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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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gehen verspricht er ihnen, tüchtig losklopfen zu wollen auf die Waarensäcke,
welche des Nikolaus große Eseisheerde ins Land bringt, bis ein recht schwerer
herunterfalle. Abends kehrt er zurück, und obschon er nur sein bekanntes Wat¬
säcklein, ohne welches der Bauer nicht über Land geht, mit heimbringt, so ist
es diesmal doch bis zur letzten Schnur und Nath vollgestopft, und wenn er
es nun vom Stock über der Achsel herabgenommen hat, bleibt es frei durch
sein eignes Gewicht am Boden stehen. "Hehns mer en Sant Niklause g'jaget?"
fragt das Kind, und der Papa spannt die Neugier nicht länger. Aber
vorerst zieht er nur eine Reinigkeit aus dem Sacke, eine doppelte Schneckcn-
nudel, die er aus der großen Schweineheerdc des Nikolaus herausgefangen
haben will. Aber das ist eben jene Glücksschnecke im Lügenmärchen, die alles
machen kann, Butter und Weizen herbeischaffen, Korn dreschen und Brod backen.
Um Solcherlei Schneckenbrvde jagt und klaust denn auf dem Lande beinahe
jeglicher Stand und jegliches Alter; von jedem, der zu dieser Zeit auf einen
Tag das Haus verläßt, heißt es. er jage den Klaus; der Bursche klaust und
jagt für sein Mädchen, selbst die Bettelleute kommen mit irgendeiner Geisen-
schelle ans Fenster und verlangen Futter für des Klausen Esel. Alle Schul¬
jungen klauscn ihrem Schulmeister, die ganze Schulanstalt maskirt sich dazu
in die Ueberbleibsel der Bürger- oder Soldatentracht des vorigen Jahrhunderts.
Alte Bärenmützen drohen dem jungen Schädel Schwielen zu drücken oder bis
auf den Hals herein zu rutschen; kollernde aufgeblähte Schweinsblase-n werden
über Rücken und Bauch gebunden und setzen der Furur einen siebenfachen Um¬
fang zu. An langer Stange schwingt man einen Mehlbcutel, mit dem man
jeden Begegnenden "zeichnet". So kommt man polternd und wiehernd dem
Lehrer ins Haus gesprungen, um ihm einen Eierring oder einen noch größeren
Brodmannoggel zu überreichen oder vielmehr, was seine Backofenlänge einzig
gestattet, ihn auf einem mitgebrachten Tragbrette hier abzustellen. Nachdem
man dem Lehrer die Wohnstube genügend voll Schnee getragen hat, durch¬
läuft man die breite Stadtgasse und läßt keine Hausscdelle ungcläutet. keinen
Thürklopfer unangeschlagen, keinen Menschen ungeschnecballt. Die Orts-
Pvlizei mahnt pflichtgemäß zur Ruhe; aber darüber geräth wohl gar der ältere
Bürger in Wortwechsel mit ihr, der, seiner einstigen Flegeljahre gedenkend, den
altherkömmlichen Knabenspaß unbeeinträchtigt sehen will. Und wirklich verläuft
alles rasch und ohne üble Folgen. Denn mit dem letzten Klang der Abend¬
glocke ist die Gasse plötzlich wieder leer und still. Einem Kinde, heißt es, das
sich heute beim Herumschwärmen verspätet, dem fressen die Nachteule" den Kopf
kahl und der Hokemann zieht es in den Bach. So steckt in der alten Unsitte
oft ein sittlicher Kern, im verschrieenen Aberglauben ein tüchtiger Denkzettel
und praktischer Gehalt. Die Straßen sind wieder leer, die Kinder sind zu
Hause und die Bescheerungszeit für jede einzelne Familie bricht jetzt an.
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gehen verspricht er ihnen, tüchtig losklopfen zu wollen auf die Waarensäcke,
welche des Nikolaus große Eseisheerde ins Land bringt, bis ein recht schwerer
herunterfalle. Abends kehrt er zurück, und obschon er nur sein bekanntes Wat¬
säcklein, ohne welches der Bauer nicht über Land geht, mit heimbringt, so ist
es diesmal doch bis zur letzten Schnur und Nath vollgestopft, und wenn er
es nun vom Stock über der Achsel herabgenommen hat, bleibt es frei durch
sein eignes Gewicht am Boden stehen. „Hehns mer en Sant Niklause g'jaget?"
fragt das Kind, und der Papa spannt die Neugier nicht länger. Aber
vorerst zieht er nur eine Reinigkeit aus dem Sacke, eine doppelte Schneckcn-
nudel, die er aus der großen Schweineheerdc des Nikolaus herausgefangen
haben will. Aber das ist eben jene Glücksschnecke im Lügenmärchen, die alles
machen kann, Butter und Weizen herbeischaffen, Korn dreschen und Brod backen.
Um Solcherlei Schneckenbrvde jagt und klaust denn auf dem Lande beinahe
jeglicher Stand und jegliches Alter; von jedem, der zu dieser Zeit auf einen
Tag das Haus verläßt, heißt es. er jage den Klaus; der Bursche klaust und
jagt für sein Mädchen, selbst die Bettelleute kommen mit irgendeiner Geisen-
schelle ans Fenster und verlangen Futter für des Klausen Esel. Alle Schul¬
jungen klauscn ihrem Schulmeister, die ganze Schulanstalt maskirt sich dazu
in die Ueberbleibsel der Bürger- oder Soldatentracht des vorigen Jahrhunderts.
Alte Bärenmützen drohen dem jungen Schädel Schwielen zu drücken oder bis
auf den Hals herein zu rutschen; kollernde aufgeblähte Schweinsblase-n werden
über Rücken und Bauch gebunden und setzen der Furur einen siebenfachen Um¬
fang zu. An langer Stange schwingt man einen Mehlbcutel, mit dem man
jeden Begegnenden „zeichnet". So kommt man polternd und wiehernd dem
Lehrer ins Haus gesprungen, um ihm einen Eierring oder einen noch größeren
Brodmannoggel zu überreichen oder vielmehr, was seine Backofenlänge einzig
gestattet, ihn auf einem mitgebrachten Tragbrette hier abzustellen. Nachdem
man dem Lehrer die Wohnstube genügend voll Schnee getragen hat, durch¬
läuft man die breite Stadtgasse und läßt keine Hausscdelle ungcläutet. keinen
Thürklopfer unangeschlagen, keinen Menschen ungeschnecballt. Die Orts-
Pvlizei mahnt pflichtgemäß zur Ruhe; aber darüber geräth wohl gar der ältere
Bürger in Wortwechsel mit ihr, der, seiner einstigen Flegeljahre gedenkend, den
altherkömmlichen Knabenspaß unbeeinträchtigt sehen will. Und wirklich verläuft
alles rasch und ohne üble Folgen. Denn mit dem letzten Klang der Abend¬
glocke ist die Gasse plötzlich wieder leer und still. Einem Kinde, heißt es, das
sich heute beim Herumschwärmen verspätet, dem fressen die Nachteule» den Kopf
kahl und der Hokemann zieht es in den Bach. So steckt in der alten Unsitte
oft ein sittlicher Kern, im verschrieenen Aberglauben ein tüchtiger Denkzettel
und praktischer Gehalt. Die Straßen sind wieder leer, die Kinder sind zu
Hause und die Bescheerungszeit für jede einzelne Familie bricht jetzt an.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/391>, abgerufen am 03.07.2024.