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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Und dennoch -- der alte Hegel hatte Recht: "das Einzige, was aus der
Geschichte gelernt werden könne, sei, daß niemals jemand aus der Geschichte
gelernt habe." Das Wort hat sich an den Polen von neuem aufs bitterste bestätigt.
Hunderte der ihrigen und gewiß nicht die Schlechtesten sind gefänglich eingezogen;
die besten Güter stehen unter Sequestration, das Land ist ausgesogen, eine große
Zahl von Familien trägt das Trauerkleid, mit dem sie vordem eine über¬
müthige Comödie gespielt haben, nun"wirklich in tiefem Leide; das Gymnasium
zu Trzemcszno ist aufgelöst, das prächtige Seminargebäude in Exin, in der libe¬
ralsten Weise hergerichtet, vollständig ausgestattet, hat den Polen nicht über¬
geben werden können. Dabei ist die Nation in sich zerfallen, arg veruneinigt;
aus ihrer eignen Mitte gehn beständig Denunciationen bei den Polizeibehörden,
den Staatsanwaltschaften und den Commissaren des Staatsgerichtshoss ein und
wollten sie indiscret sein, so würden die Polen vollends an sich irre werden.
Man sollte meinen, das sei Elend genug; aber sie sind nicht ermüdet, sondern
greifen wieder zu den Waffen, mit denen sie vor 1863 gekämpft haben.

Wir haben mehre sehr schlagende Beispiele im Sinne. Das eine betraf
die Wahl des Bürgermeisters in Posen. Unter Ausschluß all der Rücksichten,
durch welche sich jetzt die städtischen Wahlkörper bisweilen verleiten lassen, bei
der Besetzung ihrer wichtigsten Stellen einseitig den Parteistandpunkt gelten zu
lassen, ersah sich die posener Stadtverordnetenversammlung in dem Kreisrich¬
ter Kohicis aus Goflyn einen Mann, dessen Vergangenheit nach jeder Seite
hin die besten Garantien für seine Amtsführung bot. Seine liberale Gesin¬
nung wie sein im Justizdicnst geschulter Charakter ließen die Polen von ihm
eine unparteiische Verwaltung ihrer Angelegenheiten erwarten. Sie kannten ihre
Zahl im Collegium; sie war Minorität; auch ein Compromiß mit gesinnungs¬
losen Deutschen -- Andre compromittiren nicht mit den Polen -- bot ihnen
keine Hoffnung; obenein würde die aus solchem hervorgegangene Wahl niemals
die Bestätigung der Negierung erlangt haben. Trotzdem widerstrebten sie der
Wahl nicht nur auf das Heftigste, sondern sie wandten ihr Lieblingsmittel des
Persönlichen Angriffs mit solchem Feuer an, daß sich Kohleis veranlaßt fand,
abzulehnen und erst die wiederholte Wahl auf dringendes Zureden annahm. --
Eine andre Geschichte, welche in Posen böses Blut machte, war die Nicht-
bestätigung des Pfarrers Amman. Der Magistrat von Posen übertrug eine ka¬
tholische Pfarrstelle, welche unter dem Patrocinium der Stadt steht, einem als
treuen Seelsorger und guten Prediger wohlbekannten Manne, welcher obenein
als Vicar seines Bruders, der die Stelle bisher innehatte, mit den Verhält¬
nissen derselben nahe bekannt geworden war. Der Herr Erzbischof hat dieser
Wahl seine Bestätigung wegen der unpolnischcn Gesinnung des Pfarrers Am¬
man hart und fest versagt.

Das dritte: an dem Ansehen Hause, Ecke des alten Marktes und der Jesuiten-


5"

Und dennoch — der alte Hegel hatte Recht: „das Einzige, was aus der
Geschichte gelernt werden könne, sei, daß niemals jemand aus der Geschichte
gelernt habe." Das Wort hat sich an den Polen von neuem aufs bitterste bestätigt.
Hunderte der ihrigen und gewiß nicht die Schlechtesten sind gefänglich eingezogen;
die besten Güter stehen unter Sequestration, das Land ist ausgesogen, eine große
Zahl von Familien trägt das Trauerkleid, mit dem sie vordem eine über¬
müthige Comödie gespielt haben, nun„wirklich in tiefem Leide; das Gymnasium
zu Trzemcszno ist aufgelöst, das prächtige Seminargebäude in Exin, in der libe¬
ralsten Weise hergerichtet, vollständig ausgestattet, hat den Polen nicht über¬
geben werden können. Dabei ist die Nation in sich zerfallen, arg veruneinigt;
aus ihrer eignen Mitte gehn beständig Denunciationen bei den Polizeibehörden,
den Staatsanwaltschaften und den Commissaren des Staatsgerichtshoss ein und
wollten sie indiscret sein, so würden die Polen vollends an sich irre werden.
Man sollte meinen, das sei Elend genug; aber sie sind nicht ermüdet, sondern
greifen wieder zu den Waffen, mit denen sie vor 1863 gekämpft haben.

Wir haben mehre sehr schlagende Beispiele im Sinne. Das eine betraf
die Wahl des Bürgermeisters in Posen. Unter Ausschluß all der Rücksichten,
durch welche sich jetzt die städtischen Wahlkörper bisweilen verleiten lassen, bei
der Besetzung ihrer wichtigsten Stellen einseitig den Parteistandpunkt gelten zu
lassen, ersah sich die posener Stadtverordnetenversammlung in dem Kreisrich¬
ter Kohicis aus Goflyn einen Mann, dessen Vergangenheit nach jeder Seite
hin die besten Garantien für seine Amtsführung bot. Seine liberale Gesin¬
nung wie sein im Justizdicnst geschulter Charakter ließen die Polen von ihm
eine unparteiische Verwaltung ihrer Angelegenheiten erwarten. Sie kannten ihre
Zahl im Collegium; sie war Minorität; auch ein Compromiß mit gesinnungs¬
losen Deutschen — Andre compromittiren nicht mit den Polen — bot ihnen
keine Hoffnung; obenein würde die aus solchem hervorgegangene Wahl niemals
die Bestätigung der Negierung erlangt haben. Trotzdem widerstrebten sie der
Wahl nicht nur auf das Heftigste, sondern sie wandten ihr Lieblingsmittel des
Persönlichen Angriffs mit solchem Feuer an, daß sich Kohleis veranlaßt fand,
abzulehnen und erst die wiederholte Wahl auf dringendes Zureden annahm. —
Eine andre Geschichte, welche in Posen böses Blut machte, war die Nicht-
bestätigung des Pfarrers Amman. Der Magistrat von Posen übertrug eine ka¬
tholische Pfarrstelle, welche unter dem Patrocinium der Stadt steht, einem als
treuen Seelsorger und guten Prediger wohlbekannten Manne, welcher obenein
als Vicar seines Bruders, der die Stelle bisher innehatte, mit den Verhält¬
nissen derselben nahe bekannt geworden war. Der Herr Erzbischof hat dieser
Wahl seine Bestätigung wegen der unpolnischcn Gesinnung des Pfarrers Am¬
man hart und fest versagt.

Das dritte: an dem Ansehen Hause, Ecke des alten Marktes und der Jesuiten-


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[0039] Und dennoch — der alte Hegel hatte Recht: „das Einzige, was aus der Geschichte gelernt werden könne, sei, daß niemals jemand aus der Geschichte gelernt habe." Das Wort hat sich an den Polen von neuem aufs bitterste bestätigt. Hunderte der ihrigen und gewiß nicht die Schlechtesten sind gefänglich eingezogen; die besten Güter stehen unter Sequestration, das Land ist ausgesogen, eine große Zahl von Familien trägt das Trauerkleid, mit dem sie vordem eine über¬ müthige Comödie gespielt haben, nun„wirklich in tiefem Leide; das Gymnasium zu Trzemcszno ist aufgelöst, das prächtige Seminargebäude in Exin, in der libe¬ ralsten Weise hergerichtet, vollständig ausgestattet, hat den Polen nicht über¬ geben werden können. Dabei ist die Nation in sich zerfallen, arg veruneinigt; aus ihrer eignen Mitte gehn beständig Denunciationen bei den Polizeibehörden, den Staatsanwaltschaften und den Commissaren des Staatsgerichtshoss ein und wollten sie indiscret sein, so würden die Polen vollends an sich irre werden. Man sollte meinen, das sei Elend genug; aber sie sind nicht ermüdet, sondern greifen wieder zu den Waffen, mit denen sie vor 1863 gekämpft haben. Wir haben mehre sehr schlagende Beispiele im Sinne. Das eine betraf die Wahl des Bürgermeisters in Posen. Unter Ausschluß all der Rücksichten, durch welche sich jetzt die städtischen Wahlkörper bisweilen verleiten lassen, bei der Besetzung ihrer wichtigsten Stellen einseitig den Parteistandpunkt gelten zu lassen, ersah sich die posener Stadtverordnetenversammlung in dem Kreisrich¬ ter Kohicis aus Goflyn einen Mann, dessen Vergangenheit nach jeder Seite hin die besten Garantien für seine Amtsführung bot. Seine liberale Gesin¬ nung wie sein im Justizdicnst geschulter Charakter ließen die Polen von ihm eine unparteiische Verwaltung ihrer Angelegenheiten erwarten. Sie kannten ihre Zahl im Collegium; sie war Minorität; auch ein Compromiß mit gesinnungs¬ losen Deutschen — Andre compromittiren nicht mit den Polen — bot ihnen keine Hoffnung; obenein würde die aus solchem hervorgegangene Wahl niemals die Bestätigung der Negierung erlangt haben. Trotzdem widerstrebten sie der Wahl nicht nur auf das Heftigste, sondern sie wandten ihr Lieblingsmittel des Persönlichen Angriffs mit solchem Feuer an, daß sich Kohleis veranlaßt fand, abzulehnen und erst die wiederholte Wahl auf dringendes Zureden annahm. — Eine andre Geschichte, welche in Posen böses Blut machte, war die Nicht- bestätigung des Pfarrers Amman. Der Magistrat von Posen übertrug eine ka¬ tholische Pfarrstelle, welche unter dem Patrocinium der Stadt steht, einem als treuen Seelsorger und guten Prediger wohlbekannten Manne, welcher obenein als Vicar seines Bruders, der die Stelle bisher innehatte, mit den Verhält¬ nissen derselben nahe bekannt geworden war. Der Herr Erzbischof hat dieser Wahl seine Bestätigung wegen der unpolnischcn Gesinnung des Pfarrers Am¬ man hart und fest versagt. Das dritte: an dem Ansehen Hause, Ecke des alten Marktes und der Jesuiten- 5"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/39>, abgerufen am 01.07.2024.