
ein wenig i" Acht nehmen. Das Labyrinth der Handelspolitik fordert einen
anderen Ariadnefaden als die britische Formel einer blos negativen und
schablonenmäßigen Handelsfreiheit. Wenn also neulich der englische Schatzkanzler
Gladstone in Liverpool äußerte, einige Colonie" wollten die ihnen gewährte
Freiheit zur Einführung eines "veralteten Schutzsystems" benutzen und die
Industrie des Insclreiches auf ihren Märkten beschränken, so sehen wir in der
ganzen Art und Weise jenes für die Zukunft Englands vielleicht einst sehr be¬
deutsamen Staatsmannes einen theoretischen Fingerzeig von unschätzbarem Werth.
Wird auch unser neuer Handelsvertrag von der ganzen Frage des Schutzes
nicht berührt und ist auch unsere Industrie durchschnittlich wohl hinreichend er¬
starkt, um für alle Zeit des Schutzes entbehren zu können, so dürfen wir doch
die Grundsätze, die uns leiten, nicht als im Osten und Norden maßgebend
voraussetzen. Wollten wir mit dem englischen Finanzminister ganz einfach von
einem "veralteten Schutzsystem" reden, so würden wir uns selbst eine richtige
Einsicht in die Verhältnisse des Welthandels und der Weltindustrie abschneiden.
Wir würden den Compaß verlieren, der uns im Gebiet der Handelspolitik
anderer Völker leiten kann. Wir würden weder das Benehmen der minder
fortgeschrittenen Staaten noch derjenigen Macht, welche bisher die industrielle
Suprematie ausgeübt hat, gehörig begreifen.

Die Instincte sind oft richtiger, als die Auslegungen, die ihnen durch die


jeweiligen Zustände ein, !um nicht, so heilsam sie auch im weiteren Verlauf
sein würden, von einem besonnenen Politiker gern gemieden zu werden.

Die Gegenwart ist vorherrschend von handelspolitischen Fragen durchkreuzt;
allein die nächste Zukunft wird uns außer dem Interesse, welches die Folgen
der neuen Einrichtungen darbieten werden, »och manche sehr verwickelte Auf¬
gabe stellen. Schon lange beschäftigen uns die Bemühungen Oestreichs, seinem
künstigen Verhältniß zum Zollverein eine bestimmte Gestalt zu geben. Der
ganze handelspolitische Streit, der sich über den deutsch-französischen Vertrag
erhoben und über die Gebühr hingeschleppt hat, ist von den östreichischen Inter¬
essen geschürt worden. Auch jetzt, da alle Aussicht aus Erfolg gegen den
deutsch-französischen Vertrag abgeschnitten ist, giebt die zähe Politik des Kaiser¬
staates ihre Sache noch nicht auf, denkt vielmehr schon ein Dutzend Jahre
hinaus und bemüht sich, wiederum die bekannte Clausel eines sogenannten
Rechtes aus Zolleinigung in dem mit dem Zollverein neu abzuschließenden
Vertrage zu sichern. Um in diesen Verwicklungen einen sicher orientirenden
Compaß zu haben, kann man sich unmöglich auf die Principien der Handels¬
freiheit einschränken. Atari muß die Handelspolitik aus einem freieren und
weniger schablonenmähigen Gesichtspunkte betrachten. Man muß sich vor der
vielleicht wohlberechneten, vielleicht aber auch bisweilen in gutem Glauben und
mit simpler Naivetät entwickelten Anschauungsweise englischer Staatsmänner
ein wenig i» Acht nehmen. Das Labyrinth der Handelspolitik fordert einen
anderen Ariadnefaden als die britische Formel einer blos negativen und
schablonenmäßigen Handelsfreiheit. Wenn also neulich der englische Schatzkanzler
Gladstone in Liverpool äußerte, einige Colonie» wollten die ihnen gewährte
Freiheit zur Einführung eines „veralteten Schutzsystems" benutzen und die
Industrie des Insclreiches auf ihren Märkten beschränken, so sehen wir in der
ganzen Art und Weise jenes für die Zukunft Englands vielleicht einst sehr be¬
deutsamen Staatsmannes einen theoretischen Fingerzeig von unschätzbarem Werth.
Wird auch unser neuer Handelsvertrag von der ganzen Frage des Schutzes
nicht berührt und ist auch unsere Industrie durchschnittlich wohl hinreichend er¬
starkt, um für alle Zeit des Schutzes entbehren zu können, so dürfen wir doch
die Grundsätze, die uns leiten, nicht als im Osten und Norden maßgebend
voraussetzen. Wollten wir mit dem englischen Finanzminister ganz einfach von
einem „veralteten Schutzsystem" reden, so würden wir uns selbst eine richtige
Einsicht in die Verhältnisse des Welthandels und der Weltindustrie abschneiden.
Wir würden den Compaß verlieren, der uns im Gebiet der Handelspolitik
anderer Völker leiten kann. Wir würden weder das Benehmen der minder
fortgeschrittenen Staaten noch derjenigen Macht, welche bisher die industrielle
Suprematie ausgeübt hat, gehörig begreifen.

Die Instincte sind oft richtiger, als die Auslegungen, die ihnen durch die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/410>, abgerufen am 26.06.2024.