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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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straße in Posen, hatte der heftig herabströmende Regen der letzten Wochen ein
Bild hervortreten lassen, in dem die Menge einen Crucifixus oder eine Madonna
zu erkennen meinte. Die ungläubige Welt theilte sich; die Einen erklärten, es habe
da vor alten Zeiten ein Bild gestanden, das sei von späteren Besitzern übcrkalkt
worden und trete nun in der Aera der Palimpseste wieder hervor. Andere sind
nüchterner noch und mythisiren den Hergang-, eine vollständig formlose nasse
Fläche habe den erregten Gemüthern das vor die Augen gestellt, was zu glau¬
ben ihr Gemüth nur allzubereit war. Die Polen nämlich verbreiteten, es er¬
scheine dieses Bild zum Gerichte über die ungläubige polcnfeindlichc Stadt; es
zeuge dieses Zeichen für Polens gute Sache, es verkündige das nahe Verder¬
ben seiner Feinde. Geistliche förderten diesen Glauben; keiner that etwas, um
ihm zu begegnen. Schaarenweis strömte das Boll am Abend zur Wunder¬
stätte. Es wurde Zyje Polska gerufen und allerlei Unfug getrieben, wie er
bei Aufläufen vorkömmt. Die Polizei, an deren Spitze jetzt der Landrath des
kvstener Kreises von Madai stellvertretend steht, weil Herr v. Bärensprung in
Berlin als Zeuge zu fungiren hat, ließ bei Nacht den Palimpsest wieder ver¬
nichten. Aber nun gaben die übertünchten Wände erst rechten Anlaß zu einer
Aufregung, wie sie in den schlimmsten Tagen des vorigen Jahres in Posen
nicht zu spüren war, und der Abend fand einen noch stärkeren Auflauf vor der
Stätte des Wunders. Bei diesem will man auch einige Geistliche bemerkt ha¬
ben und nach der Posner Zeitung ist deren einer verhaftet worden. Ein Bös¬
williger lenkte die Aufmerksamkeit auf eine andre Stelle des Hauses, an welcher
etwas Nässe zurückgeblieben war. Dort sei ein Omega zu sehen. Das war
leicht zu glauben, denn mit Ausnahme der Herren Pröbste, die natürlich das
Griechische lesen, schreiben, reden, wußte kein Anwesender, wie ein richtiges
Omega aufzusehn hat. Das vorhandnc hat die Gemüther der Art erhitzt, daß
sich die Sicherhcitsbehörde zu scharfen Mitteln, namentlich auch zu einigen Ver¬
haftungen genöthigt sah, um groben Excessen vorzubeugen. Am andern Tage
wurde das Tumullgesetz publicirt und die versuchte Ruhestörung des dritten
Abends gehindert. Es war viel gewonnen: ein offenbares, von Tausenden
gesehncs Wunder zum Zeugniß für die heilige Sache, ein neues Martyrium
Einzelner, der verhafteten Störenfriede, und ein thätlicher Angriff der preu¬
ßischen Verwaltung wider den katholischen Glauben. Wie zu denken ist, ma¬
chen denn polnische Kanzeln und andre Agitationsvrtc gutes Capital aus der
Sache. Natürlich' haben gute deutsche Blätter den Polen diesen Beweis der
tiefen Unbildung des Volkes vorgehalten; sie darauf gewiesen, daß solche Fälle
die Ziele derer zeigen, von denen sich die Polen mißbrauchen lassen; aber
Dziennik Poznanski sagt, man dürfe das Volt nicht zu Philosophen erziehen,
womit sich die Kreuzzeitung einverstanden erklärt hat. Mit dieser Huldigung
des Dziennik vor den Grundsätzen seiner Feindin hätte die polnische Affaire


straße in Posen, hatte der heftig herabströmende Regen der letzten Wochen ein
Bild hervortreten lassen, in dem die Menge einen Crucifixus oder eine Madonna
zu erkennen meinte. Die ungläubige Welt theilte sich; die Einen erklärten, es habe
da vor alten Zeiten ein Bild gestanden, das sei von späteren Besitzern übcrkalkt
worden und trete nun in der Aera der Palimpseste wieder hervor. Andere sind
nüchterner noch und mythisiren den Hergang-, eine vollständig formlose nasse
Fläche habe den erregten Gemüthern das vor die Augen gestellt, was zu glau¬
ben ihr Gemüth nur allzubereit war. Die Polen nämlich verbreiteten, es er¬
scheine dieses Bild zum Gerichte über die ungläubige polcnfeindlichc Stadt; es
zeuge dieses Zeichen für Polens gute Sache, es verkündige das nahe Verder¬
ben seiner Feinde. Geistliche förderten diesen Glauben; keiner that etwas, um
ihm zu begegnen. Schaarenweis strömte das Boll am Abend zur Wunder¬
stätte. Es wurde Zyje Polska gerufen und allerlei Unfug getrieben, wie er
bei Aufläufen vorkömmt. Die Polizei, an deren Spitze jetzt der Landrath des
kvstener Kreises von Madai stellvertretend steht, weil Herr v. Bärensprung in
Berlin als Zeuge zu fungiren hat, ließ bei Nacht den Palimpsest wieder ver¬
nichten. Aber nun gaben die übertünchten Wände erst rechten Anlaß zu einer
Aufregung, wie sie in den schlimmsten Tagen des vorigen Jahres in Posen
nicht zu spüren war, und der Abend fand einen noch stärkeren Auflauf vor der
Stätte des Wunders. Bei diesem will man auch einige Geistliche bemerkt ha¬
ben und nach der Posner Zeitung ist deren einer verhaftet worden. Ein Bös¬
williger lenkte die Aufmerksamkeit auf eine andre Stelle des Hauses, an welcher
etwas Nässe zurückgeblieben war. Dort sei ein Omega zu sehen. Das war
leicht zu glauben, denn mit Ausnahme der Herren Pröbste, die natürlich das
Griechische lesen, schreiben, reden, wußte kein Anwesender, wie ein richtiges
Omega aufzusehn hat. Das vorhandnc hat die Gemüther der Art erhitzt, daß
sich die Sicherhcitsbehörde zu scharfen Mitteln, namentlich auch zu einigen Ver¬
haftungen genöthigt sah, um groben Excessen vorzubeugen. Am andern Tage
wurde das Tumullgesetz publicirt und die versuchte Ruhestörung des dritten
Abends gehindert. Es war viel gewonnen: ein offenbares, von Tausenden
gesehncs Wunder zum Zeugniß für die heilige Sache, ein neues Martyrium
Einzelner, der verhafteten Störenfriede, und ein thätlicher Angriff der preu¬
ßischen Verwaltung wider den katholischen Glauben. Wie zu denken ist, ma¬
chen denn polnische Kanzeln und andre Agitationsvrtc gutes Capital aus der
Sache. Natürlich' haben gute deutsche Blätter den Polen diesen Beweis der
tiefen Unbildung des Volkes vorgehalten; sie darauf gewiesen, daß solche Fälle
die Ziele derer zeigen, von denen sich die Polen mißbrauchen lassen; aber
Dziennik Poznanski sagt, man dürfe das Volt nicht zu Philosophen erziehen,
womit sich die Kreuzzeitung einverstanden erklärt hat. Mit dieser Huldigung
des Dziennik vor den Grundsätzen seiner Feindin hätte die polnische Affaire


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/40>, abgerufen am 01.07.2024.